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Kirche des Geistes
Eine Pfingstbetrachtung
von Wilhelm Stählin

LeerIn dem uns vertrauten Bekenntnis des christlichen Glaubens sind das Bekenntnis zu dem Heiligen Geist als dem „Herrn, der lebendig macht” und zu der „einen heiligen, katholischen und apostolischen Kirche” einander zugeordnet und in dem „dritten Artikel” zusammengefaßt. Darin findet das Selbstverständnis der christlichen Kirche, aus der dieses Bekenntnis mit seiner inneren Ordnung geboren ist, seinen notwendigen Ausdruck: was „Kirche” ist, kann nur im Zusammenhang mit dem „heiligen Geist” verstanden werden; die Kirche ist Frucht und Pflanzstätte des Heiligen Geistes: kurz gesagt: die Kirche ist die Kirche des Geistes.

LeerDieses Wort muß sofort vor einem verbreiteten Mißverständnis geschützt werden. Wir können uns nur schwer lösen von der Gewöhnung, unter dem Geist zu verstehen das „Geistige” im Gegensatz zum Körperlich-Sinnlichen, die „Idee” im Gegensatz zur Welt der Erscheinungen, das Unsichtbar-Ewige im Gegensatz zu der konkreten Gegenwart. Hört man aus dem Worte „Geist” dies heraus, so verfällt man auf die Meinung, die Kirche des Geistes müsse die Kirche der Vergeistigung sein, die Kirche der Idee und der Gesinnung, die ihren geistigen Charakter im Protest gegen die Hochschätzung äußerer Form, einen sinnenhaften Kultus und einer konkreten festen Gestalt bewährt. Man versetzt am liebsten diese Kirche des Geistes selbst in die Sphäre des Unsichtbaren und meint, sie dürfe, weil sie die Kirche des Geistes ist, nirgends in fester und dauernder Gestalt, in leibhafter Form und Ordnung „erscheinen”. Unter dem hohen Namen des Geistes wird die Kirche selbst verflüchtigt und in ein unanschauliches Reich entrückt. Wie viele unter uns rühmen in diesem Sinne den Protestantismus als die Kirche des Geistes und sehen eben darin seine Überlegenheit über die Sinnen- und Formfreudigkeit der katholischen Kirche!

LeerDamit wird freilich alles entstellt und verkehrt, was die echte christliche Sprache mit dem Heiligen Geiste meint. Denn der Dominus vivificans ist nicht eine Idee, sondern es ist der schöpferische Odem Gottes, durch den alles besteht, ist die Aktivität und Dynamik Gottes, die in diese Welt hineinwirkt und die Gedanken Gottes in ihr verwirklicht. Die naturhaften Bilder, in denen die Heilige Schrift von diesem Geist redet, der Hauch des Atems, der wehende Wind, die Flamme des Feuers, das scheinende Licht, bis hin zum Schweben und Fliegen eines Vogels, haben alle das Gemeinsame, daß darin die wirkende Kraft, die kraftvolle Wirkung dargestellt werden soll; die energeia, die sich an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Organ durchsetzt und verwirklicht.

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Leer1. Diese göttliche Dynamik ist nicht auf eine begrenzte Sphäre der Wirklichkeit beschränkt, sondern es ist die eigentlich bewegende Kraft in allem, was ist, und allem, was geschieht. Daß der „Geist Gottes” über den Wassern des ursprünglichen Chaos schwebte, ist das Erste und Uranfängliche, was über das Geheimnis der Schöpfung gesagt werden kann (1. Mose 1, 2), und durch den Hauch Seines Mundes ist alles geschaffen (Ps. 33, 6); durch den lebendigen Odem Gottes ist der Mensch zum Menschen geworden (1. Mose 2, 7). Gewiß ist die Weltgeschichte dadurch bedingt, daß Menschen auftreten und handeln, Macht gewinnen und Herrschaft üben; aber das alles ist die vordergründige Wirklichkeit; in Wahrheit ist der Geist Gottes in seiner souveränen Freiheit und Macht die eigentlich treibende Kraft der Geschichte. Wenn Gottes lebendiger Odem einen Menschen durchdringt, dann wird er zum Helden und Herrn, der sein Volk zur Größe emporhebt (4. Mose 27, 18; Richter 6, 34 u. ä.; 1. Sam. 16, 13), und wenn der Geist Gottes von dem König genommen wird, dann neigt sich der Tag seiner Macht zum Ende (1. Sam. 16, 14); es gibt einen Anhauch des Verderbens, durch den der also Befallene in Wahn verstrickt wird und alles, was er tut, sich zum Unheil wenden muß (1. Kön. 22, 22). Die von dem Odem Gottes Betroffenen, Propheten und Könige, verkünden und vollstrecken den Ratschluß Gottes, vielleicht wider Willen; kraft dieser „Salbung” wird ein Mensch zum Werkzeug Gottes (Jes. 61, 1). Darum ist alles Gebet des Frommen in die eine flehentliche Bitte zusammengefaßt: „Nimm Deinen heiligen Geist nicht von mir!” (Ps. 51, 13), und alle Zukunftshoffnung gipfelt in der Erwartung, daß der machtvolle Anhauch Gottes das Tote zu neuem Leben erwecken (Hes. 37, 14) und einmal alles Lebendige ohne Unterschied erneuern, mit Gotteserkenntnis und Lebensfülle durchdringen werde (Hes. 36, Joel 3).

LeerAlle diese Rede von dem Odem Gottes gilt aber nicht primär dem einzelnen und für sich betrachteten Menschen, sondern es ist der durch die Zeiten hindurchgehende Weltenplan Gottes, der sich durch den „Hauch seines Mundes” verwirklicht, der Völker und Könige beruft und verwirft, und den einzelnen berufenen Boten des Herrn sein Wort auf die Lippen legt. Der „Geist” ist die göttliche Aktivität, durch die er schafft und verwirklicht, was „von Anbeginn” in seinem Herzen beschlossen ist. Das „von der Welt her” verborgene Geheimnis Gottes wird offenbar in der geschichtlichen Erscheinung Jesu Christi; die Geschichte Gottes mit der Welt tritt in ein neues Stadium, seit Christus geboren ist. „Der Heilige Geist”, die Kraft des Höchsten, überschattet die Jungfrau Maria, und wir bekennen, daß Jesus Christus ist „empfangen von dem Heiligen Geist”. In dem geheimnisvollen Geschehen der Taufe am Jordan senkt sich dieser Gottesgeist als die volle Kraft der himmlischen Welt auf den zum messianischen Königsamt Berufenen herab, und es verhält sich zu der Geschichte von jenen Königen, über die jählings der Geist Gottes gekommen ist, wie die Erfüllung zur Weissagung, wenn es von Christus heißt (Apostelgesch. 10, 38), daß Gott diesen „Jesus gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und Kraft”.

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LeerDiese Taufe Christi ist das Urbild unserer eigenen Taufe. Diese ist nur ihrem äußeren Vollzug nach Taufe mit Wasser gleich der Taufe des Johannes, in ihrem Sinn und Wesen ist sie Begabung mit dem Feuer des Heiligen Geistes (Matth. 3, 11; Joh. 3, 5; vgl. Apostelgesch. 19, 1-6) und verleiht Anteil an der göttlichen Dynamis, die in der Auferstehung Christi ihren Sieg über die Todeswelt vollbracht hat. Dieser Zusammenhang alles Lebens im „Geist” mit der Auferstehung (konkret gesprochen, der Zusammenhang von Pfingsten und Ostern) ist von allem, was das Neue Testament vom „Geist” sagt, ganz unabtrennbar. „Gnade ist die Energie Gottes in seinen Kindern” (Blumhardt), eben jene „Energie”, die Christus erweckt hat von den Toten.

LeerDiese neue Stunde in der innersten und eigentlichen Geschichte der Menschheit ist in der pfingstlichen „Ausgießung des Heiligen Geistes” mit Sturm und Feuer angebrochen. Hier ist in Wahrheit nicht nur die einzelne Weissagung erfüllt, auf die Petrus in seiner Rede verweist (Apostelgesch. 2, 17 ff.), sondern hier fängt Gott an, all das zu verwirklichen, was der Ratschluß seiner Liebe der ganzen Menschheit von Urbeginn an zugedacht hat: Er sammelt sich ein Volk aus allen Völkern, um an ihm Seine Kraft zu erweisen und durch Seinen Dienst die kranke Welt zu heilen. Wer den „Geist” empfängt, ist nicht nur Objekt, sondern mitvollziehender Träger des göttlichen Heilswerkes, hineingenommen in das priesterliche Werk Christi, einbezogen in die große Gottesgeschichte, die mit Christus in eine neue Weltenstunde eingetreten, aber noch nicht zu ihrem Ende gekommen ist.

LeerSo gewiß der Odem Gottes, der dem Menschen von Urbeginn an eingehaucht ist, dem Menschen eine über alles bloß Kreatürliche Dasein hinausgehende Bestimmung verleiht, so gewiß reißt der Geist Gottes den von ihm bewegten und getriebenen Menschen in ein ungeheures Geschehen hinein, das erst in der vollen Enthüllung des göttlichen Geheimnisses, am Ende der Tage, im Gericht und in der neuen Welt vollendet wird. Darum ist der „Heilige Geist” auf der einen Seite ständige Vergegenwärtigung und „Erinnerung” (beides im ganz strengen Sinn verstanden!) der geschichtlichen Erscheinung Christi, Auswirkung und Entfaltung des Christusereignisses („der Geist wird Mich verklären” Joh. 16, 13.14), auf der andern Seite aber zugleich die gegenwärtige Gestalt des Zukünftigen, das „Pfand” des Erbes, das noch nicht in unsere Hände gelegt ist. (Eph. 1, 14), das „Siegel”, das alle Verheißung und Hoffnung verbürgt (Eph. 1, 13; 4, 30), und inmitten aller Fragwürdigkeit der gegenwärtigen Welt der Anbruch der vita venturi saeculi.

LeerSo wenig hat dies alles zu tun mit jener vielgerühmten Innerlichkeit, daß der Herr selbst mit dem Atem seines Mundes die Vollmacht seines priesterlichen Amtes auf seine Jünger überträgt (Joh. 20, 22), daß die Apostel durch ihre aufgelegten Hände die Kraft dieses Geistes weitergeben, und daß durch die Berührung mit dieser himmlischen Dynamis Kranke genesen und der Lügner, der sich am Heiligen vergreift, wie vom Blitz gefällt wird (Apostelgesch. 3, 5). Von diesem Geist lebt die Kirche, und wenn sie „Kirche des Geistes” genannt wird, so ist dieser gewaltige, rettende und vernichtende Odem Gottes gemeint.

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Leer2. Damit ist das Wesen der „Kirche” in einer Weise beschrieben, die ihr eine unvergleichliche Würde verleiht und ihr zugleich eine ungeheuerliche und erschreckende Verantwortung auferlegt. Die Stätte der göttlichen Gegenwart war und ist zu allen Zeiten und in allen Religionen von den Schauern der tiefsten Ehrfurcht umwittert; die Werkstätte seines all-mächtigen Wirkens ist geladen mit Kraftströmen, mit denen man nicht ungeschützt umgehen kann, ohne daran zu verbrennen. Ich kenne eine einzige Kirche, in der als Wandgemälde - gerade gegenüber dem Eingang, so daß der Blick jedes Eintretenden darauf fallen muß - die Geschichte von der Saphira (Apostelgesch. 5) dargestellt ist, die unter dem Wort des Apostels zusammenbricht wie vom Blitz getroffen, während draußen schon die Leiche ihres Mannes Ananias hinweggetragen wird; wer die Schwelle dieses Raumes überschreitet, soll wohl bedenken, daß er hier das Kraftfeld des „eifrigen” Gottes betritt, der sich nicht spotten läßt.

LeerÜberall da, wo wirklich Kirche ist, ist Gott gegenwärtig und am Werk, um an Menschen und durch Menschen zu verwirklichen, was Sein Wille ist vom Anbeginn bis zum Ende der Tage. Die Kirche lebt von dem Christus praesens, der in ihr handelt; Menschen, Formen, Einrichtungen sind nur Gefäß und Werkzeug, aber eben wirklich Gefäß und Werkzeug; das „Eigentliche” und Wesentliche ist immer das göttliche Mysterium, das in dieser Hülle sich verbergen und sich mitteilen will. „Gott ist bei ihr drinnen.” Ob Gott redet oder ob Menschen reden, ob Gott handelt oder Menschen, das ist „im Geist” kein absoluter Gegensatz mehr. Der Geist ist „die Energie Gottes in seinen Kindern”.

LeerDas gilt von allen Lebensformen der Kirche. Alle echte  E r k e n n t n i s  entzündet sich nur in der lebendigen Berührung mit dem Kraftstrom Gottes. Das Dogma ist pneumatische „Sprache”, geformt von dem Hauch aus dem Munde Gottes, der uns getroffen hat; unverständliche Rätselrede, wenn nicht Anlaß zu Spott und Verachtung für alle, die draußen stehen, unzugänglich jeder rationalen Logik. Was ich „aus eigener Vernunft oder Kraft” mir ausdenken oder sagen könnte, das lohnte sich wirklich nicht, so feierlich und so mit letzter Hingabe zu sagen, wie es den großen Wahrheiten des christlichen Glaubens gebührt. Ich habe erst dann richtig gehört und kann es erst dann richtig nachsprechen oder vielmehr mitsprechen, wenn mich aus seinen geheimnisvollen Worten der Wind von drüben, vom anderen Ufer anweht, der mich selber mit einem Male atmen läßt in dem größeren und weiteren Raum. Was die heiligen Männer geredet haben, „getrieben von dem Heiligen Geist”, das kann auch nur der wirklich vernehmen, der selbst erleuchtet ist durch das übernatürliche Licht. Alles, was hier erkannt, gedacht und gesagt werden kann, ist ein heiliger Rausch und äußerste Nüchternheit zugleich, „nüchterne Geisttrunkenheit”, wie es im Hymnus heißt. Darum ist es so unsinnig, diese Worte dem heiligen Raum des Gebets zu entnehmen, in dem sie erst wirklich zu leben beginnen, und sie wie irgend einen „Stoff” dem Verstand nahezubringen oder dem Gedächtnis einzuprägen. Aber wer von dem Wehen des Geistes berührt ist, dem erschließen sich wirklich die verborgenen Kammern und ihre heimlichen Schätze; es gibt ein echtes Mysterienwissen der Eingeweihten, und von ihm lebt die Kirche des Geistes. „Der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.” (1. Kor. 2, 10).

LeerEben das Gleiche gilt von dem ganzen Kultus, von Gebet und Sakrament der Heiligen Kirche. Das rechte Verständnis des Kultus entscheidet sich an dem johanneischen Wort, das wir Gott schuldig seien, ihn „im Geist” anzubeten. Denn diese Forderung - wenn hier überhaupt von „Forderung” zu reden ist - weist uns nicht in unsere Innerlichkeit, im Gegensatz zu den feierlichen Formen und Gebärden einer reichen Liturgie, sondern es weist uns auf den Odem Gottes, durch den allein die Worte, die unser Mund spricht, zu wirklichem Gebet erweckt werden. Jedes echte Gebet ist ein Reden Gottes in uns, der uns zu sich zieht, zu sich heimholt in der Inbrunst unseres Betens. Der Unterschied zwischen dem ganz innerlichen Gebet im Kämmerlein, bei dem kein Wort aus dem Innenraum der Seele hinausdringt, und bildende Kunst den Reichtum ihrer Gaben beigetragen haben: dieser Unterschied ist belanglos gegenüber dem allein gültigen Unterschied, ob in solchem Gebet der Mensch bei sich selber bleibt oder ob er „im Geist”, das heißt in der Kraft Gottes betet, der mit dem Hauch seines Mundes unsere Herzen bewegt hat, wie der Engel das heilende Wasser zu Bethesda.

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LeerDarum beten wir zu Beginn des Gottesdienstes „Komm Gott Schöpfer, heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein!” Darum flehen wir zu Gott, er wolle im Sakrament seinen heiligen Geist herabsenden, auf Brot und Wein und wolle durch seinen schöpferischen Anhauch „die vergänglichen Güter der Erde zur himmlischen Speise machen”. Darum beten wir für den Prediger und mit dem Prediger, daß Gottes heiliger Geist uns rechtes Hören und rechtes Reden verleihe. Wir können wirklich nichts tun, ohne ihn, den lebendigen Odem Gottes; davon, ob er unter uns am Werk ist, davon allein hängt es ab, ob unsere Predigten, unsere Liturgie, unsere Kirchenmusik, unsere Sakramente erfüllt sind mit Geist und Leben, oder ob das vernichtende Urteil zu recht besteht, daß an unseren Altären „nichts geschieht”.

LeerDie Kirche ist „Kirche des Geistes” auch in ihrer Gestalt. Das Neue Testament läßt keine Zweifel darüber, daß allein die Dynamik des göttlichen Handelns unter uns brüderliche Liebe erweckt und zugleich alle jene Ämter und andere Formen des Gemeinschaftslebens hervorbringt, in denen sich die Kirche als ein gegliederter Organismus erweist. Allzu schnell beruhigen wir uns dabei, daß die außerordentlichen Kräfte, die der „Geist” der jungen Christengemeinde verlieh, unter uns erlahmt und erloschen sind; leichter, als es das warnende Wort der Offenbarung (2,4) erlaubt, trösten wir uns darüber, daß in einer alten Kirche nicht mehr die „erste Liebe” der Urgemeinde brennt. „Bruderschaft” ist nicht eine Sache der Organisation, sondern eine Sache der geistlichen Lebendigkeit. Die erste Christenheit kannte keinen wirklichen Unterschied zwischen denjenigen, die durch den Geist zu besonderen Gaben und Kräften erweckt waren und den anderen, denen die Apostel ein bestimmtes Amt übertragen hatten. Denn auch die außerordentlichen Geistesgaben verpflichteten zum Dienst an der Gemeinde, und auch die Ämter wurden durchaus als Gabe und Schöpfung des Geistes verstanden (1. Kor. 12, 8 ff.; Eph. 4, 11), und wem die Hände aufgelegt waren, der hatte auch die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Darum gehört zu der Kirche des Geistes die Fülle der in innerer Ordnung gegliederten Ämter, in denen sich ebenso die brüderliche Liebe wie der gemeinsame Dienst auswirkt und darstellt. Es ist hier nicht der Ort, die schmerzliche und beschämende Geschichte zu erzählen, wie im Laufe der Jahrhunderte das Amt des Geistes durch den Geist des Amtes überwuchert wurde, und wie man in unserer Kirche dazu gelangte, die gelehrten Kenntnisse für ausreichend zu halten statt der vom Geist gelehrten Erkenntnis.

LeerDie Einheit der Kirche beruht nicht auf der Einheit der Formen, der Sprache oder der Gesinnung, sondern der Einheit des Gottesgeistes, der alle voneinander getrennten Räume dieses Hauses durchweht; die „Einmütigkeit im Geist” (Eph. 4, 3) ist nichts anderes als die Einheit des göttlichen Lebensodems, der die Welt durchwaltet, und in dem allein seine Kirche atmen und leben kann. An einer versteckten Stelle der Apologie der Augsburgischen Konfession wird die Kirche in einer etwas anderen Weise erklärt, als wir es zu hören gewohnt sind: die Kirche sei „die Versammlungen Heiligen, welche unter sich die Gemeinschaft des gleichen Evangeliums und (also) der gleichen Lehre und des gleichen Heiligen Geistes haben, der ihre Herzen erneuert, heiligt und regiert” (Art. IV, 8). Der abstrakte Geist der bloßen Innerlichkeit kann sozusagen abseits und unabhängig von dem wirklich gelebten Leben verehrt werden; der wirkliche Geist als die Dynamik der göttlichen Gegenwart wird darin sichtbar, daß die Menschen durch ihn gewandelt und geleitet werden. Wir fangen an zu ermessen, was „Leitung durch den Heiligen Geist” heißt und wie sie zustandekommt. Die Kirche des Geistes ist die Kirche der Heiligung.

LeerUnd sie ist die Kirche der Hoffnung, weil der Geist Gottes eine große Bewegung ist auf ein erkennbares Ziel hin. Die Wandlung, Erneuerung und Verklärung der Welt durch alles Leiden, alle Schuld und alles Sterben hindurch ist das Ziel. Dieses Hoffnungsziel ist in der Kirche schon vorweggenommen, und sie weiß, daß ihr an ihren Altären schon mit den Seligen und Vollendeten das Freudenmahl des zukünftigen Lebens bereitet ist. Darum ist die obere Schar, die schon vollendete Kirche immer mit dabei, wenn die Kirche auf Erden um das heilige Evangelium, um Bekenntnis und Anbetung und Sakrament versammelt ist, und sie ist mit den „lieben Heiligen” in der Einheit des Geistes, in Lobpreis und Fürbitte verbunden. Die Kirche des Geistes steht diesseits und jenseits der Grenze, die unseren Blick und unsere irdische Erfahrung begrenzt.

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Leer3. Aber nun halten wir noch einmal still vor dem Bildnis des Ananias und der Saphira. Die Kirche des Geistes ist ein gefährlicher Aufenthalt. Es gibt keinen Besitztitel über den Heiligen Geist, es gibt keine Sicherung, weder durch rechte Lehre, noch durch rechte rechtliche Ordnung, keine Garantie, durch die ein für allemal der Kraftstrom der göttlichen Energie in die Kirche geleitet würde wie ein Kanal, der nun strömen muß, wo ihm sein Bett gegraben ist. Der Garten der Kirche muß versanden und veröden, wenn die Quelle versiegt und das Wasser des Lebens nicht mehr strömt. Viele dinge kann man machen, schaffen, erzwingen mit Eifer, Klugheit, Energie, Disziplin; „es” kann nur durch Meinen Geist geschehen, spricht der Herr. Dieses „Es” ist gerade das, was die Kirche zur Kirche macht. Wenn „es” nicht geschieht, dann hilft aller unser Fleiß, unsere Exegese, Dogmatik, Katechetik, Homiletik und Liturgik und Pastoraltheologie nichts; von der Kirchenpolitik ganz zu schweigen. Dann ist die Kirche langweiliger als die Welt draußen, weil die großen Worte ständig daran erinnern, was da fehlt. Dann bleibt wirklich nur das demütige und illusionslose Bekenntnis unserer Armut, die nie unverschuldet ist, unserer Leere und Kraftlosigkeit. Auf die Frage, die tausendfach an uns gestellt wird: „Kannst du was?” (Mark. 9, 22), müssen wir ganz bescheiden antworten: „Nein, wir können nichts; wir haben keine Vollmacht, wir vermögen das nicht, was unser Beruf in der Welt wäre.” Und es bleibt die flehentliche Bitte: Komm,  G o t t  S c h ö p f e r , Heiliger Geist!

LeerAber dieser Mangel ist nicht das Allerärgste. Der Kirche des Geistes ist das Wort von der Sünde wider den Geist mit auf den Weg gegeben, die nicht vergeben werden kann. Wenn der Geist Gottes kommen will, wenn er uns anhaucht mit seinem Odem, wenn die Quellen aufbrechen wollen aus der Tiefe, und wir sind nicht bereit, wir vertrauen auf unsere Theologie oder unsere Kirchenverfassung oder unser Amt oder unsere Beredsamkeit oder was es sonst sein mag oder wir sind einfach zu träge, zu festgefahren und starr, wir wollen uns vor dem Sturm des Geistes bergen und wollen mit dem Himmelsfeuer nur unser altes Wesen illuminieren, dann kehrt sich alles, was wir wissen und sagen, wider uns selbst, und die Kirche des Geistes wird zur Kirche des Ungeistes, zu jenem Antichristentum, das allezeit wie ein Gespenst neben der Kirche gestanden hat ...

LeerDarum kann die Kirche des Geistes zu allen Zeiten nur inbrünstig bitten um den Geist, der ihr verheißen ist; es geschieht immer ein neues Wunder Gottes, wenn Kirche wird, Kirche geschieht. „Nimm Deinen Heiligen Geist nicht von uns!”

Evangelische Jahresbriefe 1942, S. 50-55

Siehe auch: Gerhard Steege - Von der Wiederentdeckung der Kraft im Gottesbild der Bibel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-14
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