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von Rudolf Spieker |
Noch heute begegnet man evangelischen Christen, die durchaus in der Kirche engagiert sind, aber dennoch nichts von evangelischen Bruder- und Schwesternschaften wissen, noch nie von Taizé, geschweige denn von der Michaelsbruderschaft gehört haben. Oft heißt es, unsere Bruderschaft habe lange Zeit ihre Existenz verschwiegen. Die Zeit, da man ganz im Verborgenen blieb, um die zarte Pflanze nicht zertreten zu lassen, ist jedoch recht kurz gewesen. Vier Jahre nach der Stiftung schreibt Wilhelm Stählin im „Michaelisbrief 1935”: „Längst wissen die meisten Mitglieder des Berneuchener Kreises, daß es innerhalb des großen Kreises eine Bruderschaft gibt, daß sie Michaelsbruderschaft heißt, und daß sie der eigentliche Träger und Rückhalt unserer Arbeit ist. ” Damit weist er hin auf einen Aufsatz von Rudolf Spieker, den wir hier auszugsweise wiedergeben. Dieser Aufsatz war kurz vorher in einem Sonderheft der Zeitschrift „Eine heilige Kirche”, herausgegeben von Friedrich Heiler, über „Evangelische Orden und Bruderschaften ” erschienen. . . Die Michaels-Bruderschaft hat wenig Jahre nach ihrer Stiftung die Probe auf ihren Bestand durchzumachen gehabt. Denn die Wogen des kirchenpolitischen Kampfes schlugen auch in ihr Schiff. Glieder der Bruderschaft sind, je nach Landschaft und örtlichen Verhältnissen, in verschiedene Fronten gerissen worden, es standen einige in vorderster Reihe, eine ganze Anzahl trägt die Wunden und Narben des Kirchenkampfes am eigenen Leibe. Es ist von manchen Seiten der Michaels-Bruderschaft schwer verdacht worden, daß sie nicht eine einheitliche kirchenpolitische Parole ausgegeben und ihre Glieder auf eine Seite festgelegt hat. Ebenso war es ein Wagnis, durch das Unterlassen einer Paroleausgabe das Gegeneinander-stehen von Brüdern, wenn auch an verschiedenen Frontabschnitten, zu verursachen. Wenn man rückschauend den Weg der Bruderschaft überdenkt, so kann man erschrecken, auf welch schmalem Grat zwischen Abgründen hüben und drüber sie geführt worden ist. Bei dieser Gratwanderung wurde sie fest auf ihrem Wege erhalten allein durch das Wissen darum, daß ihr ein Pfand anvertraut sei, welches nicht im Tagesstreit verschleudert werden darf, sondern hindurchgerettet werden muß durch alle kirchenpolitischen Verwirrungen bis zur wirklichen Neugestaltung der evangelischen Kirche. Es war der Bruderschaft bei dieser Haltung wahrlich nicht darum zu tun, sich zu schonen und ihren Bestand zu sichern. Die Bereitschaft zum Einsatz bestand immer. Aber die Stunde des Einsatzes ist, so war ihre Überzeugung, nicht von der Kirchenpolitik her zu bestimmen. Sie wird auch nicht von dorther bestimmt. Die Michaels-Bruderschaft wartet darauf, daß die Kirche selbst, und nicht mehr eine kirchenpolitische Kampfgruppe, sie ruft zu Aufgaben, die ihr gemäß sind. Ebenso drängt Luthers Sakramentsauffassung, nämlich die Verleiblichung Christi im Sakrament, dahin, daß um diesen Mittelpunkt sich alles Leben der Kirche gruppiere und gleichsam wie in wachsenden Ringen darum lege, also daß auch Verfassung und Verwaltung der Kirche noch eine Bezeugung von der Gegenwart Christi in der irdischen Welt sind. Die lutherischen Kirchen ermangeln lediglich der Konsequenz, weil sie nicht gewagt haben, aus diesem Ansatz auch die äußere Gestalt der Kirche zu entwickeln. - Mit dieser zentralen Stellung, die hier dem Sakrament des Altars zugewiesen wird, wird dem Gedanken nicht zu nahe getreten, daß die Kirche nur durch das „Wort” begründet und erhalten werde. Denn das „Wort”, aus dem sie lebt, ist eben nicht das nominalistisch verengte, in Buchstaben gefaßte Wort, sondern das Wort, welches Gott bei der Schöpfung sprach, welches allen Dingen zugrunde liegt, welches Fleisch ward in Christus, durch welches wir aus dem Tode ins Leben gerufen und geistlich erhalten werden. Man lese einmal Luthers Weihnachtspredigt über Joh. 1 aus der Wartburg-Postille 1522 daraufhin durch und überzeuge sich, in welcher Fülle und umfassenden Weite hier das „Wort” verstanden ist: „Dermaßen allhier Gott Sein Wort so von sich spricht, daß Seine ganze Gottheit dem Wort folget und von Natur im Wort bleibet und wesentlich ist ... Hier bringt das Wort das ganze Wesen mit sich und ist ebenso voller Gott als der, des Bild oder Wort es ist.” Wie tief Luther noch in der gesamtkirchlichen Überlieferung steht, wird bei seiner Begehung des Kirchenjahres deutlich. Wir kehren hier also nur zu einem verlorengegangenen Erbe zurück, wenn wir in der Ordnung des Kirchenjahres wieder Gedenktage und Feste zu Ehren bringen, die dem heutigen evangelischen Kirchenvolk fremd sind. Daß wir dabei auch die römische Tradition befragen, wo sie ein gesamtkirchliches Erbe treu bewahrt hat, daß wir uns von ihr beschämen lassen, wenn wir wahrnehmen müssen, in welchem Reichtum die Heilige Schrift, vor allem auch das Alte Testament und die Psalmen, dort bei den Begehung des Kirchenjahres uns entgegentritt, daß wir uns durch die Lesungen der Väter darauf stoßen lassen, welche Seiten des Schriftverständnisses wir übersehen haben - aus all dem machen wir kein Hehl. Ebenso wenig daraus, daß uns an der Ostkirche ein neues und lebendiges Verständnis der Osternacht als des Angelpunktes des Kirchenjahres aufgegangen ist; damit ist uns die Auferstehungswirklichkeit so sehr in den Vordergrund gerückt, daß uns von daher die notwendige Verbindung, ja das Ineinander von Karfreitag und Ostern sichtbar wurde - der Tod ist verschlungen in den Sieg - und insbesondere das Sakrament ganz in die Freude der Ostergewißheit eingetaucht wird . . . Wir sind also durch den inneren Weg, den wir geführt werden, hineingeführt worden in das Leben der Una Sancta. Wir nehmen auch damit wieder auf, was den Kirchen der Reformation am Herzen lag, wie sie selber bekannt haben. . . . Und wenn nun der Schreiber dieser Zeilen in stiller Stunde, in tiefer Ergriffenheit sich fragt: wo warst du? in welchem Lande? So antwortet sein Herz: du warst nicht unter einem fremden Volke, du warst unter den Brüdern, du warst in der Kirche Christi.” Die Michaels-Bruderschaft ist mit ganz bestimmten irdischen Orten verbunden, welche Stationen auf ihrem Wege bedeuten. Ihren Ausgang nahm sie von der kleinen Kreuzkapelle in Marburg, die uns einst aufnahm und umschloß wie eine Höhle, als wir in der Zerrissenheit und Heimatlosigkeit unserer Lage Zuflucht suchten in der Kirche. Als der Kreis gewachsen war, feierten wir in St. Elisabeth, deren Türme und weite Hallen wir im Geiste vor uns schauten als ein leuchtendes Bild, welches uns in einem schweren Jahr der Kirche tröstete. Der letzte Ort, an den wir geführt wurden, ist der romanische Dom Heinrichs des Löwen zu Ratzeburg, der mit seiner breit ausladenden Wucht vor uns steht wie eine ragende Gottesburg, mitten hineingestellt in eine große und ernste Landschaft des ehemaligen deutschen Koloniallandes. Er verkörpert uns am klarsten die Kampfaufgabe, welche in einem für die Kirche noch zu erobernden Gebiet einer Michaels-Bruderschaft gestellt ist. Quatember 1985, S. 177-180 Der vollständige Artikel aus den Jahresbriefen 1935 |
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