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von Jürgen Boeckh |
Von Ludwig Büchner, einem der Väter des Materialismus im vorigen Jahrhundert, stammt der Satz: „Der Geist quillt aus dem Gehirn wie der Schweiß aus den Poren.” Für viele war und ist das ein ärgerlicher Satz, eine Mißachtung des Geistes! Müssen nicht ideal denkende Menschen, müssen nicht Christen, die um die Kraft des Geistes wissen, einer solchen Behauptung widersprechen? Aber schauen wir einmal genau hin: Von welchem Geist ist bei Büchner eigentlich die Rede? Es ist der menschliche Geist gemeint, der ohne Zweifel mit zu unserer Leiblichkeit gehört. So brutal die Behauptung des Darmstädter Arztes auch klingen mag, er hat recht. Der Geist des Menschen ist der Vergänglichkeit unterworfen wie sein Leib. Er ist nicht gleichzusetzen mit dem Heiligen Geist, der vom Vater - und vom Sohn - ausgeht, wie Christen bekennen. Beim Propheten Jesaja (31,1) lesen wir den merkwürdigen Spruch: „Ägypten ist Mensch und nicht Gott, und seine Rosse sind Fleisch und nicht Geist.” Können denn Rosse „Geist” sein? Offenbar ja, wenn sie im Dienst des „Heiligen Israels” stehen! Und beim Propheten Joel steht als Wort des Herrn: „Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch.” Der Apostel Petrus führt dieses Wort an in seiner Predigt am 50. Tag nach der Auferstehung des Herrn, zu Pfingsten (Apostelgeschichte 2,17). „Fleisch”, das sind hier die Menschen, das ist der Mensch als Leib und als Geist; der leibhafte Mensch, zu dem auch sein Geist gehört. Weder im Alten noch im Neuen Testament wird der Mensch - etwa als geistiges Wesen - getrennt gesehen von der Kreatur, von der Schöpfung, in der er lebt und der er selbst zugehört im Guten wie im Bösen. Oder ist das Böse, sind die Übel dieser Welt nur auf den Menschen beschränkt, nur von ihm her zu verstehen? So will es offenbar der Dichter der „Braut von Messina”: „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.” Ist das wirklich so? Wenn es so wäre, dann könnten durch eine kluge „Erziehung des Menschengeschlechts” Leiden und Not aus der Welt geschafft werden. Gewiß, viele Leiden, die Menschen Menschen zufügen, könnten vermieden werden, viel Not brauchte nicht zu sein. Aber der Tod, mit dem Leiden und Tod immer verschwistert sind, bleibt. Friedrich Nietzsche hat tiefer gesehen als Friedrich Schiller, wenn er in der „Geburt der Tragödie” sagt: „Der Grieche kannte und empfand die Schrecken und Entsetzlichkeiten des Daseins: um überhaupt leben zu können, mußte er vor sie hin die glänzende Traumgeburt der Olympischen stellen.” Unter den „Entsetzlichkeiten des Daseins” hat Reinhold Schneider, der am Ostersonntag vor 30 Jahren aus dieser Welt genommen wurde, in der letzten Epoche seines Lebens unsäglich gelitten. Er erkannte die Gefahr einer Selbstvernichtung der Menschheit, aber er litt auch unter dem, was in der Natur - unabhängig vom Menschen - geschieht. So lesen wir in seinen Notizbüchern „Winter in Wien” (Freiburg 1959, S. 221 f.): Der Heilige Geist ist „der unbekannte Gott der evangelischen Kirche” genannt worden. Martin Luther jedoch sagt - durchaus entsprechend dem Apostelwort, aber wohl wenig beachtet - von Gott, dem Heiligen Geist in seiner Erklärung zum dritten Glaubensartikel, daß er „am Jüngsten Tage mich und alle Toten auferwecken und mir samt allen Gläubigen in Christo ein ewiges Leben geben wird”. Um die Verwechslung von Menschen-Geist und Gottes-Geist zu vermeiden, hat der Benediktiner Odo Casel - gestorben vor 40 Jahren am Altar in der Feier der Heiligen Osternacht! - diesen in seinen Schriften mit dem griechischen Wort pneuma wiedergegeben. Das pneuma hagion, der Heilige Geist, ist die Kraft Gottes, die lebendig macht, wie es im Credo heißt. Sie macht den Menschen lebendig, der als Leib und Geist „Fleisch” ist. Während der eine Sohn Gottes schon einer vollkommenen Verwandlung seiner Menschlichkeit in der Auferstehung vom Tode teilhaftig geworden ist, haben die Kinder, die Söhne und Töchter Gottes, den Heiligen Geist als „Erstlingsgabe” (ein Bild vom jüdischen Wochenfest, das wir Pfingsten nennen), als „Angeld” (Römer 8, 15) empfangen. Der Geist, der in uns wohnt, ist das „Pfand” für die endgültige Vollendung der ganzen Menschen, der gesamten Schöpfung. Wenn wir das Heilige Mahl feiern, dann „gedenken wir des heilbringenden Leidens und Sterbens Jesu Christi, unseres Herrn. Wir preisen seine sieghafte Auferstehung von den Toten und seine Auffahrt” zur Rechten Gottes. Was am Karfreitag, am Fest der Auferstehung und am Fest Christi Himmelfahrt jeweils besonders erinnert wird, das ist also in jeder Feier der Eucharistie enthalten, denn es geht immer um den ganzen Christus - ob dies der Gemeinde im Gedächtnis der Erlösung, der Anamnese, hörbar wird oder nicht. Warum aber wird Pfingsten in diesem Zusammenhang nicht erwähnt? Die „Ausgießung des Heiligen Geistes” ist kein einmaliges, unwiederholbares Ereignis, wie der Tod und die Erhöhung des Herrn es sind. Darum sind fast alle unsere Pfingstlieder Bittlieder um den Heiligen Geist! Von den Kritikern der Evangelischen Messe wurde damals ganz besonders diese Epiklese (und die nach dem Fürbitten-Gebet geschehende Darbringung der Gaben - nicht nur des Dankopfers der Gemeinde in Form der Kollekte, sondern auch der Darbringung von Brot und Wein) als unevangelisch abgelehnt. Die Ordnung der Messe vom Jahre 1936 ist nicht am Schreibtisch entstanden. Lange bevor sie der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, ist sie gefeiert worden. In einer Zeit, als im deutschen Protestantismus die Feier des Heiligen Abendmahles nur als „Nebengottesdienst” (!) oder als Anhängsel an den Hauptgottesdienst stattfand, hieß es im Berneuchener Buch im Blick auf das Heilige Mahl als den freudigen Höhepunkt des gottesdienstlichen Lebens: „Hier und nur hier verbindet sich alles, was in dem Gottesdienst der evangelischen Kirche Raum und Recht hat; hier ist nicht nur der fehlsame und oft nur an Worten reiche Mund des menschlichen Predigers, sondern die naturhafte Gabe Gottes in Brot und Wein zu dem Werkzeug der Verkündigung geworden. Hier steht die Gemeinde anbetend vor ihrem Herrn und richtet sich aus auf die ewige Vollendung; hier wird die Gemeinde, in der einer dem andern das Brot bricht und reicht, selbst zu einem Gleichnis und zu einer Verheißung für die in Christus begründete Einheit, und das Alltägliche selber, Essen und Trinken, wird zum verbum visibile”, zum sichtbaren Wort (Hamburg 1926, S. 109). Diesen Sätzen des Berneuchener Buches entsprechend war schon in dem kleinen Heft für die Hand der Gemeinde (Die Feier des Herrenmahls, Kassel o. J., 1926) die „Opferung” vorgesehen und die „Segnung”. Der Pfarrer, so heißt es da, „betet um den Segen über Brot und Wein”. Auf die Worte aus der Offenbarung des Johannes (22,17) „Der Geist und die Braut sprechen: Komm!” und die Worte des Paulus (1. Korinther 11,26) „... sollt ihr des Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt!” antwortet die Gemeinde jedes Mal: „Ja komm, Herr Jesu!” So haben die Berneuchener der ersten Generation Anschluß gefunden an die urchristliche Tradition: Mit eigener Hand hat Paulus seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth das maranatha hinzugefügt, eine damals bereits festgeprägte liturgische Formel in aramäischer Sprache, die offenbar auch die griechisch sprechenden Christen kannten wie das amen und das hosanna. Diese Formel hatte eine doppelte Bedeutung: Spricht man maran atha, so heißt das „Unser Herr ist gekommen”, marana tha dagegen bedeutet: „Unser Herr, komm!” Die Berneuchener haben sich vor 50 Jahren nicht gescheut, darauf hinzuweisen, daß die orthodoxen Kirchen des Ostens die Epiklese, die auf das urchristliche maranatha zurückgeht, im Unterschied zur abendländischen Kirche bewahrt haben. Es war ihnen damals und ist uns heute wesentlich, daß weder die - heute so nicht mehr betonte - römisch-katholische Fixierung der Konsekration auf das hoc est - das ist mein Leib/das ist mein Blut -noch die protestantische Herausnahme der Worte der Einsetzung aus dem eucharistischen Hochgebet dem Mysterium des Heiligen Mahles gerecht werden. Die Konsekration der Gaben soll auch nicht allein der Epiklese zugeschrieben werden und doch liegt auf ihr für uns ein besonderer Akzent, weil gerade in diesem Gebet, das wie die vorangehende Anamnese an Gott, den Vater, gerichtet ist, deutlich wird, daß Er - durch den Heiligen Geist - der Handelnde ist! Der Kirchenlehrer Theodor von Mopsuestia († 457) hat die Kraft der Epiklese mit der Auferweckung des Leichnams Christi verglichen. Und er sagt weiter: „Gar notwendig bringt also der Priester ... Gott Gebet und Flehen dar, damit die Ankunft des Heiligen Geistes geschehe und dadurch die Gnade komme über das dargebrachte Brot und den Wein, damit sie wahrhaft erkannt werden als Leib und Blut unseres Herrn Jesu Christi, das heißt als Denkstein der Unsterblichkeit” (S. Friedrich Heiler, Die Ostkirchen, München 1971, S. 167). Im Rahmen dieses Aufsatzes ist - in einer besonderen Schrift - die „Bitte um den Heiligen Geist” wiedergegeben, wie wir sie in der von Karl Bernhard Ritter in Verbindung mit der Evangelischen Michaelsbruderschaft herausgegeben Agende „Die Eucharistische Feier” (Kassel 1961) vor uns haben. Dies ist für uns eine „klassische”, das heißt noch nicht: endgültige oder allein gültige, Form der Epiklese. Aber sie ist keineswegs überholt. Vielen, die unsere Evangelische Messe kennen, ist gerade diese Bitte um den Heiligen Geist, der sowohl auf uns selbst, die versammelte Gemeinde und jeden einzelnen in ihr, als auch auf die Gaben der Schöpfung herabgefleht wird, und mit dem urchristlichen marana tha endet, von besonderer Wichtigkeit. Die Berneuchener Kritik an der Römischen Messe trifft heute nicht mehr so wie im Jahre 1936. Der Kanon, in dessen Mitte die Einsetzungsworte stehen, hat als ganzer wieder mehr Gewicht bekommen. Und es gibt neben dem im Konzil von Trient einst festgeschriebenen Kanon drei neue eucharistische Hochgebete, in denen die Epiklese - als Gaben- und Kommunionepiklese, auch Personenepiklese genannt - wieder deutlicher als in dem alten römischen Meßkanon hervortritt. Zum vierten Eucharistischen Hochgebet schreibt Theodor Schnitzler: „Die Wirksamkeit des Hagion Pneuma in der Welt entfaltet sich gewiß auf vielerlei Weise, aber ihre besondere, bedeutsamste Stelle ist die Feier des Paschamysteriums des Todes und der Auferstehung Christi... Das Reich des Heiligen Geistes verwirklicht sich in der Eucharistia, in der Konsekration. Da wirkt die Kraft des Pneuma, daß unsere irdischen, weltlichen Opfergaben in den erhöhten, überweltlichen, verklärten Leib und in das Blut Christi umgewandelt werden. Dadurch wird das Opfer des Neuen Bundes, das Kreuzesopfer, gegenwärtig ...” (Die drei neuen eucharistischen Hochgebete, Freiburg, 2. Aufl. 1969, S. 119). Bemerkenswert für uns ist besonders, daß in der ökumenischen Eucharistiefeier, die am 15. Januar 1982 in Lima gefeiert wurde, und „deren Liturgie die in den Konvergenztexten erreichte Gemeinsamkeit widerspiegeln sollte” (Frieder Schulz, Die Lima-Liturgie, Kassel 1983, S. 7), zwei Epiklesen enthalten sind. Die erste schließt sich an das Sanctus an: „Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt, du bist heilig und dein Ruhm ist ohne Grenzen. Sende herab auf unsere Eucharistie den lebenspendenden Geist, der durch Mose und die Propheten gesprochen hat, der die Jungfrau Maria mit Gnade überschattete, der auf Jesus am Jordan herabkam und auf die Apostel am Pfingsttag. Laß das Ausgießen dieses feurigen Geistes unser Mahl der Danksagung so verwandeln, daß dieses Brot und dieser Wein für uns zum Leib und Blut Christi werden.” Die andere Epiklese, die der Anamnese und dem maranatha der Gemeinde folgt, lautet: „Blicke, Herr, auf diese Eucharistie, die du selbst der Kirche geschenkt hast, nimm sie gnädig an, wie du das Opfer deines Sohnes annimmst, durch das wir wieder aufgenommen sind in deinen Bund. Erfülle uns mit dem Heiligen Geist, wenn wir Christi Leib und Blut empfangen, daß wir ein Leib und ein Geist werden in Christus, ein lebendiges Opfer zum Lobe deiner Herrlichkeit!” Quatember 1988, S. 74-80 Leserbrief Margit Deckert |
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