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Begegnung mit Karlfried Graf Dürckheim II
von Georg Günter Blum

LeerAls Echo auf meinen Aufsatz in Quatember 4/1984 hat P. Beda Müller den in Heft 1/1985 veröffentlichten Brief an mich gerichtet. Es erreichten mich aber auch andere Zuschriften, die übereinstimmend mit Pater Beda einige wichtige Fragen steifen, die ich nun in einem größeren Zusammenhang beantworten möchte.

LeerZuerst geht es einmal um den Denk- und Sprachstil Graf Dürckheims. Ich empfinde es als befreiend und für viele Menschen hilfreich, daß von diesem Mann bewußt auf die christliche Nomenklatur verzichtet wird und ohne Verstellung durch eine rationalisierte und abgegriffene Worthaftigkeit der Zugang zum religiösen Grund unseres Daseins zur Sprache gebracht wird.

LeerChristliche Fragestellungen und Themen brauchen deshalb nicht zu fehlen. Sie kommen jetzt nur in neuer und bisher ungewohnter Weise zum Ausdruck. Wer unbefangen Graf Dürckheim hört oder liest, wird gerade durch diese relative Verfremdung seinen eigenen Glauben besser verstehen können. Was wir allerdings bei Graf Dürckheim nicht finden, ist die Thematisierung entscheidender Fragen zum Verhältnis des Christentums zum Buddhismus. Wer sich aber hier orientieren möchte, findet eine Fülle von Anregungen und wichtigen Gesichtspunkten in den Werken von Heinrich Dumoulin (z. B. „Östliche Meditation und christliche Mystik”, München 1966) und Hugo M. Enomiya-Lassalle (z. B. „Zen-Buddhismus”, Köln 1966). Diese beiden Autoren stehen für viele andere, die in Japan der Zen-Meditation begegnet sind und die Übereinstimmung wesentlicher Aspekte dieses östlichen Weges mit der Mystik der alten Kirche und des christlichen Mittelalters entdeckt haben. Viele Fragen können überhaupt nur deshalb entstehen, weil dem westeuropäischen Christentum die Dimension der Mystik fast ganz verlorengegangen ist und seit der Aufklärung in allen Konfessionen der Glaube sehr stark intellektualisiert wurde.

LeerEin schwerwiegender Einwand gegen die von Graf Dürckheim vertretene „Meditation im Stil des Zen” besteht darin, daß hier gegenüber dem Hören des Wortes und dem aus diesem Hören kommenden Glauben die Erfahrung verabsolutiert werde. Was aber ist Glauben? Doch sicherlich nicht nur das Fürwahrhalten einer Botschaft, die mir verkündigt wird. Sicherlich auch nicht nur die Annahme bestimmter Wahrheiten und Erkenntnisse, die von außen an mich herangetragen werden. Weder eine intellektuelle Option, noch eine ja vorübergehende emotionale Gestimmtheit, noch eine bewußte Entscheidung meines Willens können mit Glauben gemeint sein. Ist Glaube nicht vielmehr eine tief innerliche Erfahrung, die ich etwa mit Vertrauen, Geborgenheit, Hingabe, Ichbefreiung und Erleuchtung umschreiben kann? Die Gewißheit dieser allerinnerlichsten Erfahrung ist unbezweifelbar, wenn sie auch immer neu der Anfechtung ausgesetzt ist.

LeerEs kann auch nicht mehr von Glaube und Erfahrung als Ursache und Folge die Rede sein. Nein, Glaube ist eine bestimmte Form innerer Erfahrung, die sich vielen Menschen gerade ganz neu auf dem Weg ihres Meditierens erschließt. Allerdings darf man diese Glaubenserfahrung nicht mit irgendeiner anderen Art der Erfahrung verwechseln, die man in den Kategorien experimenteller Wissenschaft vergegenständlichen kann. Ganz im Gegenteil! Hier geht es um das Sehen des Unsichtbaren, das Fühlen des Unfühlbaren, das Gewahren des Ungreifbaren, das Wissen des absolut Unwißbaren. Es ist eine Erfahrung eigener Art, die sich nicht zu rechtfertigen braucht vor einer Instanz oder Norm dieser Welt, denn sie ist nichts anderes als der Einbruch der überweltlichen Dimension in unser begrenztes zeitliches Sein.

LeerEs wird nun weiter gefragt, ob nicht das Ziel einer meditativen Versenkung als „Einswerden mit dem Alleinen” doch unvereinbar sei mit der Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen. Bei dieser Frage geht es um nichts anderes als das christliche Verständnis dessen, was der Meditierende als Vollendung seines Weges erfahren kann. In welchem Sinne muß man bei diesem Weg auch von Vereinigung und Einswerden sprechen?

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Leer(1) Zuerst geht es bei der ungegenständlichen Meditation um das Einswerden mit sich selbst, um die Überwindung des eigenen Zwiespaltes und der eigenen Selbstentfremdung. Ich löse mich von meinen vielfältigen Sinneseindrücken, von der Oberfläche des auf Gegenstände und Begriffe fixierten rationalen Bewußtseins, ich löse mich von den vielerlei Regungen meiner Gefühle und meines Willens und gelange so in einen Tiefenbereich meiner Seele, wo ich selbst die Welt der Bilder und Symbole hinter mir gelassen habe. Mein empirisches, den Dingen dieser Welt verhaftetes Ich ist gestorben. Ich habe mein wahres Selbst als Grund meines Wesens gefunden. Ich bin zur Ruhe und zum Frieden mit mir selbst gekommen. Ich bin eins geworden mit der Wirklichkeit, die mein Wesen ausmacht. Ich ahne, daß ich nur durch solch eine Vereinigung mit meiner eigenen Tiefe frei werde von meiner übermächtigen Ichsucht und damit auch frei bin, Gott und meine Mitmenschen wahrhaft zu lieben.

Leer(2) Diese Selbstfindung ist aber nur  e i n  Aspekt der durch Meditation ge schenkten Einheitserfahrung. Wenn ein Mensch zu dieser Verinnerlichung gelangt, wird er dessen gewahr, was noch innerlicher als sein Innerstes ist. Er wird erfahren, daß im Unterschied zu seinem Ich das Selbst nicht in sich verschlossen und nur auf sich bezogen ist, sondern sich vielmehr öffnet in eine unendliche Weite. Das Einswerden mit sich selbst ist zugleich auch immer die Vereinigung mit dem Grund, der mich trägt und umfängt, der die Quelle ist meines Selbst. Allerdings darf dieses Einswerden nun nicht so verstanden werden (und es geht hier nicht nur um ein Verstehen, sondern um ein Erleben), daß ich in diesem Grunde notwendigerweise aufgehe wie der Tropfen im Ozean und so der Unterschied zwischen meinem Selbstsein als Geschöpf und der Quelle meines Daseins aufgehoben würde. Andererseits kann hier aber auch nicht mehr von einem bloßen Gegenüber oder von einer dialogischen Struktur gesprochen werden. Dies sind alles unzulängliche Denkfiguren, durch die diese Weise der Einheit überhaupt nicht gedacht und ausgesagt werden kann. Nur eine paradoxe Redeweise ist diesem Sachverhalt gemäß.

LeerDenn ebenso wie das, was mir innerlicher als mein Innerstes ist, zugleich auch immer höher ist als mein Höchstes, wie also das mir Immanente immer auch das mir absolut Transzendente ist, so erfahre ich gerade durch das Einswerden mit meinem Grund die Unaufhebbarkeit meines Selbst, wobei natürlich nicht zu leugnen ist, daß unter bestimmten Umständen und Voraussetzungen das Selbst auch in diesem Grund versinken kann. Das schon von den Kirchenvätern gebrauchte Bild von der Verbindung von Eisen und Feuer ist geeignet, dieses paradoxe Ineinander von inniger Einheit bei weiterbestehender Zweiheit besser als jede begriffliche Formulierung zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht könnte man auch sagen: Ich gewahre mich als Tropfen im weiten und tiefen Meer des göttlichen Grundes, aber der Tropfen zerfließt nicht in eine Alleinheit, sondern er bleibt Tropfen!

Leer(3) Damit kommen wir zum dritten Aspekt dieser Einheit, derer ich auf dem Weg der Meditation innewerde. Wenn ich durch Verinnerlichung mein Selbst finde, wenn ich erfahre, wie dieses Selbst getragen und umfangen ist von einem absoluten Grund, so erkenne ich zugleich, daß dieser tiefste Grund niemand anderes ist als Jesus Christus, nicht mehr nur als historischer Jesus, als Objekt unserer rationalen Erkenntnis, sondern als der die Ewigkeit durchwaltende und den Kosmos umfassende Christus. Alle welthafte Vorfindlichkeit wird nun von seiner der bloß geschichtlichen Existenz entschränkten Allgegenwart durchdrungen, umgriffen und überstiegen. Daß ER zur Rechten des Vaters sitzt, kann doch nur heißen, daß mit ihm unser ganzes Menschsein in die göttliche Überweltlichkeit erhoben wurde und nun der Makrokosmos unseres Weltalls ebenso wie der Mikrokosmos unseres Seelengrundes sein Prägezeichen trägt, von ihm durchwaltet und durchlebt wird.

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LeerWorin besteht nun aber diese Prägung? Was ist sozusagen die Struktur meines Grundes, um mit Graf Dürckheim zu sprechen, meines Wesens? Als Christ, der diesen Weg der Meditation geht, kann ich es nicht anders sagen: Die Tiefendimension meines Seins ist durchwaltet vom Passah-Charakter des Weges Jesu. Sie ist geprägt von der Hingabe des Sohnes an den Vater, von seiner Auferstehung und Erhöhung in die Fülle der Gottheit. Da das Liebesopfer Jesu die Aufgabe seines empirisch vorfindlichen Ichs einschließt und die Auflösung seiner irdischen Gestalt zur Folge hat, eröffnet sich auch für mich der Weg zu meinem wahren Wesen in Christus erst durch den Tod meines der Welt verfallenen Ichs. Durch das Innewerden von Jesu Sterben werde ich von aller irdischen Vorfindlichkeit gelöst und von meiner Ichverhaftung befreit. Mein Einswerden mit dem Passahweg Jesu macht mich frei von der Eigenmacht meines auf die gegenständliche Welt fixierten Ichs und führt mich in die dunkle Nacht der Sinne, des Denkens, des Fühlens und des Wollens.

LeerDiese Ichverleugnung, diese Erfahrung der Leere und des Nichts, ist aber nichts anderes als die Entdeckung meines wahren Wesens in Christus. Durch diesen Ichverlust finde ich den Kern meiner Person, mein in Christus lebendes wahres Selbst. Indem alles gegenständliche Denken, Fühlen und Wollen radikal relativiert wird und ich auf diese Weise der Welt absterbe, eröffnet sich mir gnadenhaft das Reich Gottes, die Pneuma-(die Geist-)Wirklichkeit des Ungeschaffenen, die nicht von dieser Welt ist. Durch das momentane Aufleuchten dieser letzten Vollendung kann ich jetzt schon Sinn und Ziel alles Endlichen erfahren: Seine Alleinheit in Christus. Und ich werde ganz frei für die Liebe zu dem Mitmenschen an meiner Seite, der wie ich geborgen ist in der Ewigkeit Gottes.

LeerEine letzte wichtige, immer wieder gestellte Frage ist noch, in welchem Verhältnis das Wort Gottes und die Sakramente der Kirche zu diesem inneren Weg stehen. Völlig falsch wäre es, wie es bedauerlicherweise manchmal geschieht, diesen Weg nach Innen als einen Gegensatz oder sogar als eine Alternative zu der uns in Wort und Sakrament angebotenen göttlichen Gnade zu verstehen. Schon durch die Taufe haben wir ja dieses unauslöschliche Siegel unseres Christseins empfangen: Tod und Auferstehung Jesu sind uns eingeprägt. Unser ganzes Dasein gewinnt erst dadurch seinen Sinn, daß wir diese Tiefe unseres Lebens auch tatsächlich erfahren, dieser Christuswirklichkeit bewußt werden und zu ihr mit Leib und Seele Ja sagen. In der Feier der Eucharistie wird diese Tiefendimension unseres Lebens immer neu erschlossen durch die Verkündigung des Evangeliums und die Teilnahme am Heiligen Mahl. Durch Essen und Trinken der gesegneten Gaben vereinigen wir uns mit dem für uns gestorbenen und auferstandenen Herrn. Das Gedächtnis seines Todes und seiner Erhöhung ist unendlich viel mehr als eine bloße Erinnerung an ein vergangenes historisches Ereignis. Es vergegenwärtigt das Geschehen des Heils und erschließt uns die allumfassende Wirklichkeit des Passahweges Jesu zum Vater, die auch die Tiefe unserer eigenen Seele prägt und umgreift.

LeerDas Evangelium ist der immer neue Ruf, sich dieser Dimension unseres wahren Wesens zu öffnen und auch in schicksalhaften Ereignissen unseres Lebens wie inneren Krisen, Krankheiten und dem Abschied von unseren Mitmenschen diesen „Hinübergang” zu erkennen und seine Kraft innerer Verwandlung zu erfahren (hierzu s. meinen Aufsatz Quatember 1/1977: „Kurze christliche Rechenschaft über mystische Erfahrungen”). Der oft so verschlungene Weg unseres Lebensschicksals, unser Weg mit dem Volke Gottes und seiner Überlieferung des Heils und der innere Weg, den wir in der Meditation uns zu gehen bemühen, sind im Grunde nicht etwas Verschiedenes, sondern bilden zutiefst eine innere Einheit. Diese gilt es zu erfahren und durch Erfahrung zu erkennen.

Quatember 1985, S. 153-157

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-10
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