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Anklägerisches Menschenbild?
von Helga Boeckh

LeerDankenswerterweise ist das Thema »Zen-Meditation« und »protestantische Erfahrungsdefizite« einmal aufgegriffen worden (Volker Keller: Zen und das protestantische Defizit - eine Kontroverse um religiöse Erfahrung. In: QUATEMBER 57,1993/2, S. 96-102). Ich wünschte mir, dies Gespräch ginge weiter. Es besteht in unserer von Informationen überfluteten Zeit ein großes Bedürfnis nach Ruhe und Stille-Erfahrungen. Die Übungen des Zen können sicher eine Hilfe sein zur Identitätsfindung und Glaubenserfahrung.

LeerEs macht aber traurig zu hören: Protestantismus sei eine gedachte Religion, eine Buchreligion. Vielleicht ist er dazu geworden; aber er ist es nicht seinem Wesen nach. »Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist«, erleben wir bei jedem Abendmahl. Luther selbst war von der spätmittelalterlichen Mystik (Johannes Tauler: Theologia deutsch) tief beeindruckt und bekannte noch 1545 im Rückblick auf sein »Lesen« des Römerbriefes: »Da fühlte ich mich wie neugeboren. Die Tür war aufgetan. Ich war in das Paradies eingetreten.« Das »anklägerische« Menschenbild des »simul iustus et peccator« ist doch zugleich ein frei und froh machendes - und sein Realismus ist schon vor 3000 Jahren formuliert worden: Des Menschen Herz ist böse von Jugend auf. (Genesis 8,21)

LeerGenügt aber der Weg des »Leerwerdens« oder Seelsorge als Selbsthilfe auf dem Weg zu echten Glaubenserfahrungen? Dann ist unter Umständen der Weg nicht weit, daß aus der Tiefe nichts als das sogenannte »bessere Selbst« aufsteigt. Gehört nicht das Gegenüber dazu: der Zuspruch Gottes! Mündet nicht christliche Meditation ein in Gebet, Dank, Anbetung? »Wer bin ich? Du weißt es, mein Gott.« (Bonhoeffer)

Quatember 1993, S. 185

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-07
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