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von Wilhelm Stählin |
Im Laufe der Kirchengeschichte ist immer wieder der Versuch gemacht worden, von einem einzelnen Punkt her in das Ganze der Bibel einzudringen und eine einzelne Wahrheit als Schlüssel zu gebrauchen, der alle Räume der heiligen Schriften aufschließt. So hat die alte Kirche in der Heiligen Schrift wesentlich die Spuren der unvergänglichen Weisheit, der wahren Philosophie gesucht; spätere Zeiten haben aus der Bibel vor allem eine von Gott gestiftete Ordnung, ein vollkommenes und darum unbedingt verpflichtendes Gesetz herausgelesen. Luther war gewiß, in der paulinischen Botschaft von der rechtfertigenden Gottesgnade den Schlüssel zum Ganzen gefunden zu haben, und er verstand alles, das Alte ebenso wohl wie das Neue Testament, als die Entfaltung dieses einen Wortes von der Gnade Gottes, der uns sein Wohltun zuwendet. - Es hat keinen Sinn, darüber zu streiten, welches nun der rechte Schlüssel sei, der wirklich imstande ist, alle Türen aufzuschließen. Denn solche Wandlungen im Verständnis der Heiligen Schrift sind selbst Form und Ausdruck tieferer Wandlungen im geistlichen Leben der Kirche, und es kann nicht anders sein, als daß jedes Geschlecht wieder durch ein anderes Tor in die heilige Stadt mit ihren tausend Gassen eindringt und dann freilich, je nach der Seite, von der es gekommen, auch sein eigentümliches Bild von Weite und Bau des Ganzen empfängt. Eine jede Macht kann nur auf ihrem eigenen Boden besiegt werden. Da das menschliche Ich die Einbruchstelle und Behausung der Dämonen ist, so kann die dämonische Macht nur von dem menschgewordenen Gott, von Gott der ein menschliches Ich geworden ist, angegriffen, gebrochen und entmächtigt werden. Eben darum kann, nach dem tiefsinnigen Wort des Hebräerbriefes (2, 14), der Fürst des Todes nur durch den Tod selbst, in seinem eigenen Herrschaftsbereich seiner Macht beraubt werden. Das aufregend Widersinnige, das dem Tod anhaftet, ist nirgends widersinniger und aufregender als in dem Tod Jesu; daß der „Fürst des Lebens” getötet wird, ist nicht tragisches Geschick, heroischer Untergang oder dergleichen; sondern hier greift der Zusammenhang zwischen dem Tod und der Schuld der Welt jedem, der nicht verstockt oder verblendet ist, ans Herz. Hier wird unser aller Schuld und Fluch und Hoffnung, unser aller Sterben und Leben ausgetragen, durchlitten und durchgefochten. Dieser Tod wird nicht widerrufen; der Herr kehrt nicht „zurück” in das Leben diesseits der Todesgrenze, sondern er ist hindurchgebrochen und er „erscheint”, er läßt sich sehen als die „verklärte” Gestalt, die doch in diese Todeswelt hineinragt und hineinwirkt. (Anm. 1) „Ich war tot, und s i e h e , ich bin lebendig ...” (Offenb. 1, 18). „Überwindung des Todes” kann also nicht heißen,. daß dem Menschen, so wie er ist, der leibliche Tod erspart würde, sondern daß hinter dem Tod und durch den Tod hindurch eine neue, andere, höhere Lebensmöglichkeit sichtbar wird: der Abgrund wird zu einem dunklen Tor, durch das man hindurchschreiten darf, und das Ende birgt sich in einen neuen Beginn. Was jeder Morgen, der sich aus der Nacht erhebt, uns verheißt, ist erfüllt: Christus ist wahrhaftig „auferstanden”. Die verschlossene Tür ist einfürallemal aufgestoßen, durch den, „der auftut und niemand schließt zu” (Offenb. 3, 7). Der Begriff der „historischen Tatsache” (der ja immer das einzelne Ereignis im zeitlichen Abstand von uns meint) reicht nicht hin, zu beschreiben, was hier geschehen ist; denn was hier geschehen ist, ist an der ganzen Menschheit geschehen: in dem Äonenkampf zwischen Tod und Leben ist der Tod besiegt und dem Leben die Bahn gebrochen. Darum ist Ostern d a s Fest der christlichen Kirche und die Mitte der Heiligen Schrift und aller Erdengeschichte überhaupt. Es sieht bisweilen so aus, als ob der leibliche Tod doch eine unüberschreitbare Grenze wäre; die Frommen des alten Bundes halten es für nötig, Gott zu bedrängen, daß er doch seine Macht beweise, ehe es zu spät ist. Umso schwerer wiegt es, daß in der Auferstehung diese letzte Grenze übersprungen und diese letzte Angst von dem Menschenherzen genommen ist. Der letzte Feind ist zuschanden geworden. Nun erst ist jene dreifache Linie wirklich zu Ende gezogen. „Bei Gott ist k e i n Ding unmöglich.” Die Auferstehung ist mehr als die Unsterblichkeit, und erst durch den Tod hindurch wird der Mensch zu seinem wahren Bilde verklärt. Auch hier muß ein Dreifaches gesehen und bedacht werden. Ohne Zweifel haben die „Mysterien” des Christentums - das Neue Testament kennt ja noch nicht den theologischen Begriff des Sakramentes - keine andere Bedeutung als die configuratio cum Christo: Der Mensch soll Christus „gleichförmig” werden durch die Teilnahme an seinem Sterben und seiner Auferstehung. Die Taufe ist der symbolische Vollzug des Begräbnisses, und durch diesen symbolischen Vollzug erlangt der Christ Anteil an dem neuen Leben des auferstandenen Christus: „ ...also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln.” Auch das Sakrament des Altars wäre nicht „Eucharistie”, das heißt Mahl der Danksagung, wenn darin nur das fromme Gemüt an das Leiden und Sterben des Herrn erinnert und nicht durch die reale Gegenwart dieses Opfers den Gläubigen wirklich das Brot des ewigen Lebens und der Kelch des immerwährenden Heils zuteil würde. Durch die Teilnahme an den Sakramenten werden wir auf einen Weg gestellt (und empfangen Wegzehrung auf diesem Wege), der innerhalb dieses Erdenlebens noch nicht zu seinem Ziele kommt. Denn das Ziel ist die Teilnahme an dem himmlischen Leben Gottes, Teilhaber an dem Leben eines neuen Äon: expecto resurrectionem mortuorum et vitam venturi saeculi. Gerade angesichts der grausigen Todesernte dieses Krieges empfangen viele Herzen eine ihnen selbst vielleicht ganz neue Gewißheit dieser jenseitigen Welt, in der sie mit den Lieben, die von ihrer Seite gerissen sind, verbunden sind. Wir gehen nicht in die Nacht, sondern in den Tag und schauen in das Licht der aufgehenden Sonne. Auf diesem Wege geschieht nun alles das, was wir mit dem Wort „Heiligung” meinen. Man muß freilich dieses Wort zunächst von allen Gedanken an moralische Trefflichkeit und willensmäßige Anstrengung lösen, um zu erkennen, wie sehr die Heiligung des Lebens mit Ostern zusammenhängt. Es geht ja um nichts anderes als darum, daß das Leben der zukünftigen Welt sich unseres irdischen Lebens in allen seinen Bereichen bemächtigt und sich gegenüber allen selbstischen und ich-verkrampften Wesen durchsetzt. Wir können nicht ohne ein immer neues Sterben geheiligt werden. Hier wird nun der Tod ganz hereingenommen ins Leben; nicht mehr als ein Naturprozeß oder als ein Verhängnis, dem wir in heroischer Haltung begegnen, sondern als die Tat der vollkommenen Selbsthingabe an Gott, in der unser gott-widerstrebendes Ich verzehrt und verschlungen und gewandelt wird von dem Feuer der göttlichen Liebe. Wer diesen Tod gestorben ist und in ihm das wahre Leben der Liebe gewonnen hat, dem kann der leibliche Tod nichts mehr anhaben. „Wir sind vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.” Darum ist Heiligung nichts anderes als das Fortschreiten auf dem Wege zwischen Taufe und Auferstehung der Toten. Sie erschließt sich der Kraft, durch die der Vater den Sohn auferweckt hat, und streckt sich aus nach unserer eigenen Auferstehung. Ostern ist wirklich das Thema der ganzen Heiligen Schrift und das Geheimnis des christlichen Lebens. Und es ist nur dies vonnöten, daß wir uns mit diesem Schlüssel alle Räume der Erkenntnis und des Lebens aufschließen lassen und die Räume betreten und durchschreiten, die uns aufgetan werden. ---------- 1: Vergleiche dazu den Aufsatz über die Auferstehungsgeschichten im Osterbrief des vorigen Jahres Evangelische Jahresbriefe 1942, S. 26-30 |
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