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Als Bruder in Schweden
von Horst Schulze

71. Generalkapitel der Societas Sanctae Birgittae
im Juli 1990 in Vadstena/Schweden


LeerDie Evangelische Michaelsbruderschaft war eingeladen, einen Vertreter zum Generalkonvent der SSB nach Vadstena zu entsenden. EMS und SSB sind durch gegenseitige Fürbitte verbunden, die persönliche Verbindung wurde von mehreren Brüdern, vor allem von Bruder Gerhard Klose gehalten. Was würde mich erwarten? Ich wußte nichts von dieser Gemeinschaft. Ich habe viel Herzlichkeit erlebt, Verständnis, Zusammengehörigkeit und Offenheit gefunden. Ich konnte von unserer Bruderschaft und dem Alltag der Noch-DDR berichten und fand sehr interessierte Zuhörer. Die Formen der Stundengebete und Messen waren durchaus vertraut, so fand ich sehr schnell innere Heimat. Liturgie als Brücke über das Trennende der Sprache war ein neues Erlebnis. Vadstena am Vätternsee war eine Reise wert.

Die Heilige und Ihre Kirche.

LeerBirgitta war eine Charismatikerin. Begabt mit einem scharfen Verstand, versehen mit hoher Bildung, beschenkt mit einer großen Familie und begnadet mit besonderen Offenbarungen - so steht diese außergewöhnliche Frau mitten im kirchlich-politischen Trubel des 14. Jahrhunderts, wo die Päpste statt in Rom in Avignon lebten. Ganz gleich, wie man ihre Offenbarungen deutet, gleich, wie man ihr kirchliches oder »politisches« Engagement einschätzt - sie genoß hohe Achtung bei ihren Zeitgenossen, hatte Einfluß auf den Papst und auch das schlichte fromme Gemüt. Sie gründete das Kloster in Vadstena, mahnte das Volk zum Glauben und forderte die Rückkehr des Papstes nach Rom (und zur Sache!). Die entscheidenden Jahre ihrer Tätigkeit verlebte sie in Rom, der Beginn ihrer Sendung aber liegt in Schweden. Es war ungewöhnlich, daß eine Frau so zugleich in der Kirche stand wie ihr  g e g e n ü b e r .

LeerAber sie blieb ihrer Küche treu, auch in den Zeiten großer kirchlicher Verirrungen. Und auch ihre Kirche behielt diese Frau in ihren Reihen. Wie wäre das wohl heute? Würde Birgitta eine Freikirche gründen und sich dafür auf ihre besonderen Offenbarungen berufen? Die Kirche des Mittelalters und die heilige Frau haben sich gegenseitig die Treue gehalten. Wäre das nicht ein Beispiel für Menschen, die sich heute besonderer Begabungen, Kräfte und Erkenntnisse erfreuen?

LeerBirgitta, um 1303 geboren, am 23. Juli 1373 gestorben, wurde bereits 1391 heiliggesprochen und ist in der nach ihren Anweisungen erbauten Klosterkirche in Vadstena beigesetzt worden. In dem noch erhaltenen Teil des dortigen alten Schlosses ist das Zimmer, besser: die Zelle, in der sie oft betete und Offenbarungen empfing, zu besichtigen. Ich wurde, als ich es sah, im doppelten Sinne an den »Schatz in irdenen Gefäßen« erinnert.

Die Societas und ihre Heilige.

LeerIm Mittelalter waren die, die sich Birgittas Vermächtnis verpflichtet wußten, nicht nur in den Reihen der Frauen zu suchen. Neben den Klöstern für Frauen standen mitunter die für Männer, so auch in Vadstena. Heute gibt es im katholischen Bereich nur noch Birgittinerinnen. Im evangelischen Bereich blieb man dem ursprünglichen Ansatz treu: Zur SSB gehören seit 70 Jahren Frauen und Männer, die wie ihr Vorbild mit ihren Gaben ihrer Kirche in Treue dienen wollen. Es ist nicht die Treue derer, die aus konservativer Langeweile heraus einfach irgendwo dabeisind. Es ist die Treue derer, die unter der Säkularisation leiden und im Gottesdienst die Kraftquelle geistlichen Lebens haben; die Treue derer, die unter der Vereinzelung leiden und in der Verbundenheit des Gebetes Gemeinschaft pflegen; es ist die Treue derer, die in der Auflösung kirchlicher Ordnungen und Sitten die Kraft der Tradition mit ihrem Reichtum an Formen festhalten. Birgitta stand im Leben als Ehefrau, Mutter von acht Kindern, Politikerin, Beterin, Seelsorgerin, Seherin. Das Leben der SSB soll Nachbildung, nicht Klischee eines solchen Lebens sein: Gott gehorsam, dem Herrn Jesus Christus zugewandt, der Kirche verpflichtet, der Sendung treu, im Alltag fromm, in der Frömmigkeit lebendig, bei aller bunten Vielfalt aber eindeutig. Birgitta ist nicht Maßstab, sondern Wegweiser in die Fülle trinitarischer geistlicher Erkenntnis.

Die Kirche und ihre Societas.

LeerDie schwedische Kirche ist Staatskirche. Säkularisation, Pietismus und die hochkirchliche Bewegung stehen sich gegenüber. So kann man sich vorstellen, daß kritische Stimmen zur kirchlichen Wirklichkeit gehören: So viele Gewänder, so viele ungewohnte Elemente in der Feier der Messe, so viele Besonderheiten - das kann doch nur katholisch sein! Wahr ist: Nicht zuletzt durch die Arbeit der SSB hat die Kirche viele alte Elemente wiedergewonnen und mit ihrem Gebrauch erschloß sich auch mancher wichtige Inhalt wieder neu. Man kann der Säkularisierung nur widerstehen, wenn man in Treue bei Wort und Sakrament, bei Gebet und in Gemeinschaft miteinander bleibt. Denn zur Säkularisierung kommt die Vereinzelung bzw. Vereinsamung des Menschen hinzu. In Schweden geht es den Menschen gut solche Zeiten aber sind für die Saat des Wortes Gottes immer harter Boden, unfruchtbare Zeiten. Demgegenüber hatte ich den Eindruck, daß auch bei Stundengebeten und Messen der Gemeinschaft z. B, die Kinder nicht als Störenfriede der Andacht sondern als unbefangene Teilnehmer angesehen werden. Man spurte die Freundlichkeit gegenüber den Kleinen. Die Prozessionen an den Festtagen, der inbrünstige Gesang, die Gestaltung der Feiern waren eben nicht »religiöse Folklore«, sondern lebendige Tradition, die viele Menschen als Teilnehmer am Fest anlockte. Hoffentlich halten sich die Kirche und die Societas gegenseitig weiter so aus, wie Birgitta und die Kirche des 14. Jahrhunderts!

Mit schwedischen Eindrücken in der Bruderschaft

LeerZur SSB gehören rund 300 Männer und Frauen, und zwar Laien, Theologen und Theologinnen, keine Pastorinnen (weil es sie dort noch nicht gibt). Brüder und Schwestern sind gleichberechtigt. Neben dem leitenden Bruder, dem Konfessor, steht die Mutter Superior. Es spielt keine Rolle, daß die Schwestern keine Eucharistie leiten können, wohl aber, daß sie die Offenbarungen Birgittas in den Stundengebeten lesen. Die Gewänder, die beim Fest getragen werden, sind unterschiedlich, aber das Engagement ist gleich. So geht man auch in den Prozessionen getrennt: die Brüder voran mit Kreuz, die Schwestern danach mit der Fahne der Heiligen. Ich habe nicht begriffen, warum Schwestern und Brüder in der Kirche getrennt sitzen; beim Psalmodieren aber gibt das einen besonders reizvollen Wechsel der Stimmen. Männer und Frauen in einer Gemeinschaft, mit gleichem spirituellem Anliegen, aber spezifischer Leitungsstruktur und selbständiger Zuordnung etwa in dem, was wir »Helferverhältnis« nennen - könnte das ein bedenkenswertes Modell sein zum Thema »Frauen in der Michaelsbruderschaft«? Man sage nicht: Michael sei ein Kämpfer, also männlich zu denken! Denn Birgitta war wirklich eine Frau, wenn nicht überhaupt die bedeutendste Frau der schwedischen Geschichte, und doch gehören zu ihrer Gemeinschaft auch Männer. Stiftung, Ursprung der beiden so verschiedenen Gemeinschaften dürfen nicht verleugnet werden, aber könnten nicht eines Tages Ziel und Aufgabe so wichtig werden, daß neue Modelle mit ihren Chancen bedacht werden müssen?

Quatember 1990, S.232-233

[Siehe auch 75 Jahre Societas Sanctae Birgittae]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-21
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