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Der Bericht über die Arbeit des Berneuchener Kreises im Sommer 1932 kann zum erstenmal nach Landschaften gegliedert werden. Von den Urspringer Freizeiten war schon im Vorstehenden ausführlich die Rede. Die W ü r t t e m b e r g e r Freunde berichten außerdem von einer starken Heranziehung zu den Beratungen, die die Landeskirche zum zweiten Bande des neuen „Kirchenbuches” (der Agende) pflegt. Oskar Planck schreibt von einer Hausbibelstunde, die er in seiner Gemeinde Heidenheim für solche hält, „die eine unglückliche Liebe zur Bibel haben”. „Sie wird vorzugsweise von Männern und Frauen aus der Industrie und dem höheren Lehramt besucht. Die inneren Schwierigkeiten der Teilnehmer sind durch die Loslösung vom Liberalismus oder von der Orthodoxie, durch Bekanntschaft mit Anthroposophie und Astrologie oder durch persönliche Erlebnisse bedingt. Wir haben miteinander das johanneische Schrifttum, - Evangelium, Briefe und Offenbarung - mit Aufrichtigkeit und Ehrfurcht gelesen. Die Gelegenheit zur Aussprache wurde von einigen dankbar benutzt, Wichtiger war allen die besinnliche Schlußversenkung in das Kernwort des Abschnitts. Der Teilnehmerkreis (etwa dreißig Personen) ist nach den ersten Aussprachen ziemlich unverändert geblieben und durch persönliche Empfehlung ständig aufgefrischt worden.” Die Bibelstunden haben gezeigt, wie schwer dem Gebildeten heute die Ausrichtung auf ein Absolutes wird, und doch haben sich Möglichkeiten eines Weiterkommens erschlossen. Im H u n s r ü c k fand unter Herman Lutze im Juni ein Ferienlager für neukonfirmierte Jungens statt, das zu einer stehenden kirchlichen Einrichtung werden soll. In H e s s e n - K a s s e l hielt Karl Bernhard Ritter in der zweiten Septemberwoche im engsten Kreis eine Pfarrerfreizeit in dem Innere-Missionsheim zu Loshausen bei Treysa. In Schorborn bei Stadtoldendorf hielt Konrad Ameln zum zweiten Mal für einen Kreis junger Baptisten eine Singwoche ab, auf der es sowohl um den Wert des alten deutschen geistlichen Liedes als auch um das Recht des weltlichen Liedes ging. Schmerzlich war es, daß die Gegensätze zwischen Landeskirche und Freikirche in den Gemeinden der Gegend es unmöglich machten, für ein Schlußsingen eine landeskirchliche Dorfkirche zu gewinnen. In H a n n o v e r fand die Abendwoche in Hannover-Stöcken (Osterbrief 1932, Seite 82) ihre Fortführung durch eine Männerfreizeit in Bremke vor Göttingen unter Leitung von Wilhelm Thomas. Durch landeskirchliche Unterstützung war es hier möglich, Ende August einen Kreis von zehn Vorstädtern aus Hannover und zwei Göttingern, fast alles Arbeiter und zur Hälfte seit langem erwerbslos, im Freizeitheim des Gasthauses Jütte zu versammeln. So ungewohnt die ganze Art des Zusammenseins für das Dorf war (täglicher Kirchgang von Männern!) - aus der Männerarbeit in der Gemeinde Stöcken wuchs es mit Notwendigkeit heraus; wie wir hier auch einmal die seltene Freude hatten, daß die Arbeit einer Freizeit sich unmittelbar in der heimischen Gemeinde fortsetzen kann. Mitte Oktober folgte die ursprünglich für die Himmelfahrtswoche angekündigte Freizeit in L ü n e b u r g (15.- 19. Oktober), bei der Ludwig Heitmann und Henning Hahn im Anschluß an den Wochenspruch vom Brot des Lebens über „Kirche und Sakrament” sprachen. Die reiche Auswahl gottesdienstlicher Räume bot eine große Hilfe; ein kleinerer Kreis war schon an den Vormittagen beisammen, während etwa 35 Teilnehmer abends den Vorträgen und Andachten beiwohnten. Der Ertrag der kurzen Tage wird in regelmäßigen Zusammenkünften am Ort ausgewertet und vertieft werden. Die Freunde n ö r d l i c h der Elbe trafen sich unter Ludwig Heitmanns Leitung vorn 3.-6. Oktober am Timmendorfer Strand bei Lübeck. „Das verständnisvolle Eingehen der freundlichen Hausverwaltung des Privathauses „Wohld” schuf im Zusammenklang mit dem hilfsbereiten Einspringen aller 33 Teilnehmer und Teilnehmerinnen in aller Enge eine wahrhaft häusliche Gemeinschaftsatmosphäre. Ein Weg von 5 Minuten führte uns durch den prachtvoll herbstlichen Ostseewald zu der Waldkapelle, in der wir durch das freundliche Entgegenkommen des Ortspfarrers unsere Tagesfeiern halten konnten, in der uns auch ein gemeinsamer Gottesdienst mit der Gemeinde selbst zusammenschloß. Zu der Gunst der äußeren Bedingungen kam ein vom Anfang bis zum Ende der Freizeit spürbares besonders feines inneres Zusammenklingen der Geister, zu dem Walter Lüneburgs Singleitung ganz Wesentliches beigetragen hat, das aber auch auf die von allen stark empfundene Verantwortung vor der gemeinsamen pädagogischen Aufgabe der Gegenwart zurückzuführen ist. Nacheinander beschäftigten uns in den 4 Tagen, die ganz der Frage der praktischen Gestaltung gehören sollten, der Zusammenhang der Religionspädagogischen Aufgabe mit der Zeitlage - das Problem der Herauslösung, der Gemeinschaft, der Form, der Feier -, die Bedeutung der Altersstufen für die Form der Erziehung und die Gestaltung des Stoffes, die lebendige Gleichnissprache im Unterricht, der Konfirmandenunterricht. Wieviel Berneuchen zu der schwierigen und umstrittenen religionspädagogischen Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft beizutragen hat, ist uns im lebendigen, z. T. heißen Gespräch, das gewiß nicht zufällig zuletzt in einen „Konfirmandenunterricht für Erwachsene” überging, überraschend deutlich geworben. Für die Frage „Erziehung und Kultus” war schon das Ineinanderklingen von Besprechung und Feier während der ganzen Freizeit, mehr aber noch die Besprechung zwischen Pädagogen (ihrer waren 17), Theologen (7), Fürsorgerinnen (4), Studenten und Schülerinnen (3) und Hausmüttern (2) und der Versuch, vom Sprechen zum Psalmodieren und zum gregorianischen Sprechgesang zu gelangen, außerordentlich aufschlußreich. Die Aussprache über Gleichnisdenken und Meditation und die Verwirklichung der praktischen Gleichnisrede im Konfirmandenunterricht bildeten den Höhepunkt der gemeinsamen Tage, die den meisten Teilnehmern pädagogisches Neuland erschlossen haben.” (Ludwig Heitmann). Die eigentlichen Mittelpunkte des Geschehens waren ein Festgottesdienst im Schatten des Domes, auf dem ihn umgebenden geschlossenen Platz, und vor allem das „Feiertagsspiel” von Rudolf Mirbt. „Es zeigt den Riß auf, der durch unser Volk geht: hie die Werktagslosen, da die Feiertagsgäste: hie ein Werktag ohne Gott, da ein Christentum ohne Kraft, den Werktag zu gestalten. In tapferer Wahrhaftigkeit wird vor dem Kirchenvolk, auch vor den noch Unerschütterten, die Kluft aufgerissen, bis bei den Spielern und wohl auch bei den Hörern die Haltung der Kirchenfrömmigkeit und der Verzweiflung ins Wanken kommt und die getrennten Gruppen miteinander „die Kirche suchen” wollen. Da endlich spricht vom Dom her eine unsichtbare Stimme: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen”.” (Das Spiel erscheint demnächst in Neuauflage bei Kaiser- München.) Gerade weil wir im Berneuchener Kreis sehr stark von der Forderung bedrängt werden, in die Stille zu gehen und in der Stille den Grund aller kirchlichen Arbeit zu legen, dürfen wir uns die Bedeutung eines solchen Wirkens in die weiteste Öffentlichkeit hinein auch nicht verhehlen. Im Freistaat S a c h s e n fand vom 3.-10. Oktober die erste Berneuchener Freizeit statt, vorbereitet von Kurt Zeuschner und geleitet von Wilhelm Stählin. Das Mädchenerholungsheim Niederrödern nahm 45 Teilnehmer auf, von denen einige auch aus Schlesien und weiterher kamen; 18 Theologen waren darunter - die theologische Auseinandersetzung hat hier stärker im Vordergrund gestanden, als es etwa in Urspring die Regel ist. So war es sehr erfreulich, daß auch Alfred Dedo Müller, kaum von einer Grippe genesen, dabei sein konnte. Das Wagnis, für diesen ersten Anfang - die Wenigsten hatten schon an einer Freizeit teilgenommen - die volle Urspringer Tagesordnung zu übernehmen, konnte nur gelingen, weil auch die dazu notwendige Einschränkung der Privatgespräche durch geschlossene Schweigezeiten mitübernommen wurde. „Für die Andachten stand die Dorfkirche zur Verfügung, ein schlichter, außen neu hergerichteter Bau mit einem Barockaltar, den man liebgewinnen konnte. Der Weg zu ihr durch Park und Wiesen und über den wohlgepflegten Friedhof war ein idealer Kirchweg; die Symbolik dieses Ganges, der die große Autostraße Berlin-Dresden überquert, mit dem ständigen Blick auf den hübschen Kirchturm, wird allen unvergeßlich sein.” Die s c h l e s i s c h e n Freunde haben nach Kurt Vangerows Bericht in diesem Jahr zum dritten Mal eine Osterfreizeit abgehalten. „Sie fand vom 30. März bis 2. April im Volkshochschulheim der schlesischen Jungmannschaft statt. Man sammelte sich um die beiden Mächte „Volk und Gemeinde” im Anschluß an Bruno Gutmanns Schriften”. In Z ö p t a u konnte Wilhelm Thomas eine liturgische Singwoche, leiten, die Mitte August Vertreter der deutschen Diasporakirche in Böhmen, Mähren und Schlesien mit der Hausgemeinde des Diakonissenmutterhauses verband! Fritz Mauer half auch wieder getreulich. „Es war erstaunlich, wie stark der bunt zusammengewürfelte Kreis sich in den Tagen zusammensang, sodaß beim Schlußsingen im Garten vor unseren lieben Alten, den Erholungsgästen und einigen Ortsbewohnern eine ganze Anzahl von Chorälen und Volksliedern in mehrstimmigen Sätzen gut gesungen werden konnte. Die tägliche „Lehre” führte tief hinein in das Verständnis der pentatonischen und diatonischen Musik, in die Gregorianik, die Kirchentonarten und in das polyphone Singen. Wer bisher nur die moderne harmonische Musik der letzten Zeiten gekannt hat, dem wurde eine völlige neue Schau der Dinge aufgetan. Am eigenartigsten berührte wohl die Tatsache der musikalischen Verwandtschaft einfachster Kinderspiellieder mit den alten Chorälen. Stimmbildungsübungen halfen zur Auflockerung des Atmens und Singens. Gesungen wurden vor allem Lieder aus der lutherischen Reformation und von den böhmischen Brüdern aus dem „Abendlied”, dem „Singen wir heut mit gleichem Mund” und dem „Zu guter Nacht”. Außerdem wurde, besonders am Nachmittag bei den Wanderungen in die Berge, aus dem „Wach auf” und dem „Singenden Quell” gesungen. Täglich sangen wir am Abend in zwei Chören den 111. Psalm und das Magnificat, das alte Abendlied unserer lutherischen Kirche. Eine gemeinsame Abendmahlsfeier ganz früh am Sonntag des barmherzigen Samariters bildete den Abschluß” (Weither Stökl im „Michaelisboten aus Zöptau”). Dürfen wir so auf mancherlei Geschehen in den verschiedensten deutschen Gauen zurück blicken, so könnte es den Anschein haben, als bedrohe eine große Vielgeschäftigkeit unsere kirchliche Erneuerungsarbeit. Demgegenüber müssen selbst diejenigen, die bei dieser Arbeit ein besonderes Maß von Mühe und Verantwortung zu tragen gehabt haben, immer wieder dankbar bekennen, daß nichts der heute unvermeidlichen Zersplitterung und Unrast im beruflichen und privaten Leben ein solches Gegengewicht hat entgegenstellen können, als die Geschlossenheit und Sammlung gottesdienstlich gestalteter Tage und Wochen. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 22-25 |
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