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Ein (fast) vergessener Pate von Quatember
von Gerhard Bartning

Zum 100. Geburtstag von Eugen Rosenstock-Huessy

LeerAls Erich Müller-Gangloff den „Evangelischen Jahresbriefen”, die mit ihrem 17. Jahrgang 1952/1953 in neuer Gestalt erschienen, den für die Zeitschriftenlandschaft ungewöhnlichen, wenn nicht schockierenden Namen „Quatember” gab, erhielt er einen Brief, den er sogleich im 2. Heft jenes Jahrgangs (S. 122-125) veröffentlichte: „Reflexionen über das Thema Quatember.” Wer war der Briefsteller, und wieso ergriff er den provozierenden Namen gleichsam beim Schöpfe, um - nachdem der Zeitschrift zunächst der Name „Trinitas” zugedacht war - sehr grundsätzliche Überlegungen über den Übergang von Drei auf Vier als „das formale Merkmal unseres Gehorsams gegen das zweite Gebot” daran anzuknüpfen? - Im 2. Heft 1954 (S. 94-96) nahm er mit dem Beitrag „Glückhafte Schuld” noch einmal das Wort in „Quatember”.

LeerDer katholische Schriftsteller Baron von Hügel mahnte einmal: Die „der Gottesschau süchtig werdende Seele müsse sich mit einem Ruck von ihm ab und den Dingen zuwenden” (nach Rosenstock-Huessy). Doch bevor dies gelingen kann - daß wir uns den „Dingen”, den Gestalten, Möglichkeiten, Dringlichkeiten unserer Weltverantwortung zuwenden, bedarfs des Anrufs an den Dreieinigen - den Dreieinigen deshalb, weil der Beter durch Gott von drei Richtungen her „umringt” ist: Vom Anfang und vom Ende her und „in der Mitten”.

LeerDie Welt hingegen wird nicht dreifaltig angerufen (so etwas tun in „Macbeth” die Hexen!), sondern „besprochen”, angesprochen auf ihre lebendigen und ihre toten Elemente - und die Sprache ist es, die allein zwischen Lebendigem und Totem zu unterscheiden und zu scheiden vermag. Mit der Welt können wir nicht im „Vokativ” sprechen, - doch schon der römische Gottesname „Juppiter” ist ein Vokativ! Wenn wir aber von Gott im Neutrum (das eigentlich ein Akkusativ ist) sprechen und Gott zum „Göttlichen” degradieren, mißbrauchen wir ihn als „Argument”. Wiederum neigen wir dazu, das vielfältige All auf „armselige” Polaritäten zurückzuführen: Kraft-Stoff, Geist-Natur, Kapital-Arbeit. Hegels und Marx' „Dialektik” zwingen es in den scheinbar dynamischen Dreitakt, den sie von der Trinität erborgt haben, und Feuerbach sah in der „heiligen Familie” die Dreiheit Ich-Du-Es gespiegelt.

LeerDoch die irdische Familie ist auf die Vierheit Mutter-Sohn-Vater-Tochter angelegt, was die Iphigenie, die Pandora und „die natürliche Tochter” Goethes gewußt haben, was aber von den „Wälsungen” Th. Manns, der Inzestpsychologie Freuds (und, ich möchte hinzufügen, von der Ethno-Anthropologie Claude Levi-Strauss') weggeschoben zu sein scheint. Selbst unsere Sprache, die „Muttersprache”, „Matrix” ist auch väterlich, sohnhaft, töchterlich. Dazu gehören die drei Zeiten, von denen die Gegenwart sich sowohl nach innen wie nach außen erstreckt. Wir leben überhaupt - und da wird der Mann, der die von ihm selbst deutlich markierten „kleinen Äonen” seiner Lebenszeit oft genug unterschieden und aufeinander bezogen hat, nicht müde anzumahnen, mehrzeitig, „polychron” oder „mehraltrig”. In Wahrnehmung des Auftrags, den uns frühere Generationen überstellt haben, in der wenn auch noch so fragmentarischen Erfüllung des „noch Unab-gegoltenen” (Ernst Bloch), und in der Weitergabe an und dem Lernen von unseren Kindern verweben sich ständig drei Zeiten in unserer Lebensspanne.

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LeerDamit wird es Zeit, auf diese „kleinen Äonen” in Eugen Rosenstocks Leben - den Namen Huessy übernahm er von seiner aus Schaffhausen gebürtigen, tief geliebten Frau - in groben Strichen einzugehen: Seine herkünftige Familie - der Vater war Börsenvorstand in Berlin - hat er im Konfirmandenalter mit dem dringenden Wunsch überrascht, sich evangelisch unterrichten und taufen zu lassen. So praktizierte er früh jüdisch-christliche Ökumene. Bereits den 24jährigen sah die Universität Leipzig als habilitierten Dozenten für Rechtsgeschichte (seine Arbeit über „Königshaus und Stämme” vom 10. bis 13. Jahrhundert befaßt sich unter anderem mit dem Ursprung des Namens „deutsch” und ist in dieser Hinsicht, wie so vielen andern, unzeitgemäß und vergessen worden). Im 1. Weltkrieg kämpfte er als Offizier an drei Fronten und erlebte wie die bürgerlich-zivilisatorischen Werte und Ordnungen vor seinen Augen zusammenbrachen. Schon damals entwarf und erprobte er neue Formen klassen- und lebensalterüberbrückender Bildungsarbeit an Erwachsenen.

LeerDer erste Innenminister des Deutschen Reiches nach dem Ende der Monarchie, Breitscheid, wollte ihn zum Staatssekretär berufen - er traute ihm den Entwurf der neuen Verfassung zu. Zugleich rief ihn seine Leipziger Fakultät. Statt dessen wurde er Schriftleiter der Werkszeitung von Daimler-Benz in Untertürkheim und machte sich mit den Lebensbedingungen der Arbeiterschaft vertraut. Die Frankfurter „Akademie der Arbeit” gründete und leitete er mit und ließ sich alsbald zu einem neuen Versuch, die verlorene Einheit zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen auseinanderklaffenden Sprachen und Sprachstilen (heute spricht man vom „elaborierten” und „reduzierten” Code), auf Anregung einer schlesischen Studentengruppe herbei: Dem ersten deutschen „Arbeitslager” - das freilich wenig zu tun hatte mit dem, was nach 1933 daraus gemacht wurde! „Daneben” versah er an der Breslauer Universität das Ordinariat für Rechtsgeschichte! 1935 übernahm er eine Professur am Dartmouth-College in USA, wurde von Roosevelt zur Mithilfe im Civüian Conservation Corps gebeten und richtete das Arbeits- und Ausbildungslager Cap William James ein. Zuletzt versah er noch eine Farm in Foxur Wells (Vermont).

LeerNochmals „Quatember”, quatuor tempora. Die Vier ist unserem Erdenleben eingeschrieben. Vier sind der Himmelsrichtungen, vier der Elemente, Rom wurde als „urbs quadrata”, als „geviertelte” Stadt gegründet. Vier sind die kosmischen Wesen der Apokalypse - und Rosenstock würde sich nicht so sehr freuen, wenn ich hier noch die vier Grundfunktionen Jungs anfügte, denn manches Sprechen und manches Tun der Tiefenpsychologen forderte mitunter seinen leidenschaftlichen Zorn heraus. Doch, wie er es am Schluß jenes Quatemberaufsatzes formulierte: „Der Neue Bund hat die Vier der Drei dienstbar gemacht. Die vier Evangelisten treten an die Stelle des vielfältigen Cherubs und der vier Ströme .. . Gott tritt nun in die Geschichte ein.” Er kommt aber „nur zu seiner Zeit.”

Quatember 1988, S. 215-217

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-12
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