Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1984
Autoren
Themen
Stichworte


Apostolischer Glaube heute
von Heino Gaese

LeerAls „Basis” der Gemeinsamkeit stellt der Ökumenische Rat der Kirchen seiner Verfassung einen Satz über den gemeinsamen Glauben voran:

Leer„Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.”

LeerDiese Formel ist sehr knapp. Von Taufe, Eucharistie und Amt ist darin nicht die Rede. Aber niemand sagt, daß Taufe, Eucharistie und Amt mit dem Bekenntnis des Glaubens nichts zu tun hätten. Wie wichtig sie für das Christentum sind, wird jedoch recht verschieden beurteilt. Das begrenzt die Bedeutung, welche eine Annäherung in den Grundüberzeugungen von diesen drei Bereichen, selbst eine vorbehaltlose Einigung, gewönne. Einheit im Glauben an den Herrn Jesus Christus ist nicht theologische Lehreinheit, nicht einmal Einheit in der Christologie. Aber die Äußerung des Glaubens verlangt Gegenäußerung. Die Gemeinschaft im Bekenntnis des apostolischen Glaubens verwehrt, die altkirchlichen Bekenntnisse zu verleugnen. Die eigene Stunde erlaubt jedoch eine Äußerung darüber hinaus und verlangt sie vielleicht.

LeerEin solches Wort setzt Rechenschaft über den Zusammenhang mit der Christenheit aller Orte und Zeiten voraus und schließt sie ein. So lassen sich viele gute Gründe dafür anführen, daß die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung im Ökumenischen Rat der Kirchen, nachdem sie die Kirchen in Taufe, Eucharistie und Amt aufeinander zuzuführen suchte, dies auch für das Bekenntnis des Glaubens unternimmt. Hält man mit dem neuen Anliegen noch ein wenig zurück, um die fruchtbare Besinnung über Taufe, Eucharistie und Amt in den Kirchen nicht zu stören, so läßt die Mühe dieser Bewegung es geraten erscheinen, an der Lösung der neuen Aufgabe möglichst früh sich zu beteiligen.

Leer„Apostolischer Glaube heute” war der Gegenstand des 14. Kirchberger Gesprächs. Die Evangelische Michaelsbruderschaft bekundete damit, daß sie sich des Vorhabens annehmen wolle, das bei „Faith and Order” den offiziellen Titel führt „Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ausdruck des apostolischen Glaubens heute - Towards the common expression of the apostolic faith today”. Der umständliche Titel verrät den diplomatischen Kompromiß schon zu Beginn und weist auf einen langwierigen Fortgang hin. Wer sich auf einen mühseligen Prozeß an dessen Anfang einläßt, darf von vier Tagen keine Ergebnisse erwarten.Vielleicht stellen sich einige Fragen deutlicher. Vermutlich ist nicht alles, was man gelernt hat, auch in Worten auszudrücken. Was folgt, ist der Versuch, den Prozeß jener Tage an einigen Punkten zu klären.

LeerUns Abendländern fällt auf, wieviele Fragen orthodoxe Theologen zur göttlichen Trinität in Beziehung setzen.

LeerIm nizäno-konstantinopolitanischen Bekenntnis ist für sie die Lehre von der göttlichen Trinität und von den zwei Naturen Christi formuliert. Das genannte Bekenntnis ist ihr einziges Bekenntnis, in den östlichen Kirchen wird darauf getauft. So lag es nahe, sollte vom apostolischen Glauben der Kirche die Rede sein, den Vertreter der Orthodoxie über das Nicaenum reden zu lassen. Er tat es mühelos, mit dem erwarteten Nachdruck, und er brachte eine stattliche Zahl von Eideshelfern katholischer, lutherischer und reformierter Tradition zusammen.

Linie

LeerAllerdings gilt es, unser christliches Bekenntnis nicht nur vor der eigenen Vergangenheit zu rechtfertigen, sondern auch als Schritt auf dem Wege zur Einheit und vor der Gegenwart dieser Welt. Darum hätte man vielleicht die Auseinandersetzung mit dem Niceaenum besser einem protestantischen Theologen aufgetragen, den orthodoxen Vertreter aber bitten sollen, die Beweglichkeit der Orthodoxie darzulegen und wie sie, fest auf ihrem Grund stehend, für moderne Probleme immer offen sei. Nun mußte man sich mit dahingehenden Behauptungen zufrieden geben. Als eigene Aufgabe blieb für den Augenblick, ins allgemeine Bewußtssein zu heben, wieviel tiefer als das Nicaeno-Konstantinopolitanum das Apostolische Glaubensbekenntnis im westlichen Christentum verwurzelt ist.

LeerIm Abendland blieb die Entwicklung des christologischen Dogmas ohne Einfluß auf das Taufbekenntnis. Vaterunser und Apostolicum sind damit durch die Jahrhunderte auch die vornehmsten christlichen Gebete und die Grundlage der Unterweisung im Christentum gewesen. Mit dem Vaterunser gelangte zum Beispiel im Bereich schon des ältesten Deutschen das Apostolicum in die Volkssprache. Man vergegenwärtige sich die kirchenbildende Kraft von Luthers Kleinem Katechismus! Weil es bekannt ist, dringt in unseren Jahren das Apostolicum mit der Volkssprache und als Anteil des Volkes an der Liturgie in die römische Messe ein. Weiter Auslegung fähig, vergewissert es des Zusammenhangs mit der ältesten Christenheit. So kann das gemeinsame Gebet des Apostolischen Glaubensbekenntnisses in einer evangelischen Gemeinde den Charakter sakramentalen Geschehens annehmen. Das als Vermächtnis der Apostel überlieferte Bekenntnis galt (etwa den Theologen des Hoch- und Spätmittelalters) als zutreffende Abbreviatur der Schrift; die späteren Bekenntnisse seien der näheren Erklärung wegen und zur Abwehr von Irrtümern hinzugekommen.

LeerSchon die mittelalterlichen Theologen des Westens bekunden ein anderes Verhältnis zu jedem Bekenntnis. Erinnerte auf dem Kirchberg der Westen an sein Apostolicum, so konnte dies schon darum niemals mit der Absicht der Konfrontation oder Alternative geschehen. Welch freies Verhaltnis zum einzelnen Text hat erst die anglikanische Kirche, die in ihrer Weitherzigkeit Allerverschiedenstes zu ihren Grundlagen rechnet! Die bunte Reihe der 39 Artikel ist selber ein Beleg dieser comprehensiveness.

LeerSchließlich versuchte just ein lutherischer Systematiker für die herkömmlichen Bekenntnisformeln insgesamt eine Deutung, die schon dadurch für sich einnahm, daß sie von dem Streit um den möglichen konfessionsspezifischen Charakter von Unterschieden ablenkte. Dies schätzt wenigstens der Abendländer, der weiß, was alles mit dem zwischen Morgen- und Abendland umstrittenen fllioque (das heißt: der Heilige Geist geht vom Vater und vom Sohn aus) im dritten Artikel des Nicaenums verknüpft werden kann.

LeerDie Heilige Schrift, wie sie uns vorliegt, folgt in etwa der Heilsgeschichte: Sie beginnt mit der Schöpfung, erzählt von Christus und endet mit der Offenbarung des Johannes. Demselben, das Ganze umfassenden Aufriß folgen die Bekenntnisse. Die christlichen Zeitalter haben verschieden akzentuiert. Das christliche Altertum hat den Anfang betont, die mittlere Zeit die Inkarnation und die Gegenwart der Gnade, Uns könnte zufallen, an die Auferstehung und an die Wiederkunft des Herrn zu erinnern.

LeerDas vom Ökumenischen Rat angeregte Vorhaben, über den christlichen Glauben eine gemeinsame Rechenschaft zu versuchen, ist vorderhand an das Nicaenum geknüpft. Aus der Sicht eines ehemaligen Mitarbeiters von „Glauben und Kirchenverfassung” unterliegt der Arbeitsplan, welchen die Kommission aufgestellt hat, Bedenken wie den folgenden:

Linie

Leer1. Das Nicaenum hat im Westen, wie oben berührt, eine andere Stellung. Dazu kommen, wie das filioque zeigt, Unterschiede in der Rezeption. Das führt zumindest auf die Frage, ob nicht eine Formulierung des trinitarischen Dogmas sich finden ließe, die allerseits und selbst unter anderen Voraussetzungen als der Überlieferung des mittelmeerischen Raumes zu akzeptieren wäre.

Leer2. Das Verhältnis von Schrift und Bekenntnis ist zu klären, so gewiß die alten Bekenntnisse aus der Schrift und neutestamentlichen Bekenntnisformeln erwachsen sind. Denn einige Mitgliedskirchen kennen nur die Schrift als Autorität und gebrauchen jedenfalls keines der altkirchlichen Bekenntnisse oder sie sehen in der Schrift die erste Autorität.

LeerEbenso ist (3. 4.) das Verhältnis der neueren von Kirchen angenommenen Bekenntnisse zu den altkirchlichen zu klären. Dies gilt insbesondere für die Bekenntnisse der Reformationszeit, welche bei den altkirchlichen ihren selbstverständlichen Ausgang nahmen, diese aber aus einer neuen Situation in die Perspektive der Schrift setzten. Die menschliche Geschichte kennt nicht nur „Entwicklungen”, sondern auch Abbrüche, Erkenntnisverlust und mühsame Versuche, Erkenntnis und Erfahrung wieder zu erlangen - eine lutherische Einsicht.

LeerFür die reformatorischen Kirchen ergibt sich (5.) die besondere Aufgabe, aus ihrer hermeneutischen Naivität herauszutreten und das Verhältnis von Schrift und Tradition zu reflektieren.

Leer6. ist apostolischer Glaube nur unter einem alten Bekenntnis möglich oder auch mit neuen Formulierungen? Fur die reformierte Überlieferung stehen von Anfang an Bekenntnisse von zunächst lokaler Geltung unausgeglichen nebeneinander. Die Bekenntnisbildung ist grundsätzlich nicht abgeschlossen, man rechnet mit neuen Anlässen. Auch die jungen Kirchen kennen neue Aufstellungen, Unionen haben solche herausgefordert. Die Nötigung, daß wir uns gemeinsam auf unseren apostolischen Glauben besinnen, konfrontiert die gesamte Christenheit neu mit der Heiligen Schrift und mit der gesamten Bekenntnistradition.

Leer7. Formuliert das Nicaenum ausreichend, was heute zu bezeugen ist? Die Schrift kam mit manchem Stück ihres überschießenden Reichtums in diesem Bekenntnis nicht zu Wort, weil das vierte Jahrhundert Fragen nicht kannte, vor denen erst unser Heute steht. Eine doppelte Erweiterung geschähe im Rahmen des alten Bekenntnisses und würde die Gattung nicht sprengen:

Leer(a) Erst seit dem 19. Jahrhundert ist die Kirche Jesu Christi eine universale Realität, und nun erst werden wir uns der Vielfalt der Kulturen bewußt. Dennoch ist ein gemeinsames Zeugnis uns aufgetragen. So wäre eine Aussage über die sakramentale Struktur der Kirche vonnöten, damit die Qualität der Gemeinschaft (communio) beschrieben würde, welche die Kirche unter und gegenüber jener Vielfalt der Kulturen auszeichnet. Die Besinnung auf die Lima-Dokumente wird hierzu, wie überhaupt zum rechten Ansatz der neuen Studie, beitragen. Denn die Übereinstimmung über Taufe und Eucharistie ist schon ein Teil der Übereinstimmung im Glauben.

Leer(b) Die rasante Entwicklung der modernen Welt läßt nach der Zukunft fragen, insbesondere nachdem offenkundig geworden ist, daß der Mensch keine neue Welt schaffen wird. Dennoch besteht kein Grund, zu verzagen oder zu verzweifeln: Auch unsere Zukunft ist Christi.

Linie

LeerDaß die Einheit der Kirche nicht herzustellen, vielmehr nur zu entdecken sei, findet kaum Widerspruch. Wer aber traut sich die Entdeckung der Kirche, der apostolischen Kirche heute, zu? Ein Versuch, die kopernikanische Wende zur christlichen Einheit einzuleiten, ist die „Eucharistische Vision”. Indem sie auf dem Kirchberg zur Sprache kam, wurde die Frage, was christliches Bekenntnis vor Gott, den Brüdern und der Welt sei, noch einmal neu und vielleicht auf die am meisten grundsätzliche Weise gestellt. Wer so Kirche, Abendmahls- und Bekenntnisgemeinschaft aufeinander bezieht, kann sich wie irgendwer auf die alte Kirche berufen.

LeerLuther hat einst feinen Spürsinn bewiesen, als er das Tedeum unter die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse rechnete - es enthalt Trümmer eines großen Abendmahlsgebets. Die Gattung, die wir heute „Bekenntnisse” nennen, drang in die eucharistische Liturgie erst ein, als deren eigene Ausbreitung der Heilsgeschichte zu formelhafter Kürze erstarrte, die neue Erweiterung zuließ oder danach verlangte.

LeerLäßt Gott im Evangelium sein Reich ausrufen, so ist die Einheit der Kirche in der Eucharistie am Altar gegeben - ohne jedes Wenn und Aber, Davor und Danach. Betet doch der Heilige Geist durch uns - wie wir bitten. Wird also die Eucharistie als gemeinsamer Bekenntnisakt authentisch vollzogen, so ist das Christusbekenntnis recht vollzogen.

LeerSowohl Voraussetzung als auch Ziel liegen in der Eucharistie selbst. Die entscheidende Frage lautete also: Welche eucharistische Liturgie (oder welche Art eucharistischer Liturgien) könnten wir miteinander feiern? Die Zeiten der noch älteren weniger verfestigten und eher konzilsfähigen Kirche und Kirchen entsprechen den unseren mehr als die der sogenannten „alten Kirche”. Was die unmittelbare Gegenwart angeht, so gilt: Gewisse ökumenische Realitäten sind nicht zu respektieren, vielmehr zu überwinden. Die leidige Interkommunionsfrage gewinnt, von der „Eucharistischen Vision” her betrachtet, ein neues Ansehen.

LeerDie liturgische Bewegung hat einst von der Anbetung des Sakraments zur Feier zurückgelenkt; aber sie ist nicht weit genug durchgedrungen, nämlich bis zum Kirchenbegriff. „Das Heilige den Heiligen.” Es waren Christen und damit geschichtlich geprägte Kirchen, die aus gegebenem Anlaß zum Mahl des Herrn einluden. Die größte Sorge der gegenwärtigen Christenheit ist nicht, unbefugt Hinzudrängende abzuhalten.

LeerDas nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis soll auch heute und heute erst recht der erste und vornehmste Ausdruck des apostolischen Glaubens sein. Man darf es erläutern, vielleicht ergänzen. Im Westen haben die Katechismen dem alten Glaubensbekenntnis längst andere Stücke hinzugefügt. Die Erläuterung muß gemeinsam versucht werden, soll mehr geschehen, als daß die vorhandenen Unterschiede zutage treten. Eine erste Vorlage erhalten die Kirchen vielleicht schon im Sommer 1985. Wird sie uns vertrauter anmuten oder fremder als die Lima-Erklärungen?

Linie

LeerMit der Anknüpfung an das Nicaenum geht der Ökumenische Rat nicht nur vom Inhalt des alten Bekenntnisses aus, sondern auch von alledem, was sich mit dem alten Begriff von Bekenntnis und Lehre bei den Orthodoxen wie in der römischen Kirche verknüpft. Vielleicht ist es besser, die Frage des christlichen Bekenntnisses neu, weiter, grundsätzlicher zu stellen. Dies tut die „Eucharistische Vision”, es geschieht schon mit den Lima-Erklärungen. Auch ihre Lebensformen zeugen vom Glauben der Kirche. Die erste der vier Fragen, welche die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung jenen Erklärungen mit auf den Weg gegeben hat, ist unter diesem Gesichtspunkt noch einmal neu und schärfer zu bedenken.

LeerWie immer man „Bekenntnis” faßt und den Glauben der Kirche umschreibt, so enthält, vergleichen sich christliche Kirchen, jede Aufstellung den Anspruch, das Christliche schlechthin und allgemeingültig zu bezeichnen. Die Aufgabe, auf besondere, durch den Augenblick oder gebietsweise Lebensumstände bedingte und begrenzte Gegenwartsfragen mit Wort und Tat zu antworten, ist nach wie vor davon zu unterscheiden. Die Krisis im Selbstbewußtsein des Rentners (oder Arbeitslosen) erheischt derzeit in der westlichen und östlichen Gesellschaft Auseinandersetzung, kaum in Asien oder Afrika. Die der authentisch gefeierten Eucharistie gemäße Orthopraxie, das rechte Tun, ist hier und dort, für den und jenen verschieden, wird man sie auch ein Stück weit gemeinsam bedenken oder gar beginnen. Was der Ökumenische Rat leistet, geschieht darum mit Recht in verschiedenen Programmeinheiten.

Leer„Apostolischer Glaube heute”: Müssen wir Verlorenes neu gewinnen? Oder sollten wir uns davor hüten, auf alte Formeln uns festlegen zu lassen, weil sie uns die wahren Worte verfehlen ließen? Es gilt wohl beides. Geduld ist nötig, und wir dürfen keine Mühe theologischer Arbeit scheuen; gleichzeitig müssen wir die Gemeinschaft pflegen. Denn der apostolische Glaube ist in der Einheit von gottesdienstlichem Leben und Alltag zu bezeugen. Gefahr droht der Kirche nur von innen, meinte unser Redner aus der Deutschen Demokratischen Republik in seinem vorzüglichen, pastoral orientierten Referat. Eine Kirche, die sich verliert, hilft nicht.

Quatember 1984, S. 145-151

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
Haftungsausschluss
TOP