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von Walter Uhsadel |
Eine der Ursachen dafür, daß es dem heutigen Menschen, der den Weg in die Kirche hinein wieder sucht, sehr schwer wird, den Zugang zu ihr zu finden, liegt darin, daß wir kein gültiges Bild des Menschen mehr besitzen. Wir flüchten zwar vor dieser Erkenntnis und suchen den Grund für jene Schwierigkeit an anderer Stelle, nämlich im Wandel des Weltbildes; aber es wird uns nicht erspart bleiben, immer deutlicher zu sehen, daß unsere eigentliche Not die ist, daß wir kein Menschenbild mehr haben. Zur selben Zeit, in der wir den Makrokosmos durchforschen, haben wir den Mikrokosmos aus den Augen verloren. Wir begnügten uns in der Freude über die Erfolge des menschlichen Geistes damit, den Menschen als das vernunftbegabte, denkende Wesen zu sehen und trauten ihm zu, er werde vom Denken her sich selber seinen rechten Ort im Ganzen der Welt anweisen. Das denkende Ich schien der eigentliche Mensch zu sein. Auch im Raume der Kirche sah sich dieses denkende Ich um und begann selbstherrlich darin zu walten. Es griff nach den „geistigen Werten”, die es darin vorfand und noch für brauchbar erachtete, im „praktischen Leben” verwertet zu werden. Was dem nicht mehr zu dienen schien, was „für das moderne Denken” „veraltet” schien, wurde beiseitegekehrt. Ist es verwunderlich, daß damit alles, was aus dem Raum der Kirche entnommen wurde, entstellt wurde? Mußte nicht jene unheimlich vielfältige Wirklichkeit, die in der Kirche S ü n d e heißt, nun zu einem schalen, moralischen Begriff werden? Mußte nun die reiche, geheimnisvolle Wirklichkeit, die in der Kirche G n a d e heißt, nicht zu einer öden, rationalen, juristischen Formel erstarren? Mußte nicht das, was im Raume der Kirche über die S c h ö p f u n g gesagt wird, als eine veraltete naturwissenschaftliche Lehre erscheinen, und das, was die Kirche vom n e u e n L e b e n , von der n e u e n K r e a t u r zu sagen weiß, als eine Privatsache des Ich gelten? Die oft vernommene Klage, daß die „protestantische” Kirche öde und kahl geworden sei, kam zwar von einem ästhetischen Gesichtspunkt her und wurde darum mit Recht vom Forum der Theologie abgewiesen; aber ob nicht hinter dieser Klage eine tiefere Ahnung stand? Und war jene Theologie wirklich der befugte Richter? Weder eine Theologie, die sich darin erschöpfte, dem Evangelium sittliche Weisungen zu entnehmen, noch jene andere, die ein überliefertes Gedankengebäude als die „rechte Lehre” zu übermitteln trachtete, konnte den Zerfall der Kirche aufhalten. Wird es eine n e u e Theologie vermögen, die in scharfem Angriff die vermeintliche Selbstsicherheit des heutigen Menschen zu erschüttern sucht? Und bleibt ihre Antwort, wenn dieser Mensch zu fragen beginnt, nicht eben in jenem Bezirke, in dem der Mensch sich selbst zu begreifen versucht, befangen? Darum läßt ihn auch eine Kirche, die sich nur an den denkenden und zu Entschlüssen bereiten Menschen wendet, ohne die Hilfe, die er braucht. Sie lehrt ihn unerbittlich, den „Anspruch” Gottes zu hören, ohne ihn erfahren zu lassen, daß das „Wort Gottes”, das ihn anspricht und beansprucht, eine Macht ist, die hineinreicht bis in jene Bezirke seines Seins, die ihm dunkel und unheimlich sind, daß es als eine Fülle des Lebens zu ihm und über ihn kommt, die ihn nun erst eigentlich - zu einem Ich macht, zu einem Ich, das nun vor Gott steht und sprechen kann: Ich - glaube! Danach hungert dieser Mensch, daß das „Wort Gottes” zu ihm kommt nicht als etwas, das sich wiederum an sein Denken wendet, sondern als eine - Speise. Im Raume der Kirche will und soll der Mensch nicht angesprochen werden als das „denkende Ich”, das sich selber zu kennen vermeint, sondern als Kreatur mit Leib, Seele und Geist, als Geschöpf, das einer Neuschöpfung harrt. Wir sind dankbar, daß es heute eine psychologische Erforschung des Menschen gibt, die uns wieder auf die Spur jenes tiefen Wissens um den Menschen hilft, das die Menschen des Neuen Testamentes und der Urchristenheit besaßen. Es ist überraschend zu sehen, wie die archetypischen Symbole, die Jung vornehmlich aus der Beobachtung von Träumen gewonnen hat, (Anm. 4) mit Darstellungen zusammentreffen, wie sie in der Bibel vor uns ausgebreitet liegen. Wir beginnen wenigstens wieder zu ahnen, daß wenn z. B. in der Heiligen Schrift von der Verführung durch die Schlange, von der Erhöhung einer Schlange durch Mose, von der Kreuzigung Christi als der Vernichtung der „alten” Schlange die Rede ist, wenn den Jüngern verheißen wird, sie werden auf Schlangen treten ohne Schaden zu nehmen, und den Gläubigen, daß sie Schlangen vertreiben werden, oder wenn von dem Kinde gesprochen wird, das uns geboren ist, oder davon, daß ein Säugling seine Lust haben wird am Loch der Otter, oder daß Jesus ein Kind nahm und es mitten unter sie stellte, - wir beginnen wieder zu ahnen, daß damit Tiefenschichten der Seele angesprochen werden, über die wir mit unserer verengten, intellektualistischen Verkündigung des „Wortes” hinweggeredet haben. Aber es ist dies nur ein Beispiel aus der Fülle dessen, was uns das Bild des Menschen, wie es die neue Psychologie darbietet, wieder in der Botschaft der Heiligen Schrift verstehen lehrt. Anmerkungen:
Evangelische Jahresbriefe 1936, S. 132-135 Zum Hintergrund vgl. etwa C.G.Jung und der Nationalsozialismus Weitere Aufsätze zu C.G. Jung in Quatember: Gerhard Bartning - Hebräische wider griechische Psychologie? Joachim Scharfenberg - Zum theologischen Gespräch mit C. G. Jung |
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