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von Georg Günter Blum |
Ich widme diesen Aufsatz dem Gedächtnis von Frau Professor Dr. Waldtraud Ingeborg Sauer-Geppert. Die Begegnung mit Karlfried Graf Dürckheim in Todtmoos-Rütte war auch unsere letzte Begegnung mit diesem Mitglied unseres Arbeitskreises. Am 18. Juli 1984 ging sie uns voran in das ewige Licht, zu dem wir alle auf dem Wege sind. Sie werden mir immer unvergeßlich bleiben, jene Tage Ende März dieses Jahres, als ich zusammen mit dem Arbeitskreis für geistliche Übungen der Evangelischen Michaelsbruderschaft in Todtmoos-Rütte dem Mann begegnete, der mir schon seit über zehn Jahren duch seine Bücher bekannt war, und die Berichte von Brüdern, die ihn im Schwarzwald aufgesucht hatten. Es bleibt immer ein großer Unterschied, ob man jemand vom Lesen und vom Hörensagen her kennt oder ihn auch leibhaft sehen kann. Sicherlich kann sich ein schöpferischer Mensch durch mancherlei Medien anderen mitteilen. Aber es ist dann noch einmal ganz neu und anders, wenn ich seine Stimme höre, seine Gegenwart spüre und mit ihm zusammen etwas tun kann, was uns miteinander zutiefst verbindet. Das war das Wichtigste, daß wir mit Graf Dürckheim die Übung aufnahmen, die er Zeit seines Lebens ständig praktizierte und auch anderen mitteilte, dieses Sitzen in aufrechter Haltung, durch das ich mich in die Erde verwurzele und zugleich zum Himmel strebe. Der Atem wird immer ruhiger, er geht immer tiefer, ich lasse mich ganz los, ich lasse mich nieder, ich überlasse mich dem tragenden Grund und beim Wiedereinströmen des Atems empfange ich mich ganz neu. Lasse ich so meinen Atem wirklich zu, werde ich frei von allen Eindrücken meiner Sinne, von allen Bewegungen meiner Gedanken, ich frei von mir selbst, meinem kleinen Ich. Im Beckenraum erfahre ich das Hara (wörtlich: Bauch, Unterleib), meine Mitte, meine Erd- und Gottverbundenheit. Ich erlebe, daß ich nicht nur einen Leib habe, sondern Leib bin, in dem sich ein Geschehen vollzieht, das über ihn selbst wiederum hinausweist. Es wird mir immer unvergeßlich bleiben, wie wir uns jeden Morgen in der Dachkammer des urigen Schwarzwaldhauses versammelten, unsere Meditationssitze einrichteten, die urtümliche Atmosphare des Raumes auf uns wirken ließen und schweigend in Erwartung verharrten. Und dann hörte man, wie er unten sein Zimmer verließ. Die alten Stufen ächzten, als der Siebenundachtzigjährige die schmale und steile Treppe zu uns emporstieg. Die Tür knarrte in ihren Angeln. Ganz unauffällig, ganz leise trat er ein. Er war da. Seine kräftige Gestalt, sein urwüchsiges bayrisches Gesicht mit der großen Nase und den klaren entschiedenen Augen füllte den Raum. Nach einer kurzen ehrfürchtigen Verbeugung nahm er Platz auf seinem Stuhl. Die Erfahrung, um die es sich hier handelt, geht über alle Worte hinaus. Nachträglich läßt sie sich schwer in Begriffe und Sätze fassen. Sie läßt sich aber vielleicht andeuten in der Sprache dessen, der sie uns lebensvoll vermittelte. Was heißt meditieren? Das war die Frage, auf die wir immer wieder zurückkamen und auf die Graf Dürckheim immer neue eindrucksvolle Antworten geben konnte. Bei allem Bemühen um Za-Zen, das richtige Sitzen, das rechte Atmen, die Lösung von allen Gedanken, bleibt diese Übung doch ein passives Geschehen. Genau genommen kann man nicht sagen: Ich meditiere, sondern ich lasse mich finden. Es.geht immer um etwas, was mir widerfährt, was ich nur empfangen kann. Wahrhaftes Meditieren vollzieht sich nicht in der anstrengenden Bemühung meines Ichs und im Einsatz seines Willens, sondern vielmehr als mühelose Eigenbewegung der mir einwohnenden größeren Dimension. Diese Meditation ist deshalb nicht auf irgendeinen Inhalt, einen Text, ein Bild oder ein Wort bezogen. Sie ist völlig gegenstandslos, aber sie schließt nicht nur etwas aus. Entscheidend ist, daß sie etwas ganz anderes aufschließt, nämlich die Wirklichkeit, die sich erst zeigt, wenn das gegenständliche Bewußtsein mit allen seinen Inhalten überschritten wird. Graf Dürckheim spricht auch immer wieder von einer initiatischen Übung. Initiation heißt Einweihung, Einweihung in das Mysterium, das in uns wohnt und zugleich uns umfängt und uns unendlich übersteigt. Dieses Geheimnis ist in uns anwesend als Lebenskeim und Lebensfunke, der sich uns offenbaren will. Dieses Geheimnis sind wir selbst in unserem Wesen. Auf die Frage, was in diesem Zusammenhang unter Wesen zu verstehen ist, antwortet Graf Dürckheim: Das Wesen ist die Weise, wie das überweltliche Sein in uns anwesend ist und in uns und durch uns offenbar werden möchte in der Welt. Oder anders ausgedrückt: Das Wesen ist die Weise, wie ein Überweltliches hindrängt auf eine bestimmte Gestalt. Ihm widerstrebt das gegenständliche Bewußtsein als Ausdruck unseres welthaften Ichs, das immer nur feststellen und festhalten will in Begriffen, Bildern und Formen. Einswerden mit dem Wesen ist nur dann möglich, wenn ein neues inständliches Bewußtsein in uns erwacht, das nichts mehr festhalten will und ganz frei wird von der Vielheit, dem das Welt-Ich verhaftet ist. Im Hinblick auf das landläufige Verständnis von Glauben, der sich auf religiöse Wahrheiten und Gottesbilder richtet, ist es ein besonderes Anliegen Graf Dürckheims, daß die Quelle eines solchen Glaubens in überwaltigenden, bestürzenden und erlösenden Erfahrungen liegt, die dann erst auf dem Bildschirm unseres Welt-Ichs eine gegenständliche Form annehmen. Die Meditation führt immer zur Quelle zurück. Es geht bei ihr um konkrete numinose Erfahrungen, die jeder auf dem Weg der Übung machen kann. Dabei ist die Übung nichts Ausgegrenztes. „Der Alltag als Übung” ist ein Thema, das Graf Dürckheim besonders am Herzen liegt. Er besteht darauf, daß der Wahrheitsgehalt solcher Erfahrungen jedem offensteht, dessen Urteilskraft nicht durch rationalistische Vorurteile verhärtet ist. Graf Dürckheim scheut sich nicht, von einem „transzendentalen Realismus” zu sprechen, der ein auf Erfahrung begründetes Wissen von einem der vorfindlichen Welt überlegenen personalen Sein zum Inhalt hat, das in der Wesensfindung zutage tritt. Es gibt „Seinsfühlungen”, Ahnungen des Numinosen, die wie der Hauch eines Windes unser Leben streifen. Und es gibt„große Erfahrungen”, die gnadenhaft über uns kommen, bezwingend, befreiend, erlösend und zugleich absolut verpflichtend, Durchbrüche des Überweltlichen in der Tiefenschicht unserer Seele, die Erfahrung einer unbegreiflichen Kraft, eines Lebens jenseits von Leben und Tod. Gerade in Augenblicken der völligen Verzweiflung am Absurden, kann es zu diesem Innewerden eines überweltlichen Sinnes jenseits von Sinn und Unsinn dieser Welt kommen. Angesichts vollkommener Verlassenheit und tiefer Einsamkeit gibt es dieses unbegreifliche Erleben einer völligen Einheit mit dem tragenden Grund unseres Daseins. Wenn wir unser Welt-Ich ganz loslassen, wenn wir bereit werden, auch das Unannehmbare unseres Leidens und Sterbens anzunehmen, dann sind wir eins mit unserem Wissen und unser wahres Selbst verwirklicht sich. Es liegt auf der Hand, daß jede gegenständliche Meditation von Bildern, Worten und Symbolen immer nur ein Durchgang sein kann zu dieser Transparenz für den Kern unserer Person. Das innere Auge für unser Wesen kann uns erst aufgehen, wenn wir ganz leer werden von allen Begriffen und Bildern, wenn wir ganz frei sind für das Überweltliche und allein Wesenhafte. Die Vielheit muß verschwinden, damit das wahrhaft Eine in seiner Fülle erscheinen kann. Es wäre nun aber ein Mißverständnis, wenn diese Befreiung von allem Welthaften als eine Flucht aus dieser Welt verstanden würde. Jeder, der ernsthaft meditiert, erfährt nämlich: Je tiefer wir in unserem Wesen verwurzelt werden, desto intensiver können wir uns den Dingen dieser Welt zuwenden. Wir gewinnen ein neues Verhältnis zu unserer Umgebung. Graf Dürckheim prägte uns ein Wort ein für diese neue Art der Weltoffenheit: „Es sind die kleinen Dinge, die uns brauchen,Es ist nun auffallend, daß Graf Dürckheim eine Sprache gebraucht, die gerade in ihrer Klarheit und Nüchternheit auf den ersten Blick als abstrakt-philosophisch erscheinen muß. Diese Ausdrucksweise verzichtet auf den traditionellen christlichen Wortschatz. Sie ist geprägt vom Geist des Za-Zen. Sie ist außerst spröde und zurückhaltend, ja gibt sich sogar karg und einsilbig, wenn man in ihr nach christlichen Denkformen und Glaubensinhalten sucht. Wir konnten uns aber nun in eingehenden Gesprachen davon überzeugen, daß diese Art und Weise der Sprache keineswegs eine Verschlossenheit gegenüber dem christlichen Glauben bedeutet. Wir haben es vielmehr hier sozusagen mit einem Gefäß zu tun, das auch einer christlichen Sinngebung offensteht und für unseren Glauben empfänglich ist. Graf Dürckheim scheut sich nicht, von dem uns immanenten Christus zu sprechen. Das uns einwohnende göttliche Sein ist nur ein neutraler und abstrakter Ausdruck für den „Christus in uns”, den der Apostel Paulus bezeugt. Die Selbstverwirklichung des Menschen als Person, die nur geschehen kann durch den mystischen Tod des Ichs und die Neugeburt aus dem göttlichen Sein, ist nichts anderes als das tiefste Mysterium des christlichen Lebens: Das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus. Und der schöpferische Auftrag zu einer raumzeitlich bedingten Gestalt, die von ihrer eingeborenen Göttlichkeit zeugt, ist gleichbedeutend mit der Weltverantwortung eines jeden Christen als Zeugnis für das Christus-Leben. Gerade hier sieht Graf Dürckheim einen Unterschied zum fernen Osten, eine besondere Eigenart christlicher Meditation im Stile des Zen. Diese gipfelt nicht nur in einem Einswerden des Menschen mit dem Alleinen. Diese Einheit mit dem göttlichen Sein ist zugleich auch immer der Wendepunkt, von dem her die raumzeitliche Wirklichkeit durchdrungen und geheiligt wird. Eine andere wichtige Frage war: Gibt es auch für das christliche Meditieren ein Koan (etwa: unauflösbares Rätsel), das heißt ein Wort, an dem alle Versuche des Ichs zerschellen, sich an gegenständlichen Begriffen und Inhalten festzuhalten? Was entspricht im christlichem Sinne in etwa dem bekannten Koan: Was war dein Gesicht, bevor deine Eltern geboren wurden? Erstaunlich und überraschend die Antwort Graf Dürckheims: Das unerschöpfliche christliche Koan ist Jesus Christus! Die christliche Theologie aller Zeiten ist nur ein immer neuer Versuch, sich diesem Koan zu stellen. Jede Meditation eines Christen ist nichts anderes als die Bemühung urn Offenheit für das unauflösbare Mysterium des „Ich bin, ehe Abraham war”. (Joh. 8, 58). Alles, was beim Meditieren geschieht, ist immer nur ein Wiedertönen dieses großen „Ich bin”. Wenn wir uns völlig dem Ton der Stille in uns öffnen und so allmählich in die Haltung eines gegenstandslosen Bewußtseins hineinwachsen, dann können wir auch ermessen, was in der Sprache christlicher Theologie als Gnade, als freies unverdientes göttliches Geschenk bezeichnet wird. Die Gnade kommt nicht zu uns von außen, wie ein Wunder, das uns zustößt. Sie ist vielmehr die Erfahrung unseres eigenen Wesens, sie wohnt in uns selbst. Sehr prägnant kann Graf Dürckheim sagen: „Im vollendeten Zustand seines inständlichen Bewußtseins erlebt der Meditierende als Gnade den, der er selbst in seinem Wesen ist - als Präsenz, Bestimmung und Verheißung. Eben dies ist die Chance und der Sinn gegenstandsloser Meditation. Sie öffnet den Menschen der ihm eingeborenen Gnade”. Ja bei allem Bemühen um den WEG, bei allem Einsatz für das rechte Za-Zen, bei aller Anstrengung des Übens erfahre ich immer wieder neu: Alles ist Gnade! Auch unsere Gespräche mit Karlfried Graf Dürckheim waren eine solche Gnade. Sie haben uns neu angerührt und bewegt in unserem tiefsten Wesen. Sie haben uns wieder neu für jene Erfahrung geöffnet, die Graf Dürckheim noch einmal in seinem Abschiedswort zu Sprache brachte: „Der Himmel stürzt auf die Erde,Quatember 1984, S. 219-225 [Siehe dazu: Beda Müller OSB - Begegnung mit Graf Dürckheim Georg Günter Blum - Begegnung mit Karlfried Graf Dürckheim II |
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