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Die Sprache von Neu-Kanaan
von Ilse Schönhoff-Riem

LeerDie „Sprache von Kanaan” - jeder, der sich häufiger mit kirchlichen Reden oder kirchlichem Schrifttum beschäftigt, weiß, was unter diesem Begriff zu verstehen ist.

LeerAber - ist sie eigentlich überwunden, diese „Sprache Kanaans”? Kehrt sie nicht in neuer, verwandelter Form, aber hartnäckig wie ehedem, in das Leben der Kirche zurück? Vor unseren Augen und Ohren, in geschriebener und gesprochener Form entsteht eine - sozusagen - neue Sprache von Kanaan, eine Sprache, die in erschreckendem Maße zur Modesprache unserer Pfarrer und unserer kleineren und größeren Kirchenführer wird, und nicht nur derer, die in Amt und Würden in der Kirche selbst stehen, nein, leider auch der Laien, die sich mit kirchlichen Dingen beschäftigen.

LeerWie eine Seuche greift diese Sprache „Neu-Kanaans” um sich, und wer da meinte, er sei davon verschont, der achte nur einmal bewußt auf das, was er sagt und was er schreibt. Gerade auch auf das, was er schreibt. Wie leicht fließt die Tinte aus der Feder, wie rasch füllen sich die Zeilen auf dem Schreibmaschinenbogen, wenn man all die vielen so schön fertigen, so schön griffbereiten und so herrlich bequemen Ausdrücke und Redewendungen gebraucht, die „weithin” und von jedermann benutzt werden. Wie sehr aber gilt es, die Ausdrücke zu wägen und immer wieder zu sichten, wenn man sich müht, all diese fertigen Begriffe nicht zu verwenden, sondern eigene Gedanken auch mit eigenen Worten auszudrücken.

LeerGanz gewiß, all diese Worte, diese Ausdrücke und Redewendungen der Sprache Neu-Kanaans haben ihren Sinn. Und all die, die sie als erste geprägt haben, denen ihre Bildkraft plötzlich „deutlich wurde”, die sie in einer glücklichen Stunde formulierten, sie alle hatten tatsächlich etwas Neues, etwas, das die Sprache bereicherte, gefunden.

LeerAber was ist daraus geworden?

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LeerDie Worte, überall und bei jeder Gelegenheit gebraucht, haben ihre Leuchtkraft verloren; die Bilder sind abgenutzt, durch allzu häufige Verwendung farblos geworden, sie wirken nicht mehr. Die Sprache wird gleichsam eingeebnet, denn Worte, die in ihrer ursprünglichen Verwendung etwas besonderes ausdrückten, die ein Hinweis, vielleicht sogar ein Fanal sein sollten, werden flach und nichtssagend, wenn sie allzu häufig gebraucht werden. -

Leer„Im Raum der Kirche”, ist es nicht ein großartiges Bild, wenn wir uns einmal in diese Wendung vertiefen, wenn wir sie uns plastisch vorstellen, gleichsam als eine ins Gewaltige überhöhte und erweiterte gotische oder romanische Kathedrale? Aber wer hat noch ein Gefühl für den Inhalt dieses Wortes, das immerzu und von fast jedermann gebraucht wird, auch dann, wenn nur Dinge gesagt werden, die die Spannweite dieses Bildes nur zu einem kleinen Teil ausfüllen.

LeerZwei besonders mißhandelte Worte wurden schon erwähnt: „weithin” und „deutlich machen”. Es gibt kaum eine Predigt, kaum einen Vortrag, kaum eine Abhandlung in einer kirchlichen Zeitschrift, in der diese Worte nicht vorkommen. Wer hat denn noch bei dem Worte „weit-hin” den Begriff unübersehbarer Weite, wer empfindet noch die Eindringlichkeit des Begriffs „deutlich machen” oder „deutlich werden”?

LeerWer, wenn er in einer Rede oder einem Aufsatz behauptet, „vor etwas gestellt zu sein”, fühlt noch das Unerwartete, das Plötzliche, das in dieser Redewendung mitschwingt, ebenso wie im „gefordert”, „gerufen”, „gefragt”, „aufgerufen” oder gar „geworfen sein”!

LeerWas wird „im kirchlichen Raum” nicht alles „erarbeitet”! Vor allem natürlich „ein Wort zu -” oder „ein Wort an -”. Und was ist nicht alles ein „Wort”! Jede etwas größere Verlautbarung wird als ein „Wort” bezeichnet, das nun mit dieser Bezeichnung größte Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nimmt. Aber bekommt es die eigentlich immer? Wäre es nicht richtiger, den Begriff des „Wortes”, der ja in der Kirche Christi ohnehin eine ganz besondere und schwerwiegende Bedeutung hat, nur für wirklich wichtige und entscheidende Mitteilungen zu verwenden, die dann auch tatsächlich bei den Menschen „ankommen”, um gleich noch ein weiteres Wort aus der Sprache Neu-Kanaans zu verwenden?

LeerEine Besonderheit dieser Sprache ist es auch, Dinge, die man ganz einfach und schlicht sagen kann, merkwürdig kompliziert auszudrücken. Wir glauben dem andern nicht, was er sagt, sondern wir „nehmen es ihm ab”. Wir erzählen nicht, daß von dieser oder jener Sache gesprochen wurde, sondern wir stellen fest, „daß von etwas gehandelt” wurde. Wir freuen uns nicht, daß wir einander brüderlich begegnet sind, sondern wir behaupten: „so geschieht Bruderschaft”. Wir werden nicht schuldig, sondern „wir kommen in Schuld”. Wir .sagen nicht, daß uns dies oder jenes besonders aufgefallen sei, sondern wir behaupten: „Insonderheit” fiel mir auf... Jeder wird diese Reihe merkwürdiger Ausdrücke, die man zuweilen für Außenstehende regelrecht übersetzen muß, fortsetzen können.

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LeerAber nicht nur sonderbare Ausdrücke und Redewendungen charakterisieren die Sprache Neu-Kanaans, sondern - was vielleicht noch schlimmer ist - der gar zu häufige Gebrauch von verstärkten Worten und Wendungen. Wird nicht so viel „mit brennender Sorge” betrachtet, daß man diese „brennende Sorge” einfach nicht mehr glaubt? Können wir nicht einem andern Menschen ganz einfach gern etwas helfen, anstatt ihm „mit Freudigkeit” „einen Dienst zu tun”? Ernsthaft über etwas zu sprechen genügt nicht, es muß „in großem Ernst” ein „echtes Gespräch” geführt werden. Daß einer in Not ist, ist auch nicht genug, es muß die „so große Not” sein. Wir sprechen nicht miteinander, sondern wir „kommen ins Gespräch”; wir haben nicht einen Wunsch wegen irgend einer Sache, es muß ein „Anliegen” sein.

LeerAber die Sprache Neu-Kanaans besteht nicht nur aus merkwürdigen Redewendungen und oft allzu großen Worten. Sie hat auch eine Fülle von klaren, schlichten, bildhaft guten Ausdrücken. Nur - diese Ausdrücke werden so häufig, so andauernd von jedem bei jeder Gelegenheit angewandt, daß man sie eigentlich für ein paar Jahre verbieten sollte. Werden wir nicht andauernd ermahnt, „nüchtern zu sein”? Lassen wir uns nicht für alles und jedes „zurüsten”? „Bezeugen” wir nicht alles mögliche bei allen möglichen Gelegenheiten? „Überfordern” wir nicht den andern und wehren uns dagegen, daß er uns zu viel „abfordert”? Wie vieles soll uns „wichtig werden”, was wir einem andern „abspüren”? Und müssen wir uns nicht dauernd etwas „fragen lassen”, etwas „sagen” oder „schenken lassen”? Sind wir wirklich „je und dann” „aneinander gewiesen” und können wir wirklich „in Verantwortung” einander „brüderlich zuhören”? Und müssen wir nicht gar zu oft „freudig sein”, weil wir - o geliebtestes Wort - etwas „dürfen”?

LeerWenn wir dann noch an Redewendungen wie „in aller Kümmerlichkeit, aber nicht ohne Verheißung”, „in eine Gemeinschaft hineinnehmen”, „sich eine Not groß werden lassen” und all die vielen ändern solchen seltsamen Wendungen denken, wundern wir uns dann wirklich noch, wenn die Menschen draußen vor der Tür der engeren Gemeinde die Köpfe über uns schütteln und das, was die Kirche ihnen sagt und sagen will. einfach nicht verstehen?

LeerWarum spricht die Kirche eine solche Sprache? Warum erstarrt sie in Formeln und Redewendungen, die die Begriffe, um die es geht, nicht aufhellen, sondern eher verdunkeln, sie für das schlichte Gemeindeglied kaum verständlich, völlig unverständlich aber für den „Randsiedler” und den ganz Außenstehenden machen?

LeerJa, man könnte fast fragen, ob die Kirche überhaupt ein Recht hat, durch den Zaun einer so merkwürdigen Sprache sich und ihre Botschaft von der Welt draußen abzugrenzen. Warum spricht sie nicht so, daß jeder sie versteht, wie es ihr Herr und Meister getan hat, zu dem „das Volk drang, zu hören das Wort Gottes”.

[Vgl. dazu Wilhelm Stählin - Die Sprache von Neu-Babylon]

Quatember 1953, S. 95-96

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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