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Zur Frage des Ökumenischen Rates:
„Was heißt apostolischer Glaube heute?”

von Reinhard Mumm

I.

LeerWir kennen das Stichwort „Lima-Dokumente”. Die Kommission für Glaube und Kirchenverfassung im Ökumenischen Rat der Kirchen hat 1982 in Lima, der Hauptstadt von Peru, Konvergenz-Erklärungen über die Taufe, die Eucharistie und das Amt verabschiedet. Jahrelange weltweite Beratungen waren vorangegangen. Die beschlossenen Lima-Dokumente haben ein besonderes Gewicht, weil namhafte römisch-katholische Theologen mit Wissen und Willen ihrer Kirche gleichberechtigt mitgearbeitet haben. Vor dreißig Jahren war es katholischen Theologen ausdrücklich verboten worden, im Ökumenischen Rat mitzuarbeiten. Nun gibt es geordnete Formen der Zusammenarbeit, sogar in Fragen der Lehre und der Ordnung der Kirche.

LeerDie Lima-Dokumente haben einen Widerhall in den Kirchen der Welt gefunden wie zuvor keine andere Äußerung des Ökumenischen Rates. In vielen Sprachen wurden sie verbreitet. Kommissionen und Konferenzen, Bischöfe und Synoden haben sich dazu geäußert. Hinzu kommen positive und kritische Stellungnahmen von einzelnen Theologen, aber auch von Gemeindekreisen. Wie ich hörte, wird man im Stab in Genf 40.000 Seiten lesen und verarbeiten müssen, um einen Überblick über das weltweite Echo zu gewinnen. Dabei ist zu beachten: Es handelt sich um Konvergenz-Erklärungen, nicht um Konsens-Erklärungen und schon gar nicht um Unions-Beschlüsse. Man hat festgehalten, wo und wie die durch Jahrhunderte getrennten Kirchen sich einander zuneigen in Fragen der Taufe, des Altarsakramentes und des geistlichen Amtes (convergere heißt einander zuneigen, daher „Konvergenz-Erklärungen”).

LeerAllen ist bewußt, daß Unterschiede bleiben; aber sie geben immer weniger Grund, sich abzugrenzen oder gar zu befehden, wie das so lange geschah. Vielmehr erkennen wir zunehmend die gemeinsamen Wurzeln, den gemeinsamen Stamm, und wir fangen neu an, einander zu verstehen. Die Akzente werden verschieden gesetzt; aber die alle tragende Mitte wird erkannt, und es gibt Ratschläge bis in die Praxis hinein, wie wir das aufnehmen können und sollen. So wird uns, den evangelischen Gemeinden und Kirchen, empfohlen, die Taufe wirklich als Begießungstaufe zu vollziehen. Die Taufe von Heranwachsenden und Erwachsenen nimmt ohnehin zu bei uns, im Osten wie auch im Westen. Uns wird weiter empfohlen, an jedem Sonntag in einem Gottesdienst das Herrenmahl zu feiern, nicht anhangsweise, sondern im Gottesdienst. Wir sind gebeten, mit den konsekrierten Elementen würdig umzugehen. Wenn die relicta sacramenti (das übrig gebliebene gesegnete Brot und der Wein im Kelch) nicht unmittelbar anschließend an Kranke ausgeteilt werden, sollte man sie verzehren. Die Ordination zum Amt soll nach eindeutigen Ordnungen erfolgen. Wo es möglich ist, könnten bei der Einführung eines Bischofs solche Bischöfe beteiligt werden, die auch historisch in der apostolischen Sukzession stehen, wie z. B. die Bischöfe in Schweden.


II.

LeerDie Lima-Dokumente beschränken sich auf die drei wichtigen Themen: Taufe, Eucharistie und Amt. Allen Beteiligten war und ist klar, daß diese Themen neue Überlegungen herausfordern über die Grundlagen des Glaubens. Darum hat man im Ökumenischen Rat die Frage an alle Mitglieds-Kirchen gerichtet: „Was heißt apostolischer Glaube heute?” Noch ist man in manchen Kirchen und Gemeinden, vor allem aber in der Zentrale in Genf, mit den Lima-Dokumenten befaßt. Was die Stellungnahmen enthalten, muß noch gesichtet, geprüft und zusammengefaßt werden. Während dieser Vorgang noch läuft, befassen wir uns bereits mit der Frage nach den Grundlagen des Glaubens. Eins greift in's andere. Das ist sachlich berechtigt. Die vom Ökumenischen Rat ausgegebene Frage ist genau zu betrachten. Sie fragt nach dem apostolischen Glauben. Von daher erhält alles seinen Grund und sein Profil. Als evangelische Christen fühlen wir uns berufen, von der Heiligen Schrift her zu erheben, was Glaube für die Christenheit bedeutet und was sein Inhalt ist. Welchen Glauben bezeugen die Apostel und Evangelisten im Neuen Testament? Was hat die frühe Christenheit unter „Glaube” verstanden? Da kommen wir auf die drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse, die von den Reformatoren anerkannt und übernommen wurden. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dem Bekenntnis von Nicäa und Konstantinopel, das bei uns oft allzusehr im Schatten bleibt. In welcher Weise sind die Bekenntnisse der Reformation als apostolisch zu betrachten? Solche Fragen suchen eine Antwort.

LeerDie ökumenische Frage trägt einen weiteren Akzent in dem Wort heute. Wir dürfen nicht in dogmatischen und historischen Überlegungen stecken bleiben, so wichtig diese auch sind. Wir werden gefragt nach dem apostolischen Glauben heute, in unserer Zeit. Wir müssen uns ein Urteil bilden über die Gegenwart und die Christen heute. Wie verhält sich der apostolische Glaube zu dem Zeitalter der Wissenschaft, der Technik, der großen politischen und sozialen Probleme? Wie verhält er sich zum Kosmos, der immer mehr erforscht wird? Wie kann der apostolische Glaube gegenüber den Kindern dieser Zeit bezeugt werden? Täglich stehen wir Pfarrer vor dieser Aufgabe. Nun aber geht es darum, in ökumenischer Weite und möglichst übereinstimmend mit Orthodoxen und Freikirchlern, mit Katholiken und Anglikanern den einen, uns alle tragenden und verbindenden apostolischen Glauben heute zu bezeugen.


III.

LeerEhe die Frage ausgegeben wurde „Was heißt apostolischer Glaube heute?”, ging einiges voraus:

Leer1. Man hat sich 1981 auf das II. Ökumenische Konzil in Konstantinopel vom Jahre 381 besonnen. Dieses Konzil gab dem Bekenntnis, das wir abgekürzt das nizänische nennen, seine seither gültige Gestalt. Die Präsidenten des Ökumenischen Rates nahmen in ihrer Pfingstbotschaft von 1981 darauf Bezug. Sie erklärten - allen voran Willem Visser't Hooft, der jüngst heimgegangene Ehrenpräsident -: „Durch unser Bekenntnis zum Dreieinigen Gott bleiben wir mit unserem heutigen Gottesdienst in der Tradition der Kirche des Neuen Testaments . . . Das Nicaeno-Konstantinopolitanum ist als das meistbenutzte aller Glaubensbekenntnisse das Fundament für die Einheit der Christen und ein Prüfstein für die ökumenische Bewegung.” - An dieser Stelle stocken wir schon; denn bei uns wird offensichtlich das „Apostolische Glaubensbekenntnis” am meisten benutzt, das westliche Bekenntnis, während die Ostkirchen sich an das Nicaenum halten. Hier wäre bei uns ein Lernprozeß einzuleiten mit dem Ziel, in unseren Gottesdiensten weit stärker als bisher das Nicaenum zu beleben. Der Konfirmandenunterricht, Bibelstunden, Hauskreise, Akademien hätten die Aufgabe, das Nicaenum zu erklären und den Christen nahe zu bringen.

LeerDie Präsidenten des Ökumenischen Rates haben 1981 weiter gesagt: „Das II. Ökumenische Konzil ist nicht lediglich ein historisches Ereignis, sondern dient auch heute den Christen als Quelle der Inspiration. Geleitet vom Heiligen Geist war es diesem Konzil möglich, Spannungen und Konflikte zu lösen, die Wahrheit des Evangeliums zu bezeugen und Irrtümer unnachgiebig zurückzuweisen.” Das heißt, der apostolische Glaube lebt im Spannungsfeld zwischen dem Zeugnis der Väter und der Gegenwart. Man kann neu entdecken, wie aktuell das ist, was damals geschah.

Leer2. Zum gleichen Jubiläum haben sich 1981 die Katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland geäußert. Altkatholiken und mehrere Freikirchen haben sich dem angeschlossen. Diese Erklärung weist daraufhin: Das Nizänum sei „das einzige ökumenische Glaubensbekenntnis, das die östliche und die westliche, die römisch-katholische und die reformatorische Christenheit durch alle Trennungen hindurch verbindet. Es ist der Gemeinde vor allem aus dem Gottesdienst vertraut. Von alten und neuen Meistern ist es immer wieder für die musikalische Darbietung in der Messe vertont worden.” Durch das Bach-Jahr 1985 fühlen wir uns an die h-moll-Messe erinnert. Bachs Komposition ist eine der tiefsinnigsten Auslegungen dieses umfassenden Bekenntnisses der Christenheit.

LeerBischof Lohse, Kardinal Hoeffner und die übrigen leitenden Persönlichkeiten sagen weiter: „Diese gemeinsam bezeugte Wahrheit des Evangeliums zeigt, daß die Trennung unserer Kirche nicht bis in die Wurzel gegangen ist. Die Gemeinsamkeit im Bekenntnis zum Dreieinigen Gott ist unaufgebbare Bedingung für die Einheit der einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche.” - Damit wird denen eine Absage erteilt, die vor allem die Grund-Differenz herauskehren wollen. Wir leben nicht von den Grund-Differenzen, sondern von der in Christus uns gegebenen grundlegenden Einheit. Im Fortgang erklärt dieses Wort westdeutscher Kirchenleitungen kurz die drei Artikel des Glaubens im Blick auf uns heute. Auf diesen Versuch, den apostolischen Glauben heute in Worte zu fassen, wird man zurückgreifen müssen.

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Leer3. Einen dritten beachtlichen Vorstoß unternahm die 3. Europäische Ökumenische Begegnung im Oktober 1984 in Riva am Gardasee. Etwa hundert Delegierte der Konferenz Europäischer Kirchen und des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen hatten sich dort zusammengefunden. Wichtig an diesen Treffen ist ihre ökumenische und internationale Weite. Zur Konferenz Europäischer Kirchen gehören evangelische und orthodoxe Kirchen aus dem westlichen und dem östlichen Machtbereich; gleicherweise halten katholische Bischöfe Kontakt über die Grenzen hinweg.

LeerDie ausführliche Botschaft dieser Begegnung richtet sich an die Christen Europas. Wir sind berufen, unseren Glauben gemeinsam zu bekennen. Wieder erfolgt der Rekurs auf das Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel. Die Botschaft wurde bekräftigt durch eine liturgisch-symbolische Handlung; an dem Ort einer vergangenen Trennung, in der Kathedrale von Trient, haben die Delegierten mit der versammelten Gemeinde gemeinsam den apostolischen Glauben mit den Worten des Nicaenum bekannt.

LeerDazu eine Anmerkung: Bekanntlich haben wir den gleichen Wortlaut in Ost und West, mit Ausnahme des berühmten filioque (der Geist geht auch vom Sohn aus). Es gibt eingehende theologische Bemühungen, diesen alten Gegensatz aufzulockern. So lange an diesem Punkt aber noch keine Einigkeit besteht, breitet sich der Brauch aus, bei ökumenischen Gottesdiensten mit Orthodoxen das filioque fortzulassen. Das heißt noch nicht, daß wir völlig darauf verzichten; wohl aber geben wir damit zu: die ältere Fassung der ungeteilten Christenheit kannte das filioque nicht. Man kann ein glaubender Christ sein auch ohne diesen späteren Zusatz. Vor allem möchten wir gemeinsam zum Ausdruck bringen, was uns allerseits ohne Anstoß möglich ist. So verstanden können wir uns den orthodoxen Brüdern anschließen. Das besagt der 28. Satz der Botschaft an die Christen Europas.

LeerEins hebe ich noch heraus aus dieser ausführlichen Botschaft von Riva: „Eine Neuformulierung des Glaubensbekenntnisses unter Aufgabe dieser gesamtkirchlichen Tradition könnte den wesentlichen und notwendigen Zusammenhang des christlichen Glaubens an allen Orten und zu allen Zeiten gefährden.” Diese Erkenntnis mögen alle beachten, die rasch mit neuen Glaubensbekenntnissen bei der Hand sind. Private Bekenntnisse gab es oft und wird es weiter geben. Aber ein Bekenntnis der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche und gar der Christenheit insgesamt, das ist ein ander Ding. Mit Recht hat man in Riva gesagt: „Erst ein Konzil, an dem alle Kirchen wieder teilnehmen, hätte das Recht, auf der Grundlage des apostolischen Glaubens eine Neuformulierung des universalen Glaubensbekenntnisses vorzunehmen.”

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Leer4. Ebenfalls 1984 haben wir Michaelsbrüder in unserem Einkehrhaus Kloster Kirchberg in Württemberg ein Gespräch in internationaler und ökumenischer Weite geführt zu der Frage „Was heißt apostolischer Glaube heute?” Den aufregendsten Beitrag gab der frühere norwegische Bischof und derzeitige Professor am Institut des Lutherischen Weltbundes in Straßburg Per Loenning unter dem Stichwort „Eucharistische Vision”. Es ist bekannt, daß man in Lima nicht nur Konvergenzerklärungen beschloß, sondern auch einen gemeinsamen Gottesdienst nach der sogenannten Lima-Liturgie feierte. Diese Liturgie enthält altkirchliche Elemente, man spürt orthodoxe Einflüsse. Meines Wissens war es der anglikanische Bischof von Lima, der einlud, mitzufeiern. Wie zu erwarten, haben weder orthodoxe noch römisch-katholische Delegierte in Lima kommuniziert, auch in Vancouver nicht, wo ein Gottesdienst dieser Art wiederholt wurde. Aber es wird mit dem vollzogenen Gottesdienst darauf hingewiesen, daß wir zur Einheit des Glaubens nicht gelangen können allein durch theologische Gespräche und neue Formulierungen; vielmehr bedarf es des Vollzuges im Gottesdienst unter Einschluß der Koinonia (Gemeinschaft) am Tisch des Herrn.

LeerIn diesem Sinn sagt der norwegische Lutheraner Per Loenning, selber Mitglied der Bruderschaft Ordo Crucis: „Eucharistische Einheitsverwirklichungen von lehrmäßigen Konzepten abhängig zu machen, die in den Eucharistievollzug selbst nicht konstitutiv eingehen, heißt letztlich ein Nein zur ‚eucharistischen Vision’ als solcher. Diese meine Behauptung wendet sich nicht zuletzt an meine Mitlutheraner, die noch geneigt sein möchten, die Realpräsenz Jesu Christi so widersprüchlich hervorzuheben, daß sie ihre Verwirklichung de facto von einer korrekten Theorie über die Realpräsenz abhängig machen. Ebensosehr muß aber auch Abstand genommen werden von Ekklesiologien, die einen Anschluß an bestimmte kirchliche Strukturen zu einer Vorbedingung für eine wahrhaftige Eucharistiefeier machen und damit die Kirche als statisch-vorliegende Größe der Kirche als eucharistischem Vollzug überordnen. Im Licht unser ‚eucharistischen Vision’ haben wir also unmittelbar die Frage zu stellen, was einer für uns alle . . . fröhlich-unentrinnbaren Eucharistiefeier noch im Wege steht . . . Die ‚eucharistische Vision’ ist ein vorwärtstreibendes dynamisches Konzept, das uns unmittelbar daran erinnert, daß es Eile hat weiterzukommen.” Soweit Per Loenning.

LeerWir lernen daraus: zum apostolischen Glauben gehört der Vollzug des Glaubens, das gemeinsame pisteuomen - „Wir glauben” - als Lob Gottes, als Zeugnis vor den Menschen, als Absage an Unglauben und Irrglauben, als Stärkung für den gemeinsamen Weg. Es geht nicht nur um theologische Arbeit, sondern darum, Glauben neu zu wecken in der Christenheit; und dazu gehören gemeinsame gottesdienstliche Erfahrungen. Daß da noch manches Hindernis im Wege liegt, ist allen Kundigen klar.


IV.

LeerWas heißt apostolischer Glaube heute in der Weite der Christenheit? Unsere orthodoxen Brüder antworten: Das ist klar. Alle sollen sich bekennen zum gemeinsamen Glauben der frühen Christenheit der ersten fünfhundert Jahre, besonders zum Nicaeno-Constantinopolitanum. Das haben wir in den reformatorischen Kirchen ernst zu nehmen. Bei uns gibt es in dieser Hinsicht erhebliche Defizite. Wollen wir die Umfrage des Weltkirchenrates ernsthaft aufnehmen, haben wir die Aufgabe, das apostolische und das nizänische Bekenntnis in den Gemeinden auszulegen. Welche Wurzeln hat der Glaube an den Dreieinigen Gott im Neuen Testament? Was bedeutet es, daß das Zeugnis des Evangeliums Gestalt gewann in diesen Bekenntnissen? Heute wird bei uns oft die Menschlichkeit Jesu stark herausgestellt. Stehen wir voll zu dem, was Luther erklärt hat: „Wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren”? Nehmen wir heute in genügender Weise das Gericht Gottes ernst? Was ist gemeint mit der vita venturi saeculi, mit dem „Leben der kommenden Welt”? Das sind nur einige Fragen.

LeerDie Umfrage des Ökumenischen Rates nötigt uns, neu die Entscheidung der Reformatoren nachzuvollziehen, an den altkirchlichen Bekenntnissen festzuhalten. Wir müssen sie neu innerlich erwerben und uns zu eigen machen. Als der Kirchenkampf 1933 begann, da fingen die Gemeinden an, das apostolische Glaubensbekenntnis mitzusprechen. Nicht nur der Pfarrer als Vorbeter, sondern alle wollten bezeugen: „Zu diesem Glauben stehen wir angesichts der Flut des Irrglaubens, der sich breit macht.” Es wäre ein Geschenk, wenn heute in ähnlicher Weise die Gemeinde den apostolischen Glauben sich zu eigen machte. Wir Pfarrer können dazu helfen, indem wir nach Kräften das Credo auslegen in Predigten, Bibelstunden, Seminaren und Akademien, wo immer sich Gelegenheit bietet. Damit dienen wir der Seelsorge, der Lehre, der Ökumene, insgesamt dem Heil der Menschen. Dies kann in der Weise geschehen, daß wir die Aussagen des apostolischen und nizänischen Bekenntnisses vergleichen und als einander ergänzend interpretieren.

LeerZugleich werden wir auf das „heute” achten. Das bedeutet: Wir werden unsere orthodoxen Brüder und alle, die besonderen Wert auf die Tradition legen, darauf aufmerksam machen, was es hinzu zu lernen gibt. Wir haben neu den Glauben der frühen Christenheit zu studieren; sie aber sollten erkennen, was in der übrigen Christenheit zutage kam. Wir schulden der Christenheit der Welt das Zeugnis der Reformatoren. Was sagen katholische und orthodoxe Christen zu Luthers Kleinem Katechismus? Ich kann mir vorstellen, daß sie mit Freude annehmen, wie dort apostolischer Glaube ausgelegt wird. Ein ökumenisches Gespräch über Luthers Credo-Ausiegung könnte sie und uns bereichern. Von dort aus wären die Linien weiterzuführen zum Verständnis des Glaubens in der katholischen, der reformatorischen und der orthodoxen Christenheit der Gegenwart.

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LeerEs gibt weitere praktische Fragen und Aufgaben zum Thema „Apostolischer Glaube heute”. Denken wir an die Bibelübersetzungen der letzten Jahre. Da gab es Bemühungen, das Wort der Schrift den Menschen in ihrer Sprache heute nahe zu bringen. Solche Bemühungen sind wichtig und erschließen vielen neu den Zugang zur Bibel.

LeerWir haben aber auch Fehler auf diesem Gebiet erlebt. Die Revision von Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes mußte abermals revidiert werden, weil die vorige Revision mit einem Substanzverlust verbunden war. Das Wort der Schrift und der Glaube der Christenheit, sie bedürfen einer Sprache, die das Geheimnis der Offenbarung achtet und festhält. Das gilt für den Gottesdienst insgesamt; es gilt auch für unsere Predigt. Wir möchten die Menschen da erreichen, wo sie leben; aber das Evangelium erreicht sie nur, wenn es unverwechselbar und eindeutig das ganze Evangelium Jesu Christi im Geist und Sinn des Neuen Testamentes ist und bleibt und nicht lediglich einige Aspekte einseitig herausgekehrt werden.

LeerÄhnliches vollzieht sich jetzt, da wir uns um ein neues Gesangbuch bemühen. Da gibt es gute Vorschläge, Glaubenszeugnisse der gesamten Christenheit in ökumenischer Weite aufzunehmen. Wir werden auf Glaubenszeugnisse aufmerksam gemacht, die wir bislang so nicht kannten. Unser gebetetes und gesungenes Glaubensbekenntnis kann dadurch an Weite und Tiefe gewinnen. Wir begegnen aber auch einem Liedgut, das flach ist, vielleicht gern gesungen wird, aber sich nicht genügend bewährt hat. Im 19. Jahrhundert gab es eine verbreitete individualistische Frömmigkeit mit einem sentimentalen Beigeschmack. Heute werden Lieder verbreitet, die weit ab liegen von den Glaubenserkenntnissen der Reformatoren, erst recht weit ab von der frühen Christenheit. Zugleich droht die Gefahr, daß wir kostbare Lieder verlieren, weil sie der Gemeinde nicht mehr vermittelt werden.

LeerWollen wir ein neues Gesangbuch, das den apostolischen Glauben heute bezeugt, dann gilt es, von der Schrift und vom apostolischen Glauben her die Entwürfe zu prüfen. Was solcher Prüfung nicht standhält, kann in Liederhefte aufgenommen werden, und es mag sich dann zeigen, was sich bewährt. Ein Gesangbuch, das am Ende dieses Jahrhunderts erscheint, sollte Bestand haben für mindestens dreißig, vierzig Jahre und bewährtes Gut des Glaubens enthalten. Da gibt es auch Wertvolles aus unserem Jahrhundert, was den apostolischen Glauben für uns heute bezeugt.


V.

LeerFragen wir noch einmal nach dem apostolischen Glauben im Blick auf die Menschheit unserer Tage. Viele leben im Bann des Atheismus und Materialismus. Dabei ist sowohl an den theoretischen, weltanschaulichen Atheismus und Materialismus zu denken, wie auch an die praktische Gottlosigkeit und das selbstverständliche Profitdenken, wie es in westlichen Ländern verbreitet ist. Dem entgegen hat die Christenheit die Wirklichkeit Gottes zu bezeugen. Sie hat immer wieder Anlaß, klar zu machen, daß die Ideologien, sowohl idealistische wie materialistische Anschauungen, die Wirklichkeit verfehlen. Wir müssen erkennen und anderen klar machen, daß diese Welt unter der Macht der Sünde steht und durch keine menschliche Aktivität daraus zu erlösen ist. Die Botschaft von der Verlorenheit der Welt und der Erlösung allein durch Gott in Christus ist notwendig für die Völker. Der alte apostolische Glaube ist in dieser Richtung neu zu interpretieren und anzuwenden.

LeerViele Völker und einzelne Menschen, auch im Abendland, werden heute beeindruckt vom Islam oder von asiatischen Religionen. Gegenüber dem expansiven Islam haben wir den Glauben an den einen Gott zu bezeugen, der sich dreifaltig offenbart. Das Gloria Patri et filio et spiritui sancto lautete ursprünglich: „Ehre sei dem Vater durch den Sohn in dem Heiligen Geist. . .”. Besser als ein Nebeneinander leuchtet das Ineinander von Vater, Sohn und Heiligem Geist ein! - Gegenüber buddhistischen und hinduistischen Einflüssen bezeugen wir die Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung und mit der Menschheit. Es gibt einen Anfang und ein Ziel, auf das Gott uns hinführt. Gewiß haben wir von den Anschauungen und Religionen, die uns begegnen, auch etwas zu lernen; zugleich aber gilt es zu erkennen, was in Christus einmalig und endgültig uns offenbart ist. Als Beispiel für einen neuen Versuch, den apostolischen Glauben heute zu bekennen, sei die Erklärung von Manila vom Januar 1985 genannt: Diese Erklärung wurde beschlossen von neununddreißig Delegierten aus zwölf Ländern. Diese Delegierten bilden die „Asiatische Theologische Vereinigung”, in welcher siebzehn Hochschulen sich vereinigt haben. Sie erklärten:

Leer„I. Wir bekräftigen unseren Glauben an den einen, ewigen, lebendigen und persönlichen Gott, der uns durch die Bibel offenbart und im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekannt gemacht wird. Er ist der eine, uneingeschränkte Gott, der lebt und sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart.

LeerII. Wir bekräftigen, daß Gott der Schöpfer des ganzen Universums, des Lebendigen und des Leblosen, des Sichtbaren und Unsichtbaren, des Materiellen und Geistigen aus seinem guten Willen heraus ist. Er allein regiert über alle Dinge, erhält sie und ordnet sie sich unter. Wir erwarten mit Spannung die Vollendung seines Reiches in Gerechtigkeit, Macht und Herrlichkeit. Ihm allein gebührt Anbetung und Gehorsam.

LeerIII. Wir bekräftigen die einzigartige Offenbarung Gottes, des Schöpfers, in Jesus Christus, ganz Gott und ganz Mensch, unserem Erlöser und Herren, der sich durch die Menschwerdung aus Liebe nur wegen unserer Sünde mit uns in unserer völligen Menschlichkeit auf eine Stufe gestellt hat. Er ist das endgültige und allumfassende Opfer und die Sühne für unsere Sünde. Er wurde vom Tode auferweckt, um uns von der Knechtschaft der Sünde, des Ego und der satanischen Macht zu befreien, uns von Tod und ewiger Verdammnis zu erlösen und uns in Christus zu erneuern. Er ist der erste, der vom Tode auf erstanden ist, er ist unsere Hoffnung auf die Herrlichkeit in einem neuen Himmel und einer neuen Erde.

LeerIV. Wir bekräftigen, daß unser Bekenntnis zu Jesus Christus, dem ewigen Sohn Gottes, dem Messias, dem Gesalbten Gottes, der Grundstein für den Bau der Kirche ist. Wir glauben, daß die Person und das Werk Jesu Christi das zentrale Thema in der Verkündigung und Verteidigung des Evangeliums inmitten der Vielfalt von Gottheiten, inmitten konkurrierender Behauptungen von Menschen, Propheten und Halbgötter zu sein, und inmitten sozialpolitischer Erlösungsideologien ist. Er ist weder einer unter vielen Göttern, noch nur der größte aller Menschen, Lehrer, Propheten, Heiligen und Revolutionäre, sondern er ist der Eine, in dem die Fülle der Gottheit wohnt und in dem Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat.

LeerV. Wir bekräftigen, daß der persönliche, ewige und göttliche Heilige Geist die Kraft Gottes ist, die in der Offenbarung, Schöpfung und Erlösung wirkt und dadurch allen Menschen Gottes Wahrheit und Gerechtigkeit offenbart. Er überführt Männer und Frauen ihrer Sünden und gibt ihnen durch Buße und Glauben neues Leben in Christus. Er leitet die Menschen Gottes an, ermutigt, heiligt und befähigt sie durch Wort und Sakrament zur Anbetung, zum Zeugnis und zum Dienst in Asien und auch darüber hinaus. Durch ihn ist die Macht Gottes über die Welt der Geister, die vom Satan beherrscht wird, erwiesen.

LeerVI. Wir bekräftigen, daß Mann und Frau nach dem Bilde Gottes geschaffen sind und durch die Schöpfung und das Gewissen etwas von Gott wissen; aber ihr absichtlicher Ungehorsam und ihr Wunsch nach Unabhängigkeit hat zur Trennung von Gott geführt und Gottes Zorn über sie gebracht. Diese Sündhaftigkeit wird schmerzhaft deutlich in der Anbetung falscher Götter und Göttinnen, in Götzendienst, Synkretismus und in Aberglaube, in eigenen Anstrengungen und Selbstgerechtigkeit, in materialistischer und humanistischer Philosophie, in der Verselbständigung der menschlichen Vernunft und in der Verherrlichung von Wissenschaft, Technologie, Staat und Bildung. Männer und Frauen stehen in der Verdammnis Gottes, unseres Schöpfers und Erlösers, aber Gott, reich an Gnade und Barmherzigkeit, sehnt sich nach der Erlösung aller Menschen durch seinen Sohn, unseren Herrn und Erlöser, Jesus Christus.”

LeerSo haben Christen in Asien heute den apostolischen Glauben aufgenommen und bezeugt.


VI.

LeerDie Aufgabe, Antwort zu geben auf die ökumenische Umfrage „Was heißt apostolischer Glaube heute?” fordert uns heraus. Sie kann uns helfen, unseren Glauben neu zu entdecken und seiner gewiß zu werden. Sie wird uns helfen, die anderen Christen neben uns besser zu verstehen, von ihnen zu lernen und dadurch reicher zu werden an eigener Erkenntnis. Diese Aufgabe kann uns reinigen von Fehlentwicklungen, uns neu zur Mitte führen und uns des Heiles gewisser machen.

LeerEs wird nicht weit führen, wollten wir neue Glaubensbekenntnisse entwerfen; wohl aber ist es angebracht, vorhandene Versuche solcher Art daraufhin zu prüfen, ob sie Aussagen enthalten, die für eine Interpretation des apostolischen Glaubens heute wichtig sind.

LeerEin Vorbild für eine Entfaltung des Credo in unserer Zeit haben wir im Rahmen der Geschichte des Ökumenischen Rates erlebt. Als der Ökumenische Rat 1948 in Amsterdam gegründet wurde, beschloß man als Basisformel den Satz: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland bekennen.” Dreizehn Jahre später, bei der Vollversammlung in Neu-Delhi, hat man diese Basis unter dem Einfluß orthodoxer und reformatorischer Kirchen erweitert. Seither lautet sie so: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.”

LeerHier hat sich in der Ökumene des 20. Jahrhunderts etwas Ähnliches vollzogen wie in der Urchristenheit. Das erste Bekenntnis zur Zeit des Neuen Testamentes lautet: Kyrios lesus - „Herr ist Jesus”. Das war die Keimzelle des Credo. Daraus hat sich der trinitarische Glaube entfaltet. So auch heute. Zur christlichen Ökumene können nur gehören, die sich zur Basis von Neu-Delhi bekennen. Unitarier zum Beispiel können nicht Mitglied des Ökumenischen Rates werden. Der apostolische Glaube ist nicht grenzenlos; er grenzt auch ab. Vor allem aber weist er vom gegebenen Grund her nach vorn. Zum Lobe Gottes sind wir geschaffen, und wir sind berufen, zur Ehre des Dreieinigen Gottes zu wirken. In diesem Sinn ist es eine verheißungsvolle Aufgabe, sich der Frage zu stellen, was apostolischer Glaube heute heißt.

Quatember 1986, S. 4-14

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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