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Gegenseitige Einladung
Evangelische und Alt-Katholiken gemeinsam am Abendmahlstisch
von Manfred Richter

LeerEin Schritt zu ökumenischer und sogar eucharistischer Gemeinschaft, der wenig beachtet worden ist, doch theologisch von größter Tragweite sein kann: Kirchen der Reformation und diejenige katholische Kirche, die den Stand der Lehrentwicklung bis etwa 1200 repräsentiert, vermögen sich nunmehr offiziell gegenseitig zur Feier des heiligen Abendmahls einzuladen.

LeerDies besagt die evangelisch-alt-katholische „Vereinbarung über eine gegenseitige Einladung zur Teilnahme an der Feier der Eucharistie”. In Berlin wurde diese Einladung nach Billigung durch die Synode in einem gemeinsamen Gottesdienst in der evangelischen Gemeinde Alt-Schöneberg und der Alt-Katholischen Gemeinde Berlin gottesdienstlich vollzogen.

LeerDer Alt-Katholischen Gemeinde ist die Dorfkirche Alt-Schöneberg zur Nutzung überlassen. Dadurch besteht hier seit vielen Jahren ökumenische Nachbarschaft, die sich immer wieder in gemeinsamen Gottesdiensten ausgedrückt hat. Dadurch waren die Gemeinden innerlich vorbereitet auf diesen Schritt. Die Einladung konnte mit der Billigung der Kirchenleitung stellvertretend für die Kirchen ausgesprochen werden. Die ökumenische Bedeutung dieses Vorgangs liegt nicht in der Frage der Größe der sich verständigenden Kirchen, sondern in der Bedeutsamkeit ihrer jeweiligen konfessionellen Tradition. Die Alt-Katholische Kirche zählt zu denjenigen, die eine vermittelnde Position zwischen den großen Konfessionsfamilien einnehmen. Von Anfang ihres Entstehens im Jahr 1870 an hat sie Verhandlungen mit evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen in Richtung auf Kirchengemeinschaft gepflogen. Und dies zu einer Zeit, als der sich abgrenzende Konfessionalismus in voller Blüte stand.

LeerSeit 1931 gibt es „Full Communion” mit der anglikanischen Kirche, das heißt volle Kirchengemeinschaft und damit Kanzel- und Altargemeinschaft. Ein ähnliches Angebot gibt es an die orthodoxen Kirchen. Die Vereinbarung müßte durch das - seit längerem in Vorbereitung befindliche -orthodoxe Konzil ausgesprochen werden. Mit der evangelischen Kirche in Deutschland ist zwar nicht diese volle Kirchengemeinschaft vereinbart, jedoch wurde die Rechtmäßigkeit von Ämtern und Sakramentsverwaltung gegenseitig anerkannt. Damit ist ein Gesprächsstand erreicht, der besagt, daß die reformatorische Gnadenlehre in einer Kirche „katholischer” Tradition anerkannt werden kann. Und diese Gnadenlehre war nach einhelliger Aussage der Reformatoren der „Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt”.

LeerDie Alt-Katholische Kirche beruft sich noch auf eine andere Wurzel, die sich im Alt-Katholischen Bistum Utrecht kristallisiert hat. Dort wurde das überkommene Recht der Ortskirche gegen päpstliche Eingriffe verteidigt. Die Alt-Katholische Kirche knüpft - wie die Orthodoxie - an das alt-kirchliche Verständnis von der Einheit der Kirche als Gemeinschaft der Ortskirchen an. Entsprechend ist nur das Konzil oberste Instanz der Christenheit - wie auch Luther an ein solches Konzil appelliert hatte. In der Lehrtradition knüpft die Alt-Katholische Kirche an reformkatholische Strömungen an, die sich - wie die Reformation - auf Augustin beriefen. Der Christ und Philosoph Pascal stand ihnen nahe.

LeerWichtiger ist vielleicht die Grundsatzentscheidung, die heute auch im Weltrat der Kirchen vertreten wird, sich in der Verbindlichkeit der Lehre auf die ersten ökumenischen Konzilien der Alten Kirche zu beschränken, so daß die Lehre der Kirche des 1. Jahrtausends (oder der ersten Jahrhunderte) Richtschnur für die Ökumene des 3. Jahrtausends werden könnte. Die Lehrentscheidungen des Mittelalters und der Reformationszeit können dann als konfessionelle Ausprägungen gesehen werden. Erst recht gilt dies von den römischkatholischen modernen Sonderlehren zur Mariologie und zum Papsttum. Katholisch und evangelisch müssen nicht für immer als sich ausschließende Gegensätze gedacht werden, sondern als gegenseitig einladende und zur Vertiefung des Zeugnisses und der Gemeinschaft hilfreichen Kirchentraditionen. Alt-Schöneberg gibt auch hier noch einen Hinweis: Mit dem George-Bell-Haus ist die Erinnerung an die Anglikanische Gemeinschaft schon gegeben. Zugleich ist es die an Bischof Bells Freund, Dietrich Bonhoeffer, der sich bereits der künftigen ökumenischen Gemeinschaft, die er zum Konzil aufforderte, verbunden wußte. Als Theologe dachte er über die „Gemeinschaft der Heiligen” nach und lebte sie über die „Nachfolge” und das „Gemeinsame Leben” bis in die Einsamkeit des Widerstands.

Quatember 1989, S. 97-98

Siehe dazu den Leserbrief von Bischof Dr. Sigisbert Kraft

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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