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Der Rosenkranz
von Beda Müller OSB

LeerDas Rosenkranzgebet gilt in vielen evangelischen Kreisen als "typisch katholisch". Aber ist die Art und Weise dieses Gebetes wirklich bekannt? Dies soll hier von einem katholischen Geistlichen erläutert werden.
LeerAndererseits gibt es auch das "Kranzgebet", eine dem katholischen Rosenkranzgebet entsprechende Form, die in der Evangelischen Michaelsbruderschaft besonders durch Herbert Goltzen und Paul Rohleder gepflegt wurde.
LeerIn einem späterem Heft von QUATEMBER soll darüber berichtet werden.

LeerDas Rosenkranzgebet ist bei uns Katholiken zurückgegangen. Vor allem die junge Generation hat weithin keine Beziehung zu ihm gefunden. Sie kann mit diesen ständigen Wiederholungen nichts anfangen. Gegen den Rosenkranz wird angeführt, daß es schizophren sei, mit dem Mund das Ave Maria zu sprechen und mit den Gedanken das Leben Jesu zu betrachten. Überdies habe Jesus gesagt: "Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen". Richtig ist, daß wir aus dem Rosenkranzgebet nicht eine fromme "Leistung" machen sollen, bei der es auf die Quantität ankommt. Hat nicht das Ablaßwesen dazu Anlaß gegeben? Anderseits hat Jesus auch vom Gebet ohne Unterlaß gesprochen (Lk 18,1; 11, 5-13), eine Weisung, die eine erstaunliche Wirkungsgeschichte gehabt hat und hat. Sie hat zweifellos zur Ausbildung des Stundengebetes im Mönchtum geführt. Besonders deutlich ist das "Jesusgebet" der Ostkirche von ihr angestoßen, nachzulesen u. a. in der "Aufrichtigen Erzählung eines russischen Pilgers" (Herder). Auch beim Rosenkranz haben wir es mit der Wirkungsgeschichte dieser Herrenworte zu tun. Ursprünglich entstand er aus dem Bemühen der Laien, sich am Stundengebet der Ordensleute und Priester zu beteiligen. An Stelle der 150 Psalmen betete man 150 Ave. Daher wurde der Rosenkranz früher auch "Psalter" genannt. Dieses Gebet ist auch solchen möglich, die kein Brevier - Stundenbuch besitzen, ja auch solchen, die gar nicht lesen können. Dann aber hat sich der Rosenkranz aus einem "Ersatz" zu einer eigenständigen Gebetsweise entwickelt.

LeerIch vergleiche den Rosenkranz gern mit einem Webstuhl. Beim Webstuhl unterscheidet man "Schuß" und "Kette". Kette ist das Feststehende, die vorher aufgezogenen Fäden. Dann kommt mit dem Webschiffchen der Schuß hinein. Beim Rosenkranz sind "Kette" die feststehenden Gebete, beim Kreuz das Glaubensbekenntnis, bei den Einzelperlen das Vaterunser, bei den Perlgruppen das Ave mit den jeweiligen Zusätzen beim Namen "Jesus". Und was ist der "Schuß"? Das ist mein Leben und das Leben der Menschen, die ich in dieses Gebet einbeziehen will. Indem wir unser Leben mit dem Leben Jesu und seiner Mutter konfrontieren und vergleichen, entdecken wir, daß es auch in unserem Leben "freudenreiche", "schmerzensreiche" und "glorreiche" Geheimnisse gibt. Und indem wir diese entdecken, herausarbeiten und zum Tragen kommen lassen, treten wir in die Fußstapfen Jesu, werden wir seine Jünger, folgen wir ihm nach.

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LeerEs gibt auch evangelische Christen, die den Rosenkranz entdeckt haben und gebrauchen. Ich habe eine Kassette mit dem Vortrag des Theologieprofessors Manfred Seitz/Erlangen, in dem er seinen Hörern ganz genau den Rosenkranz erklärt und empfiehlt. Unsere evangelischen Mitchristen stoßen sich meist an der stark marianischen Prägung dieses Gebetes. Es gibt Bemühungen, statt des marianischen einen "Christusrosenkranz" zu beten. Schon Romano Guardini und Klemens Tilmann haben sich katholischerseits dafür eingesetzt. Auch Seitz schlägt eine mehr christozentrische Form vor. Aber diese Alternativen haben sich nach meinem Eindruck nicht durchgesetzt. Ich sage unseren evangelischen Freunden, daß es wohl nicht so unwesentlich und zufällig sei, daß wir hier Maria einbeziehen. Wie wir bei unserer leiblichen Mutter elementare Dinge für das Leben gelernt haben, das Sprechen, das Laufen, die Nahrungsaufnahme, das Sich-sauber-halten, das Sich-lieben-lassen und diese Liebe erwidern, so können wir bei der Mutter Jesu, die vom sterbenden Herrn auch dem Jünger(kreis) zur Mutter gegeben wurde, Elementares im Umgang mit Jesus lernen: mit ihm sprechen, mit ihm laufen, seine Nahrung aufnehmen, sich von ihm reinigen lassen, lieben lassen und diese Liebe erwidern.

LeerMaria will nicht in Konkurrenz treten zum Herrn. Ihr Leben ist ein Menschenleben, dessen Mitte Jesus war und ist. Sie hat keinen anderen Ehrgeiz, als uns zu helfen, daß auch in unserem Leben Jesus zum Mittelpunkt wird. Können es so nicht auch evangelische Christen akzeptieren? Seitz legt dar, daß die ersten Sätze des Ave Maria biblische Zitate sind (Lk 1,28 und 42), daß es gipfelt in dem Namen Jesus und daß in der zweiten Hälfte wir in diesen Gruß an Maria einstimmen. Dabei werden die beiden wichtigsten Momente unseres Lebens genannt, nämlich "jetzt" und "die Stunde unseres Todes". Bei der Nennung des Namens "Jesus" werden Zusätze gesprochen, die auf wichtige Ereignisse in der Kindheit, in der Passion und bei der Verherrlichung des HERRN hinweisen. Wir gehen im Rosenkranzgebet die Wege Jesu, an der Hand seiner Mutter. Seitz hat den Lehrstuhl für praktische Theologie, er ist oft befaßt mit Kranken und Sterbenden, mit Süchtigen, Depressiven und Suizidgefährdeten.

LeerEr berichtet, daß dieses Gebet sich da oft hilfreich erwiesen hat. Wenn er es besonders Langzeitkranken empfiehlt, die nicht mehr lesen können, so habe ich ihm zu bedenken gegeben, daß der Rosenkranz kaum einem Kranken helfen kann, wenn er ihn nicht in gesunden Tagen eingeübt hat.

LeerWozu nun diese Perlenkette? Solche Gebetsschnüre finden sich an vielen Orten in Asien, vor allem auch bei den Muslimen. Wahrscheinlich haben die Kreuzfahrer diese Perlenkette aus dem Orient mitgebracht, denn im hohen Mittelalter taucht der Rosenkranz auf. Die Christen haben dieses Instrument "getauft", haben ihm einen christlichen Inhalt gegeben (ein Präzedenzfall für das, was wir heute mit der Zenmeditation machen!). Die Perlen helfen mir, meine Gedanken "an die Kette zu legen". Sie helfen mit, "dran" zu bleiben und wenn ich abschweife, wieder zurückzukehren. Wie beim Jesusgebet der Atemrythmus zu Hilfe genommen wird, so hier der Tastsinn. Die Perlenschnur entlastet meinen Kopf. Ich brauche kein Buch, keine Uhr (wie bei der Schweigemeditation) und auch die Thematik wird mir von der Perlenkette abgenommen, wenn ich mir die "Gesetze" oder "Geheimnisse" einmal eingeprägt habe (siehe Gotteslob Nr. 33).

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LeerAls bei Graf Dürckheim in Rütte die Festwoche "30 Jahre Rütte" gefeiert wurde, zu der Ärzte, Therapeuten, Zenmeister aus der ganzen Welt sich versammelten, zog ein japanischer Roshi einen Rosenkranz aus der Tasche, hielt ihn hoch mit den Worten "Ihr Christen, vergeßt nicht eure Tradition".

LeerIn der Tat, der Rosenkranz ist eine Meditationsmethode. Man hat sie die "Volkshochschule der Meditation" genannt (Massa). Das hebräische Urwort, das wir im Lateinischen mit meditari übersetzen, heißt soviel wie "murmeln". Gleich im ersten Psalm kommt es vor: "Selig der Mann ..., der Freude hat an der Weisung des Herrn und sie 'murmelt' bei Tag und bei Nacht". Diesem Murmeln der heiligen Worte dürfte der Rosenkranz sehr nahe kommen, wie auch unsere Psalmodie mit ihrem gleichbleibenden Leitton eine Verwandtschaft aufweist.

LeerDennoch muß ich zugeben, daß ich mit dem Rosenkranzbeten in Gemeinschaft meine Schwierigkeiten habe, allein schon wegen seiner akustischen Gestalt. Ich bete ihn am liebsten allein. Wenn er in der Kirche oder bei Wallfahrten gebetet wird, sollte er gesungen werden, wie dies in Polen geschieht und auch von Frankreich berichtet wird. Die junge Gemeinschaft Agnus Dei, die in ihrer Liturgie von ostkirchlichen Gesängen inspiriert ist, hat auf meine Bitte hin das Ave Maria singbar gemacht, auch in mehrstimmiger Vertonung, und praktiziert auch den gesungenen Rosenkranz (Frauenberg, 7762 Bodmann).

LeerZum Einwand "Schizophrenie" sage ich: Der Rosenkranz ist in der Tat ein "polyphones" Gebet. Auch der Organist spielt mit beiden Händen auf verschiedenen Manualen und mit den Füßen auf dem Pedal etwas anderes. Aber es klingt zusammen!

LeerIch selbst bete ihn auch täglich, zusätzlich zum monastischen Stundengebet und zu der täglichen Übung der Schweigemeditation. Begonnen habe ich die regelmäßige Praxis aus Gehorsam gegen die Weisung Mariens, die in Fatima so eindringlich zum Rosenkranzgebet aufgerufen hat. "Zur Bekehrung Rußlands" war ein primäres Motiv.

LeerVielleicht werden die Zusammenhänge zwischen dem Rosenkranzgebet und den gegenwärtigen Vorgängen im Ostblock einmal aufgedeckt. Sehr viele Christen sind ja der Bitte Mariens gefolgt. Jetzt können wir diese Zusammenhänge noch nicht erkennen. Daß der Rosenkranz auch politische Wirkungen hat, wurde schon öfter geahnt. Papst Pius V. führte den Gedenktag "Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz" arm 7. Oktober ein, zum Dank und zur Erinnerung an den Sieg über die Türken in der Seeschlacht von Lepanto arm 7. Oktober 1571, und Innozenz XI. hatte das Gedächtnis "Mariä Namen" (12.9.) angeordnet zum Dank für den Sieg über die Türken bei Wien 1683. Beide Male hatte der Papst zum Rosenkranzgebet aufgerufen. In unseren Tagen ist es zumindest auffallend, daß der erste konstruktive Abrüstungsvorschlag am 8. Dezember 1988, an dem hohen Marienfest, von Gorbatschow in den USA vorgetragen wurde, daß arm 15. August 1989 zum erstenmal ein Nichtkommunist, ein gläubiger Katholik mit der Regierung eines Ostblocklandes beauftragt wurde, daß am 1. Oktober 1989, zu Beginn des Rosenkranzmonats, die deutschen Botschaften in Prag und Warschau sich über Nacht öffneten, um die DDR-Bürger in die Bundesrepublik zu entlassen. Der Rosenkranz hat sich bewährt in den Kämpfen Gottes.

© Beda Müller OSB
Quatember 1990, S. 30 - 33

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-21
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