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Das Wunder geschieht im Hören und im Vertrauen
von Bernhard Maurer

Die Predigt eines Physikers und die Predigt eines Theologen über Die Hochzeit von Kana (Johannes 2,1-11)

LeerVon einer peinlichen Verlegenheit handelt diese biblische Erzählung: Ein Hochzeitsfest soll gefeiert werden, und es fehlt der Wein. Aber unversehens sind wir selbst in Verlegenheit. Sollen wir für wahr halten, daß Jesus wider alle menschliche Erfahrung etwa 600 Liter Wasser in Wein verwandelt hat? Fehlt uns modernen und bewußt lebenden Menschen dazu nicht der Glaube? Ein frommer Christ wird sagen, daß bei Gott alle Dinge möglich sind, und das soll hier auch nicht bestritten werden. Nur zum vertieften Verständnis dieser Erzählung wären wir nicht vorgedrungen, wenn wir Jesus für einen mit geheimnisvollen Wunderkräften ausgestatteten Zauberer hielten, umso weniger, als wir wissen, daß in der Zeit des Hellenismus und der späten Antike dionysische Feste gefeiert und in den Tempeln des Dionysos Wein gereicht wurde, von dem es hieß, daß die Gottheit selbst ihn aus Wasser verwandelt habe. Auch Wasser des Nils und anderer Flüsse und Quellen soll in Wein verwandelt worden sein.

LeerIm Rahmen der Sonnenmysterien wurde damals in Alexandrien am 6. Januar die Geburt des Aion, des Gottes der Lebenszeit, aus dem Schoß der Jungfrau Kore gefeiert. Aion wurde in hellenistischer Zeit oft mit dem Sonnengott Helios und dieser auch mit Dionysos gleichgestellt. Auf diesen sechsten Januar hat die alte Kirche das Fest der Epiphanie Gottes in Jesus, des Erscheinens Jesu gelegt und das Weinwunder von Christus erzählt, weil sie gegen die antiken Religionen erklärte, daß Jesus Christus Gottes Sohn und selber Gott und der Herr auch über die Natur ist. Die Erzählung wurde, wie auch das Fest, gleichsam christianisiert und in den Dienst der Verkündigung Jesu Christi genommen. Wenn wir uns in diesem Bewußtsein mit der Erzählung aufmerksam befassen, zeigt sie sich uns in ihren Zügen als auch heute aktuell. Kana ist nämlich überall, und es geht um einen anderen Glauben als den des bloßen Fürwahrhaltens mirakulöser Geschichten.

LeerWie sollen wir das verstehen? Wenn Schüler auf dem Schulhof Fußball spielen und der Ball in eine Fensterscheibe fliegt, dann sagt der Hausmeister vielleicht: Die Zeche müßt ihr bezahlen! Die Buben haben aber weder etwas gegessen noch auch nur bestellt; sie waren noch gar nicht im Gasthaus. Das Wort „Zeche” ist hier ein Bildwort für einen anderen Sachverhalt. Es steht für den Satz: Ihr müßt den Schaden bezahlen. So ist auch diese Erzählung ein Bild für Jesu Wirken, und sie will sagen, daß er seine Herrlichkeit offenbart.

Glaube gegen die eigene Erfahrung

Ein Hochzeitsfest ist in der Regel ein Freudenfest und ein Fest der erfüllten Sehnsucht nach Liebe, Gemeinschaft, Vertrauen und Leben. Aber können wir noch Feste feiern? Zwar kennen wir die Sehnsucht nach erfülltem Leben, aber viele von uns zerreiben sich in der alltäglichen Hektik von Produktion und Konsum, von Zwängen und Unsicherheiten oder in den Sorgen um Gesundheit, Auskommen, Partner, Eltern oder Kinder, um Arbeitsplatz und Kollegen. Zu diesen persönlichen Sorgen treten die uns allen inzwischen bekannten Probleme der Armut bei den Außenseitern unserer Gesellschaft und des Hungers und der Bevölkerungsentwicklung in der Dritten Welt; während dieses Gottesdienstes sterben in der Welt etwa hundert Menschen Hungers, davon die Hälfte Kinder. Wir kennen das Massenelend und die Umweltverschmutzung hier und dort und die Ängste vor einer drohenden Eskalation von Mißtrauen, Unruhen, Feindseligkeiten und Kämpfen um Rohstoffe, Märkte und Macht zu einem Krieg.

LeerAngesichts der bedrückenden Ängste und Sorgen fehlen vielen Menschen die Freude, der Mut und der Geist, um das Fest des Lebens feiern zu können. Maria macht sich zum Fürsprecher der notleidenden Menschen. Sie tritt für die ein, die keinen Wein haben. Tut das die Kirche für uns auch? Maria erhält eine eigenartige Zurückweisung: Jesus distanziert sich von ihr und erklärt seine Zeit noch nicht für gekommen. Aber Maria bleibt in ihrem Glauben an Jesus und weist die Diener an, das zu tun, was er sagt. Sie glaubt gegen ihre Erfahrung, aber gerade so wird ihr Glaube zur Erfahrung. Jesu Zurückhaltung zeigt, daß sich die Hilfe nicht erzwingen läßt. Es geht im Leben nicht immer nach unseren Plänen und unserem Willen. Jesus kann das Leiden, in dem er sich als Sohn Gottes zeigt, sich und der Welt nicht ersparen.

Das Wunder des Leidens

Dennoch rettet Jesus das Fest des Lebens. Er ordnet an, daß die bereitstehenden Krüge mit Wasser gefüllt werden sollen. Diese Wasserkrüge dienten den Reinigungsriten, die den Juden vorgeschrieben waren. Nun erfüllt sich in diesen Gefäßen der traditionellen Religion das neue Leben. Jesus wirkt in und mit den vorhandenen Gefäßen. Aber er wirkt, weil er es für richtig hält. Warum greift er nicht früher ein? Die Bemerkung des Speisemeisters, daß jedermann den guten Wein zuerst anbiete, gibt der Erzählung eine besondere Pointe: Warum handelt Jesus nicht schon früher? Wir wissen es nicht. Die Erzählung vom Weinwunder deutet im voraus das Wunder des Leidens Jesu als das des erhöhten Herrn. Es ist bei Johannes ein Zeichen seiner Herrlichkeit. Nur - ich kann mich noch nicht zufrieden geben mit diesem Hinweis darauf, daß er der Geber aller Gaben ist, daß er das Fest rettet und angesichts der weitverbreiteten Dürre den Durst nach dem geistigen Leben stillt. Ich muß hinzufügen, daß unser Glaube an ihn, daß unser Blick auf ihn, daß unsere Erfahrung mit ihm uns befähigen müßten, mit den notleidenden und geängstigten und hungernden Menschen das Fest des Lebens zu feiern. Im Blick auf ihn dürften unsere Liturgie, unser Zeugnis und unsere Diakonie nicht auseinanderfallen.

Wandlung - durch den Tod zum Leben

Aber ich muß fragen, ist es so? Ist die Welt im Glauben in Ordnung? Leben wir Christen in einer heilen Welt? Wäre das nicht eine vordergründige und materialistische Auslegung dieser Erzählung? Ich muß noch immer an die Zurückweisung der Mutter Maria denken. So wahr es ist, daß Gott inmitten der Fülle des Lebens erfahren und gelobt sein will und nicht erst an den Grenzen des Lebens, so wahr ist es eben auch, daß wir ihn erst als hilflose, frustrierte, an ihren Grenzen angekommene, leidende, schuldbeladene Menschen, im Mangel und in der Entfremdung, in unserer Schwachheit, in unserer Krankheit und in unserem Sterben ganz erkennen können. Erst an der Grenze des Lebens erfahren wir ihn als den anderen, fremden Gott; erst am Widerstand gewinnen wir unsere Identität, und nicht im ekstatischen Rausch des Lebens, nicht in einer sentimentalen und verweichlichten Frömmigkeit, auch nicht im seligen Eintauchen in die eigene Innerlichkeit, sondern im wachen Bewußtsein und im vertrauenden Hören auf ihn, in der Bereitschaft das zu tun, was er sagt, liegt das Leben beschlossen. Christus macht die Welt nicht problemlos und nimmt uns das leibliche Sterben nicht ab. Aber er nimmt uns hinein in die Wandlung vom Wasser zum Wein, durch den Tod zum Leben. Als Martin Luther nicht mehr ein und aus wußte, riet ihm sein Beichtvater, auf den Gekreuzigten zu blicken. Luther ließ sich auf diesen Rat ein und betrachtete den Christus am Kreuz, bis ihm, wie er selbst berichtet, in der foeditas, der Häßlichkeit des Gekreuzigten, die Claritas Dei, die Klarheit Gottes erschien. Luther gab sich selbst in den Tod Christi hinein, und er erfuhr so das Leben des Auferstandenen. Das machte ihn frei für sein Werk in der Welt.

LeerDas Wunder geschieht nicht, wo wir mirakulöse Dinge erwarten, sondern wo wir auf ihn hören und im Vertrauen zu ihm tun, was er sagt. Auf den Weg gibt er sich uns selbst im Brot und Wein des Mahles, das wir im Blick auf seinen Tod und seine Auferstehung feiern. Aber dieses durch das Kreuz des Auferstandenen Hindurchmüssen gehört auch zur Leiblichkeit des Glaubens. Wer jedoch hindurch ist, der kann bekennen: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade” (Joh. 1, 16). Erst im Glauben wird Jesus ganz erkannt; dem Glaubenden leuchtet das Zeichen Jesu auf, und der Wein wird zum über sich selbst hinausweisenden Symbol der Freude angesichts seiner Herrlichkeit. In seiner Fastenpostille von 1525 sagt Luther: „Hier siehst du auch, wie der Glaube nicht fehlt und Gott ihn nicht lasset, sondern mehr und herrlich gibt, denn man bittet. Denn hier wird nicht allein Wein, sondern köstlicher und guter Wein gegeben, und das die Menge. Damit er uns abermals reizet und locket, tröstlich in ihn zu glauben.”

Quatember 1986, S. 29-32

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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