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Der Kampf in der Nacht
von Joachim Stoelzel

LeerJakobskampfDie Geschichte von Jakobs nächtlichem Kampf am Jabbok (Gen. 32, 23-32) ist schwer verständlich. In ihr sind mehrere Schichten, zum Teil aus uralter heidnischer Zeit, mit der Gotteserfahrung des Volkes Israel zusammengebunden. Wir verzichten darauf, alles erklären zu wollen.

LeerJakob befand sich auf der Rückkehr zu seinem Bruder Esau, den er um das Erstgeburtsrecht betrogen hatte. In der Nacht hatte er Frauen, Kinder und Vieh über den Jabbok gebracht und war als letzter zurückgeblieben. Da begann das Schreckliche. Er wurde überfallen. In den Sagen dieser Region überfallen Wüstendämonen Menschen. Ihre unheimliche Wirksamkeit ist an die Nachtzeit gebunden. Im Sonnenlicht würden sie erkannt und ihrer Macht verlustig gehen. So muß der Unbekannte Jakob bitten, ihn loszulassen, ehe die Sonne aufgeht. Die Erzählung mutet uns zu, in dem nächtlichen Gewaltgeist Gott selbst zu sehen. Mit ihm ringt Jakob und siegt über Gott mit einer übermenschlichen Kraftanstrengung. Verzweifelt fragt Jakob nach dem Namen der unheimlichen Gottheit. Denn damals glaubte man: weiß ich erst den Namen, kann ich mir die Gottheit verfügbar machen, daß sie mir von ihrer Kraft abgibt, das heißt segnet. So bittet Jakob: „Ich lasse dich nicht eher los, als bis du mich segnest”.

LeerDie Gottheit verweigert die Preisgabe ihres Namens, fragt aber ihrerseits zuvor den Jakob: „Wie heißt du?” Nach seiner Antwort erhält Jakob den Namen „Israel”. Im Namen soll das Wesen des Menschen offenbar werden. So heißt Jakob „Listiger”, „Betrüger”. Er wird nun gesegnet mit dem Ehrennamen „Israel”, d. h. „Gotteskämpfer”. - Erinnern wir uns, daß unter Hitler alle Juden den Namen „Israel” (Gottes Kämpfer) annehmen mußten? Wußten die Nazis, was sie da befahlen? Und wußten die Juden, welch dunkler Gott ihnen nun begegnen würde? - Jakob sagt dazu: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen”. Er empfand gewiß nicht eitel Wonne bei dieser Begegnung. Eher entspricht seinen Empfindungen wohl unser „Ich habe dem Tod ins Angesicht gesehen”. - Solche Erfahrungen prägen uns. Diese Erfahrung wird sichtbar in der Verletzung, die Jakob empfing. Im Kampf wurde sein Hüftgelenk geschlagen; eine Art schwerer Hexenschuß. Und seitdem hinkte Jakob.

LeerWir staunen über die Dreistigkeit, mit der der verzweifelte Jakob dem unbekannten Mann gegenübertritt. Er hatte vorher Gott gerufen, ihm beizustehen in seiner Angst, wenn er Esau begegnete. Jetzt erscheint ihm Gott, aber als Richter, und hätte ihn fast vernichtet. Aber der drohende Gott begnadet den Betrüger. Ob Jakob geläutert, gewandelt wurde? - In der Erzählung sprechen sich auch die Glaubenserfahrungen des ganzen alten Gottesvolkes aus bis in unsere Tage über das „Dritte Reich” hinaus. Das beweisen fast täglich die Nachrichten in den Massenmedien über den Nahen Osten. Vom Stammvater hat das Volk den Namen Jakob-Israel übernommen und damit „Ja” gesagt zu seiner Geschichte mit Gott. In dieser geht es nicht nur um den Kampf Israels mit Menschen, mit Völkern, sondern auch mit Gott. Ständig ist Israel in seiner Existenz bedroht und erleidet immer wieder schwerste Verletzungen und hält doch fest an Gott.

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LeerKönnen auch wir, wie Israel, uns in der Erzählung wiederfinden? Jakob kämpft nach erfolgreichen Jahren in der Fremde mit der Angst und mit dem Schuldgefühl vor der Begegnung mit seinem Bruder Esau. Das zeigt er in der Aufteilung seiner Angehörigen und seiner Herde in zwei Teile. Bemächtigt sich Esau der ersten Gruppe, kann Jakob mit der zweiten fliehen. Auch wir lieben unsere guten und starken Seiten, unsere Erfolge mehr und erzählen von ihnen lieber als von unseren dunklen und negativen Taten und Eigenschaften. Wir möchten zum Beispiel selbstbeherrscht sein, unser Unbewußtes aber ist oft halt- und maßlos. Der Kampf mit unserer dunklen Seite findet meist nachts statt, in schlaflosen Nächten. In diesem Kampf ist nicht ausgemacht, ob der Streiter seelisch krank oder siegreich sein wird. Wer auch seine übermächtigen dunklen Seiten annehmen kann und sie nicht verdrängt, hat mit dem dunklen Gott gekämpft, der ihn überfällt wie den Jakob, aber er erlangt den Segen, wird ein „Israel, der mit Gott und Menschen gestritten hat”.

LeerGesegnete Menschen sind von einer übermenschlichen Kraft in die Knie gezwungen, aber nicht zerbrochen. Doch tragen sie Narben aus diesem Kampf davon. - Sie sind in ein neues Leben hineingestellt worden oder, anders gesagt, sie sind von neuem geboren worden. Eine neue Geburt zu erleben ist so schmerzhaft wie die erste Geburt, die wir unbewußt erlebten. So geht Gott uns an - im doppelten Sinne des Wortes. Gott geht uns an, greift uns an, tritt uns gegenüber als der Unbegreifliche, scheint uns wie ein Feind zu überfallen unter einer schrecklichen Maske, einer Larve, wie Luther sagt. Ähnlich hat es auch der Prophet Jeremia erfahren. Probt Gott die Widerstandskraft der Seinen? In deutschen Heldensagen freut sich der Vater, wenn er seinen Sohn nicht besiegen kann. Auch die dunklen Mächte, mit denen der Glaubende zu ringen hat, sind Masken Gottes. Sogar Luther berichtet von nächtlichen Kämpfen mit Herzzittern und Schweißausbruch (vgl. Quatember 1/1983 S. 19 ff. „Die Anfechtung in Luthers Leben”).

LeerAber Gott will den Menschen nicht zu Fall bringen und preisgeben. Hängt die'Glaubensarmut unserer Tage vielleicht damit zusammen, daß ein zu harmloser Gott gepredigt wurde, der nur für uns gegen die anderen kämpfen soll? „Wie kann Gott das zulassen, wo bleibt Gott?” - so fragten viele in den Bombennächten. Sie merkten nicht, daß Gott gerade in diesen Augenblicken ihnen gegenübertrat, weil wir andere Völker überfallen hatten. Ein Kampf mit Gott kann sich auch als körperliches, seelisches oder soziales Leiden abspielen, das uns nicht schlafen läßt.

LeerDie Mystiker wissen zu sagen von der dunklen Nacht, in die Gott seine Auserwählten führt. In den Nachtstunden begegnet der Mensch seinem Dämon und muß mit ihm ringen, bis der Tag anbricht. Dann kann kein harmloses Verhältnis zu Leben und Welt mehr aufkommen. Wer durch solch dunkle Nacht gegangen ist, hinkt irgendwie. In dem gegen uns streitendem Gott ist der segnende Gott verborgen. Der so als schrecklich erfahrene Gott, von Jakob „von Angesicht gesehene Gott”, ist zugleich der verborgene Gott. Den dunklen Gott flehen wir an: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn”.

Quatember 1983, S. 130-133

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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