Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1985
Autoren
Themen
Stichworte

Die Evangelische Michaels-Bruderschaft
von Rudolf Spieker

LeerNoch heute begegnet man evangelischen Christen, die durchaus in der Kirche engagiert sind, aber dennoch nichts von evangelischen Bruder- und Schwesternschaften wissen, noch nie von Taizé, geschweige denn von der Michaelsbruderschaft gehört haben. Oft heißt es, unsere Bruderschaft habe lange Zeit ihre Existenz verschwiegen. Die Zeit, da man ganz im Verborgenen blieb, um die zarte Pflanze nicht zertreten zu lassen, ist jedoch recht kurz gewesen. Vier Jahre nach der Stiftung schreibt Wilhelm Stählin im „Michaelisbrief 1935”: „Längst wissen die meisten Mitglieder des Berneuchener Kreises, daß es innerhalb des großen Kreises eine Bruderschaft gibt, daß sie Michaelsbruderschaft heißt, und daß sie der eigentliche Träger und Rückhalt unserer Arbeit ist. ” Damit weist er hin auf einen Aufsatz von Rudolf Spieker, den wir hier auszugsweise wiedergeben. Dieser Aufsatz war kurz vorher in einem Sonderheft der Zeitschrift „Eine heilige Kirche”, herausgegeben von Friedrich Heiler, über „Evangelische Orden und Bruderschaften ” erschienen.

Leer . . Die Michaels-Bruderschaft hat wenig Jahre nach ihrer Stiftung die Probe auf ihren Bestand durchzumachen gehabt. Denn die Wogen des kirchenpolitischen Kampfes schlugen auch in ihr Schiff. Glieder der Bruderschaft sind, je nach Landschaft und örtlichen Verhältnissen, in verschiedene Fronten gerissen worden, es standen einige in vorderster Reihe, eine ganze Anzahl trägt die Wunden und Narben des Kirchenkampfes am eigenen Leibe. Es ist von manchen Seiten der Michaels-Bruderschaft schwer verdacht worden, daß sie nicht eine einheitliche kirchenpolitische Parole ausgegeben und ihre Glieder auf eine Seite festgelegt hat. Ebenso war es ein Wagnis, durch das Unterlassen einer Paroleausgabe das Gegeneinander-stehen von Brüdern, wenn auch an verschiedenen Frontabschnitten, zu verursachen. Wenn man rückschauend den Weg der Bruderschaft überdenkt, so kann man erschrecken, auf welch schmalem Grat zwischen Abgründen hüben und drüber sie geführt worden ist. Bei dieser Gratwanderung wurde sie fest auf ihrem Wege erhalten allein durch das Wissen darum, daß ihr ein Pfand anvertraut sei, welches nicht im Tagesstreit verschleudert werden darf, sondern hindurchgerettet werden muß durch alle kirchenpolitischen Verwirrungen bis zur wirklichen Neugestaltung der evangelischen Kirche. Es war der Bruderschaft bei dieser Haltung wahrlich nicht darum zu tun, sich zu schonen und ihren Bestand zu sichern. Die Bereitschaft zum Einsatz bestand immer. Aber die Stunde des Einsatzes ist, so war ihre Überzeugung, nicht von der Kirchenpolitik her zu bestimmen. Sie wird auch nicht von dorther bestimmt. Die Michaels-Bruderschaft wartet darauf, daß die Kirche selbst, und nicht mehr eine kirchenpolitische Kampfgruppe, sie ruft zu Aufgaben, die ihr gemäß sind.

Linie

Leer. . . (Es) drängt sich die Frage auf, welches der bekenntnismäßige Ort sei, an welchem die Michaels-Bruderschaft steht, ob ihr Tun überhaupt „noch” als evangelisch anzusprechen und sie nicht in erheblichem Maße „katholisierender Tendenzen” verdächtig sei. Hierzu ist geschichtlich zu sagen, daß der Ausgangspunkt der Berneuchener Bewegung die Wiederentdeckung der Rechtfertigung aus dem Glauben war, und zwar nicht als einer begrifflichen Lehre, sondern als eines lebenschaffenden Aktes, durch welchen Gott sündige Menschen wandelt und eine gefallene Welt erneuert. Gerade der Römerbrief scheint uns heute einer ganz neuen Würdigung zu bedürfen, welche heraushebt, wie die Kapitel 5-8 wirklich von einer Heiligung des Lebens bis in das Leibliche hinein reden, und zwar aus Kräften heraus, die in Römer 6 durchaus als sakramental beschrieben sind. Das sind Erkenntnisse, die in Luthers Römerbriefvorlesung ausgesprochen liegen, die aber in der „protestantischen”, d. i. polemischen Verwendung der Rechtfertigungslehre zum Kampf gegen die „Werke” bis zur Leugnung eines echten Weges der Heiligung und alles geistlichen Wachstums verloren gegangen sind.

LeerEbenso drängt Luthers Sakramentsauffassung, nämlich die Verleiblichung Christi im Sakrament, dahin, daß um diesen Mittelpunkt sich alles Leben der Kirche gruppiere und gleichsam wie in wachsenden Ringen darum lege, also daß auch Verfassung und Verwaltung der Kirche noch eine Bezeugung von der Gegenwart Christi in der irdischen Welt sind. Die lutherischen Kirchen ermangeln lediglich der Konsequenz, weil sie nicht gewagt haben, aus diesem Ansatz auch die äußere Gestalt der Kirche zu entwickeln. - Mit dieser zentralen Stellung, die hier dem Sakrament des Altars zugewiesen wird, wird dem Gedanken nicht zu nahe getreten, daß die Kirche nur durch das „Wort” begründet und erhalten werde. Denn das „Wort”, aus dem sie lebt, ist eben nicht das nominalistisch verengte, in Buchstaben gefaßte Wort, sondern das Wort, welches Gott bei der Schöpfung sprach, welches allen Dingen zugrunde liegt, welches Fleisch ward in Christus, durch welches wir aus dem Tode ins Leben gerufen und geistlich erhalten werden. Man lese einmal Luthers Weihnachtspredigt über Joh. 1 aus der Wartburg-Postille 1522 daraufhin durch und überzeuge sich, in welcher Fülle und umfassenden Weite hier das „Wort” verstanden ist: „Dermaßen allhier Gott Sein Wort so von sich spricht, daß Seine ganze Gottheit dem Wort folget und von Natur im Wort bleibet und wesentlich ist ... Hier bringt das Wort das ganze Wesen mit sich und ist ebenso voller Gott als der, des Bild oder Wort es ist.”

LeerWie tief Luther noch in der gesamtkirchlichen Überlieferung steht, wird bei seiner Begehung des Kirchenjahres deutlich. Wir kehren hier also nur zu einem verlorengegangenen Erbe zurück, wenn wir in der Ordnung des Kirchenjahres wieder Gedenktage und Feste zu Ehren bringen, die dem heutigen evangelischen Kirchenvolk fremd sind. Daß wir dabei auch die römische Tradition befragen, wo sie ein gesamtkirchliches Erbe treu bewahrt hat, daß wir uns von ihr beschämen lassen, wenn wir wahrnehmen müssen, in welchem Reichtum die Heilige Schrift, vor allem auch das Alte Testament und die Psalmen, dort bei den Begehung des Kirchenjahres uns entgegentritt, daß wir uns durch die Lesungen der Väter darauf stoßen lassen, welche Seiten des Schriftverständnisses wir übersehen haben - aus all dem machen wir kein Hehl. Ebenso wenig daraus, daß uns an der Ostkirche ein neues und lebendiges Verständnis der Osternacht als des Angelpunktes des Kirchenjahres aufgegangen ist; damit ist uns die Auferstehungswirklichkeit so sehr in den Vordergrund gerückt, daß uns von daher die notwendige Verbindung, ja das Ineinander von Karfreitag und Ostern sichtbar wurde - der Tod ist verschlungen in den Sieg - und insbesondere das Sakrament ganz in die Freude der Ostergewißheit eingetaucht wird . . . Wir sind also durch den inneren Weg, den wir geführt werden, hineingeführt worden in das Leben der Una Sancta. Wir nehmen auch damit wieder auf, was den Kirchen der Reformation am Herzen lag, wie sie selber bekannt haben.

Linie

LeerVon diesen Voraussetzungen aus hat sich für die Michaels-Bruderschaft die Berührung mit den lutherischen Kirchen des Nordens ungesucht und ganz von innen heraus ergeben. Die Brücke ist dadurch geschlagen worden, daß diesseits und jenseits der Ostsee der Gedanke der Kirche erwacht ist und daß Menschen, die solchen Anteil am Leben der Kirche einander abspürten, miteinander ins Gespräch kamen und entdeckten, daß sie auf dem gleichen Wege seien, ja sogar auf dem Wege bruderschaftlicher Bindung, auf welchen sie durch kirchliche Not und Vereinsamung gedrängt waren. Dieser Austausch mit dem Luthertum des Nordens (in welchen auf deutschem Boden auch die Hochkirchliche Bewegung und vom Ausland vor allem die Anglikanische Kirche, aber auch das Luthertum im Südostraum Europas mit einbezogen ist) findet nicht auf großen ökumenischen Veranstaltungen statt, sondern in der schlichten Form der menschlichen Begegnung und in Tagen gemeinsamen Lebens. Es ist schwer zu beschreiben, welche Stärkung es für uns Deutsche mitten in den Spannungen des Kirchenkampfes war, uns mit diesen Brüdern aus stammverwandten Völkern in der Gemeinsamkeit des Glaubens zu finden. Umgekehrt bezeugen diese uns, daß sie von dieser neugeschenkten Gemeinschaft des Glaubens nicht mehr zurücktreten wollen, wie es Pfarrer Dr. G. Rosendal in Osby nach der letzten Tagung der Michaels-Bruderschaft in Ratzeburg (1934) in einem rückschauenden Bericht zum Ausdruck gebracht hat. „Wir können keinen Augenblick daran denken, uns von unseren Brüdern jenseits der Ostsee zu isolieren. Sie sind unsere Brüder, mehr als dem Namen nach. Wir sind durch ein unauflösliches Band mit ihnen verbunden. Haben wir nicht zusammen gebetet, gemeinsam auf das Wort gelauscht und Gemeinschaft gefunden durch den Herrn selbst im Altarsakrament? Die deutsche Kirche leidet! Heißt es nicht, wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit?

Leer . . . Und wenn nun der Schreiber dieser Zeilen in stiller Stunde, in tiefer Ergriffenheit sich fragt: wo warst du? in welchem Lande? So antwortet sein Herz: du warst nicht unter einem fremden Volke, du warst unter den Brüdern, du warst in der Kirche Christi.”

LeerDie Michaels-Bruderschaft ist mit ganz bestimmten irdischen Orten verbunden, welche Stationen auf ihrem Wege bedeuten. Ihren Ausgang nahm sie von der kleinen Kreuzkapelle in Marburg, die uns einst aufnahm und umschloß wie eine Höhle, als wir in der Zerrissenheit und Heimatlosigkeit unserer Lage Zuflucht suchten in der Kirche. Als der Kreis gewachsen war, feierten wir in St. Elisabeth, deren Türme und weite Hallen wir im Geiste vor uns schauten als ein leuchtendes Bild, welches uns in einem schweren Jahr der Kirche tröstete. Der letzte Ort, an den wir geführt wurden, ist der romanische Dom Heinrichs des Löwen zu Ratzeburg, der mit seiner breit ausladenden Wucht vor uns steht wie eine ragende Gottesburg, mitten hineingestellt in eine große und ernste Landschaft des ehemaligen deutschen Koloniallandes. Er verkörpert uns am klarsten die Kampfaufgabe, welche in einem für die Kirche noch zu erobernden Gebiet einer Michaels-Bruderschaft gestellt ist.

Quatember 1985, S. 177-180

Der vollständige Artikel aus den Jahresbriefen 1935

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-10
Haftungsausschluss
TOP