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2. Die drei ersten Bitten von Wilhelm Stählin |
1. Die Anrede 3. Die vierte Bitte 4. Die drei letzten Bitten 5. Der Beschluß Das Gebet des Herrn beginnt mit einem dreifachen „Dein”: „Dein Name”, „Dein Reich”, „Dein Wille”, und es nötigt also den Menschen, der sich dieses Gebet zu eigen machen will, zunächst dazu, gänzlich von sich selber abzusehen und sich mit allen Gedanken seines Herzens dem Vater in den Himmeln zuzuwenden. Wir alle wissen und brauchen kaum daran erinnert zu werden, wie sehr sich das Vaterunser gerade dadurch unterscheidet von der uns so sehr eingefleischten Gewohnheit, auch beim Gebet bei uns selber zu verharren und wortreich um unsere eigenen Empfindungen und Bedürfnisse zu kreisen. So scheinen diese drei ersten Bitten zunächst einfach das Gebet des Klaus von der Flüe zu entfalten: „Herr, nimm mich mir und gib mich Dir!” Doch ist damit keineswegs alles gesagt, was zur Sinndeutung dieser ersten drei Bitten gesagt werden muß, und es ist nicht einmal die Rolle richtig beschrieben, die darin - wenn auch unausgesprochen - dem Menschen, dem betenden Menschen, zugewiesen ist. Denn schon damit, daß wir um die Heiligung des göttlichen Namens, um das Kommen Seines Reiches und die Verwirklichung Seines Willens b e t e n , treten wir aus der Haltung des unbeteiligten Zuschauers heraus, der zwar Wünsche oder Hoffnungen äußern, aber nichts zu ihrer Erfüllung beitragen kann. Indem wir unser Herz hingeben an jene großen Gebetsanliegen, daß der Name Gottes geheiligt werde, daß Sein Reich komme, Sein Wille geschehe, sind wir zugleich eingetreten in eben dieses Geschehen, auf das sich diese Bitten richten, und nehmen m i t - v o l l z i e h e n d daran teil. Sowohl der Sinn des Gebetes wie die Lage und Bestimmung des betenden Menschen würden mißverstanden und verfehlt, wenn dieses übersehen würde, daß das Gebet immer zugleich schon ein Handeln, ein vollziehendes Reden ist. Aber indem wir das, was auch ohne uns, ja gegen uns geschieht, als eine Bitte, ja genau genommen als einen Befehl - es ist eine Imperativform! - aussprechen, können und wollen wir selber uns diesem Dienst der Huldigung nicht entziehen. Damit aber treten wir an den Ort, der allein uns zukommt, zu den Füßen des Thrones, wo alle angemaßten Kronen in den Staub sinken, wo jeder geborgte Glanz verblaßt, wo der Mensch gegenüber dem pater omnipotens, der in den Himmeln ist, nur entweder ein Rebell werden oder einstimmen kann in den großen Lobgesang und teilnehmen an der Huldigung. An diesem Ort, in diesem Augenblick, wo ihm der Name Gottes, das ist Gott selber begegnet, entscheidet es sich, ob der Mensch seine Geschöpflichkeit erkennt und anerkennt, oder ob er sein will wie Gott und damit sich selber als Mensch verleugnet und zerstört. Denn dieses ist die unausweichliche Lage des Menschen, daß er Gott gegenüber nicht als neutraler, „religiös interessierter” Zuschauer verharren, sondern nur entweder unter Gott oder wider Gott stehen, entweder Gott loben oder Gott fluchen kann; und indem wir diese Bitte auf die Lippen nehmen, diese Bitte vor allen anderen, daß Sein Name „geheiligt” werde, haben wir uns entschieden und sind eingereiht in die Schar der Huldigenden. Das steht allen eigenen Wünschen voran; voran allen, ach so unwichtigen Wichtigkeiten unserer Tage, und es ist unabhängig von dem Maß dessen, was wir von Gott erkannt und erfahren haben; zuerst beuge deine Knie und „bete mit mir an den großen Namen ...” „Gott loben, das ist unser Amt.” Das Bild des Menschen ist noch nicht verloren, solange die erste Bitte gebetet, die große Huldigung des heiligen Namens anbetend vollzogen wird. Noch ausdrücklicher als in der ersten Bitte stellt hier der Zusatz „wie im Himmel” das himmlische Urbild dieses gehorsamen Vollzuges vor unsere Augen; denn auch im Himmel „geschieht” der Wille Gottes nicht einfach als ein gesetzmäßiger Ablauf, sondern er wird erfüllt durch die Engel, Gottes Boten und Diener, die Seinen willen „tun” und Seine Befehle „ausrichten”. Das Lied nennt die Engel „die schönste Kreatur”; aus dem Bild ihrer Schönheit aber ist ihr Gehorsam nicht hinwegzudenken, und der Gedanke an Luzifer als den gefallenen Engel erinnert uns daran, daß der Gehorsam und Dienst der Engel nicht in dem Zwang gesetzmäßiger Notwendigkeit, sondern mit freiem Willen geleistet wird. Der Himmel, in dem der Vater wohnt, ist ein gegliedertes Gefüge dienstbarer Geister, die bereitstehen „Seines Winks gewärtig” und Seinen Willen vollbringen, ehe er zum Gebot und Auftrag geworden ist. Wir beten in diesem Gebet, daß dieser Gehorsam auch hier bei uns und unter uns seine Stätte habe, „wie im Himmel, also auch auf Erden”. Kein Geschöpf außer dem Menschen kann das Abbild dieses Gehorsams auf Erden aufrichten. Wenn Kirkegaard in einer Beichtrede über Matth. 6, 28 es als die Schönheit der Blume rühmt, daß sie nie aus dem Gesetz herausfallen und sich entfernen kann, das ihr „eingepflanzt” ist, so geschieht damit, in aller physikalischen, biologischen, chemischen Gesetzmäßigkeit, der Wille Gottes eben nicht so, wie er im Himmel geschieht; er herrscht, aber er regiert nicht; er geschieht, aber er wird nicht vollzogen und vollbracht. Der Mensch aber umgekehrt wird in seinem eigenen Wesen nicht erfüllt, wenn er sich selbst als Naturwesen versteht, das unter dem Zwang naturgesetzlicher Abhängigkeiten so reagiert, wie es reagieren muß, oder wenn er in luziferischem Eigenwillen sich selbst zum Maß aller Dinge und damit auch seiner selbst macht. Auch die Bereitschaft, sich menschlicher Autorität gehorsam unterzuordnen, gleicht noch nicht dem Gehorsam der Engel. Denn der Mensch ist auf die Erde gestellt, um hellsichtig zu werden für das, was Gott will, und um ein frei-williges Werkzeug der göttlichen Gedanken und Pläne zu werden. Es geht also um die Freiheit des Menschen und ihren rechten Gebrauch, wenn wir beten „Dein Wille geschehe (werde vollbracht) wie im Himmel, also auch auf Erden”. Wir beten um die wahre Lebendigkeit des Gewissens, das des göttlichen Willens einsichtig wird, und um die Kraft der Hingabe, die immer der Sieg des göttlichen Willens über allen Eigensinn, über alle eitle Selbstverwirklichung, allen Trotz des selbstherrlichen Menschen ist. Es geht um die Menschwerdung des Menschen, der ja nur dadurch in vollem Sinne ein Mensch wird, daß er von sich selber loskommt und sich Gott als Werkzeug Seines Willens zur Verfügung stellt. 3. Zwischen den beiden Bitten um die Heiligung des göttlichen Namens und um den Vollzug des göttlichen Willens steht das Gebet um das Kommen des göttlichen „Reiches”: „Dein Reich komme!” Dabei läßt unser Wort „Reich” wahrscheinlich mehr, als es dem Sinn des griechischen und des ihm zugrunde liegenden hebräischen Wortes entspricht, an einen geschlossenen Herrschaftsbereich, zu wenig an das Königtum, die Herrscherstellung, die Machtübung denken. Das Königtum Gottes, die Königsherrschaft Christi aber ist das Ziel des ganzen göttlichen Planes, die Erfüllung aller seiner Verheißungen und aller dadurch erweckten menschlichen Hoffnungen schlechthin. Indem wir beten, daß dieses Königtum Christi „komme”, bekennen wir zugleich, daß wir auf keine Weise dieses Reich der Vollendung herbeiführen können, daß es nicht als das Endstadium aller unserer (kulturellen oder religiösen) Bemühungen in die Erscheinung tritt, sondern daß es von Gott her „kommt”, in souveräner Unabhängigkeit von unserem Rennen und laufen, bauen und Planen, von unseren Fähigkeiten und unserer Kirchenpolitik. Aber auf der anderen Seite hat Gott uns nicht als Marionetten geschaffen, die an unsichtbaren Fäden hängend eine Rolle spielen, von der sie selber nichts ahnen; sondern Er stellt jeweils Menschen in Seinen Dienst, und dieser ihr Dienst hat Anteil an dem Kommen Seines Reiches. Die Weltgeschichte ist gerade darum, weil G o t t ihr Herr ist, nicht ein Uhrwerk, das nach einem unabänderlichen Gesetz anläuft, sondern sie ist ein lebendiges Geschehen, an dem jeweils lebende Menschen handelnd beteiligt sind. Das Kommen des Reiches wird durch Menschen aufgehalten, durch Menschen beschleunigt. Nur so kann der eschatologische Charakter des christlichen Glaubens recht verstanden werden; er wartet nicht passiv darauf, daß irgendwann das eintreten wird, was uns verheißen ist; sondern in dem er „wartend und eilend” (2. Petr. 3, 13) sich dem Kommenden entgegenstreckt, ruft er den herbei, um dessen Kommen er fleht: Maranatha! Wir haben viel zu mechanisch göttliches und menschliches Handeln, göttliche und menschliche Aktivität auseinandergerissen und wagen nicht recht, zu glauben, daß unser Verhalten, unsere Hingabe, unsere Hoffnung, oder auch unsere Trägheit und Lauheit, unsere Feigheit und Gleichgültigkeit positiv oder negativ wirken auf das, was „im Gange ist”. Aber wenn es wahr ist, daß der Christ durch sein Beten Anteil nimmt an der Weltregierung Gottes, wie sollte dann nicht das Gebet um das Kommen des Reiches selber ein wirksamer Faktor in der Geschichte des Reiches Gottes sein? Wissen wir, was in der Tiefe geschieht oder nicht geschieht, und was Gott um des gläubigen Gebetes Seiner Kinder willen tut, und ob nicht das einmütige Flehen der Kirche „Ja komm, Herr Jesu” wirklich das herbeiruft, was im Gange ist? Die Verantwortung des Menschen für den Ablauf der Geschichte drückt sich in dieser Bitte aus; man darf sie nicht fatalistisch deuten, so als ob der Mensch eben leider „nur” um das Reich Gottes beten könnte, weil er handelnd nichts dazu beitragen kann; sondern man muß das Bild eines geschichtlich verantwortungsvollen Menschentums in den Herzen aufrichten, damit sie nicht in einer scheinfrommen Feigheit das Kommen des göttlichen Reiches hindern und aufhalten. „Dein Reich komme!” Welche Verantwortung wächst dem Menschen zu, wenn er diese Bitte mit gläubiger Inbrunst vor Gott bringt! Kein Mensch, der noch in einem rationalistischen oder materialistischen Denken befangen ist, kann diese Bitte beten; denn obschon sie scheinbar, ebenso wie scheinbar die erste und die dritte Bitte, alles nur von dem göttlichen Handeln erwartet und jede menschliche Wirken ausschließt, redet sie in der Tat von der höchsten Verantwortung des Menschen für das, was kommt. Der Mensch, der das Vaterunser betet, bekennt sich damit als das Kind, von dem der Vater Ehrfurcht, Gehorsam und Dienst erwartet; er hat abgesagt jeder Überheblichkeit, die Menschen zum souveränen Herren macht, aber ebenso jeder Entwürdigung, die den Menschen nur als willenlosen Gegenstand eines unabänderlichen Schicksals verstehen will; er hat - obschon mit tiefem Erschrecken und in großer Demut - die Betstimmung ergriffen, zu der er sich von Gott geschaffen weiß, auf Erden und in Freiheit teilzuhaben an dem Dienst der Engel, die Gott loben und Seinen Willen vollziehen. Er will nicht mehr von Gott erbitten, was er selber verweigert, sondern er gibt sich selber ganz an Gott hin, damit durch ihn Sein Name geheiligt Sein Wille erfüllt werde und Sein Reich komme. Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 41-45 |
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