|
von Walter Tappolet |
Wenn wir das Gesangbuch, das Valentin Babst 1545 in Leipzig gedruckt hat - das letzte Gesangbuch, das bei Lebzeiten Dr. Martin Luthers erschienen ist, und für das er eine neue Vorrede verfaßt hat, woraus wir wohl schließen dürfen, daß er auch den Inhalt, die Auswahl der Lieder mitbestimmt hat - durchblättern, so fällt uns auf, daß auf die sieben Lieder des Weihnachtsfestkreises die beiden Osterlieder Luthers folgen und für das Geschehen des Leidens und Sterbens unseres Heilandes Jesu Christi zwar zwei Gebete, aber keine Lieder zu finden sind. Auch anderswo suchen wir beinahe vergebens nach Passionsliedern aus den Anfängen der Reformation. Es ist dies so gedeutet worden, daß die Schmach der menschlichen Handlungsweise „am Karfreitag der Gemeinde den Mund verschließt, wie den Frauen unter dem Kreuz” ; denn die wirkliche Gemeinde weiß es, daß sie es ja ist, die immer wieder ihren Herrn verrät, verläßt und kreuzigt. Könnte aber nicht noch etwas anderes ein Grund sein für das Fehlen der Passionslieder in dieser Zeit? Es ist ja nicht so, daß über die Passion überhaupt nicht geredet würde. Das Leiden Christi wird nicht bewußt umgangen; vielmehr wird es in anderen Zusammenhängen gesehen, als spätere Geschlechter es taten. Die Weihnachtslieder sprechen vorausnehmend, die Osterlieder rückschauend von diesem Geschehen. Michael Weiße (gestorben 1534), der Liederdichter der Böhmischen Brüder, singt im Lied „O gute Mär, schon längst begehrt” , folgende Strophe: „Loben wir Christum wohlgemut,Besonders kraftvoll und bildhaft kündet das mittelalterliche Lied „Sei uns willkommen, Herre Christ” vom Vollendungsweg Christi: „Nun ist Gott geboren, unser aller Trost,Heinrich von Laufenbergs Weihnachtslied „In einem Kripplein lag ein Kind” führt uns von der Krippe bis zu des Vaters Thron: „Hienach wohl über dreißig Jahr,Vor allem ist es Dr. Martin Luther, der die Passion von Ostern her betrachtet. Darum sind vielen seine Osterlieder anfänglich erst fremd, weil in ihnen die Überschwänglichkeit des Osterjubels von der Schwere des Leidens gedämpft wird. (So ist es verständlich, wenn ein zeitgenössischer Komponist ein Passionsstück zu „Christ lag in Todesbanden” geschrieben hat, weil ihm offenbar aus Bachs Orgelbüchlein nur die Melodie und vom Text bloß die erste Zeile bekannt war.) Die fünfte Strophe beginnt denn auch: „Hie ist das recht Osterlamm,In Luthers anderem Osterlied „Jesus Christus, unser Heiland” ergreift uns die Eindringlichkeit des knappen Textes, der auf seine Art alles sagt: „Der ohn Sünden war geboren.Und dazu die in ihrer Einfachheit und elementaren Wucht einzigartige Melodie, die an uns vorüberzieht wie ein Totentanz oder eine Prozession. Daß die Lücke der Passionslieder in der Choraldichtung Luthers nur eine scheinbare ist, zeigen uns sein Abendmahlslied „Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt, durch das bitter Leiden sein, half er uns aus der Höllen Pein” und sein Tauflied „Christ unser Herr zum Jordan kam.” Die früheren Geschlechter lebten in größeren Zusammenhängen; sie kannten noch nicht das neuzeitliche Spezialistentum, das die Dinge losgelöst aus ihrem großen Ablauf vornimmt und betrachtet. Auch in den Weisen und Chorsätzen jener Zeiten erstaunt uns die Weite der Spannung und die Länge des Atems. Der richtig geprägte Ausdruck, daß wir ein kurzatmiges Geschlecht seien, ist so zu verstehen, daß unter dem Gesetz der engen Verbundenheit und der Wechselwirkung von Geist und Leib uns die zugleich seelische und körperliche Gelassenheit des ruhigen, langen Atems fehlt und gleicherweise die geistige Weitsicht, die Dinge und das Geschehen in ihren tiefen Zusammenhängen zu schauen. Das geistliche Volkslied „Es kommt ein Schiff geladen” führt uns durch den ganzen Erdenweg Christi, durch das ganze Kirchenjahr als das Christusjahr hindurch: „Und wer dies Kind mit Freuden Die Betrachtung des Leidensweges unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus kann in Ernst und Wahrheit nicht anders geschehen, als daß sie uns an die eigene Brust zu schlagen und in bußfertiger Reue uns zu beugen gebietet. Unsere Sünde, unsere Loslösung von Gott, dem Schöpfer und Seinen Ordnungen des Lebens ist ja der Anlaß zu der Menschwerdung Seines Sohnes. Und für Seinen Sohn, den Christus, heißt Menschwerdung „Entäußerung” , Verzicht auf die Macht und Herrlichkeit in des Vaters ewigem Reich, heißt Erniedrigung, Verkennung, Ablehnung, Leiden, Tod am Kreuz des Verbrechers. Gott, den Vater, „jammerte” das Elend seiner Geschöpfe; Er sendet Seinen Sohn als Mittler, als Tilger unserer ewigen Schuld, als Erlöser. Was Jesus auf seinem Lebensweg, in der Spanne zwischen Geburt und Tod getan hat, wird zusammengefaßt in das Größte: er hat Kranke gesund und Tote lebendig gemacht. So spricht es der Herr Christus ja selbst aus, als Johannes der Täufer, sein Wegbereiter, in der Haft des Kerkers von den Wundertaten hört und Gewißheit haben möchte, ob er der sei, „der da kommen soll” oder ob er weiter hoffen und „eines andern warten” müsse (Markus 11, 2-5). Zuerst Erkenntnis unserer Schuld, dann aber Dank! Wir können in keiner andern Weise dafür danken, „daß er für uns litt solche Pein” , als durch Beugung unter „seinen Willen” , durch Nachfolge. Denn uns scheinet ja „der Glanz der Herrlichkeit, der uns von Anfang ist bereit't” , uns leuchtet „die klare Sonnen” ! Die Tiefe der Liebe, die Jesus durch sein Leiden und Sterben besiegelt hat, kann sich nicht in der Kammer unseres Herzens zur Ruhe legen; sie wird, wenn wir sie in Glaube und Demut in uns eingehen lassen, uns verwandeln und weiterstrahlen zu unsern Brüdern. Laßt uns das Leiden und Sterben unseres Herrn und Heilandes, das er um unsertwillen auf sich nahm, so betrachten, daß uns nicht „Gottes Zorn” erreicht, weil wir uns nicht erwecken lassen von dem Wort Gottes, das „Fleisch geworden” und für uns in den Tod gegangen ist! Denn keiner weiß, wie lange der Herr Geduld hat mit unserer Untreue. Laßt uns in diesen Wochen der Stille und Einkehr unsern Vater bitten, daß Er uns nicht Seine Langmut und Gnade entziehe und uns, dem unfruchtbaren Feigenbaum gleich, wegwerfe! „Darum wir sollen fröhlich sein,und die so eindringlich mahnende letzte (unsere zweite). Wir haben also auch hier eine Liedpassion vor uns; es fehlen ihr aber die „Kraft der Versenkung” und die vielen ergreifenden Einzelzüge, die das Lied „Jesus der ging den Berg hinan” (Fastenbrief 1937) so wertvoll machen, so daß es richtig ist, wenn von dem Ganzen nur die erste und letzte Strophe lebendig geblieben sind. Diese sind auch von solcher Tiefe und Schönheit, daß sie wohl nicht wieder vergessen werden können. Die Melodie, die meist in einfachen Tonleiterschritten vom Grundton aus langsam ansteigend eine Weise von ungewöhnlich weiter Spannung bildet, stammt aus dem dritten Teil des Straßburger Kirchenamtes 1525 (zum Text „Es sind doch selig alle die” nach Psalm 119, 1-16). Sie wird dann bald auch für die Psalmen 36 und 68 verwendet. In der Edition Jaqui (Genf 1565) der Psalmen Goudimels (1) steht sie in leicht veränderter Fassung. Die Weise ist bekannt von Bachs Matthäuspassion und Orgelbüchlein her oder dann in dem Satz Haßlers in seinen „Kirchengesang 1608” . Anm. 1: Faksimile-Neudruck im Bärenreiter-Verlag. Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 48-52 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-03-05 Haftungsausschluss |