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Die quatuor tempora des Kirchenjahres
von Friedrich Strauß

LeerAls das erste Quatemberheft erschienen war, wurde uns von befreundeter Seite nahegelegt, jedem Heft eine kurze Begründung des merkwürdigen Titels beizugeben, damit dieser nicht unnötiges Befremden oder gar Anstoß errege.

LeerWir haben bisher keine derartigen Erfahrungen gemacht, sondern im Gegenteil immer wieder feststellen können, daß der seltsame Name eher einen Anreiz als ein Hindernis zum Kennenlernen unserer Zeitschrift darstellt.

LeerGleichwohl möchten wir jenen wohlgemeinten Vorschlag nicht unbeachtet lassen. Wir haben im vorigen Heft die Meditationen über Trinitas und Quatember von Professor Rosenstock-Huessy gebracht, deren Gedankenfülle fast den Rahmen dieses Themas sprengte. Wer es noch nicht gewußt hat, wird es aus diesen Reflexionen gelernt haben, daß es sich verlohnt, über Quatember und die quatuor tempora nachzudenken.

LeerDaher soll auch das Johannisheft einen Beitrag dieser Art enthalten. Wir entnehmen ihn einem vor ziemlich genau hundert Jahren erschienenen Buche über
„Das evangelische Kirchenjahr in seinem Zusammenhange” von Friedrich Strauß (Berlin, Jenas Verlagsbuchhandlung 1850). Fast noch interessanter als der Verfasser, der einer nicht unbekannten Berliner Theologenfamilie angehört, ist der ehemalige Eigentümer des uns vorliegenden Exemplars: es ist der preußische General Leopold von Gerlach, der seinen Namen mit dem Zusatz „Geschenk des Verfassers, Sanssouci, den 30ten Julius 1850” darin eintrug.

LeerStraußens Ausführungen sind für uns auch über das hinaus interessant, was er speziell über die quatuor tempora und ihre Vorgeschichte sagt. Er sei daher ausführlich zitiert.


LeerDas Kirchenjahr kündigt sich als die Verbindung von Kirche und Jahr an. Eine Verbindung, die zu näherer Betrachtung auffordert.

LeerWas ist die Kirche? Wenn wir sie in dem Gegensatz zu dem Jahr auffassen, so kann es hinreichen, sie als die Gemeinschaft unter den Menschen durch die göttlichen Dinge zu bezeichnen. Es handelt sich bei ihr um das, was man Gnade nennt, und das Leben in ihr ist das höchste menschliche Leben.

LeerWas ist das Jahr? Bei ihm handelt es sich zunächst um die Natur, die das gerade Gegenteil der Gnade ist, und in der wir das niedrigste Gebiet des Lebens finden. Aber das Jahr ist das vollkommenste Maß der Zeit auf der Erde.

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LeerDas Kirchenjahr entsteht demnach, indem das kirchliche Leben mit dem Maße des natürlichen Lebens gemessen wird. Es stellt sich in ihm eine Vereinigung, man könnte sagen eine Verschlingung und Durchdringung von Gnade und Natur, von dem höchsten und dem niedrigsten Leben dar. Eine ähnliche Zusammenfassung kommt sonst in menschlichen Einrichtungen nicht wieder vor. Die Gnade läßt sich gleichsam herab zu den sinnlichen Menschen und die Natur erscheint in einer verklärenden Erhebung. Beides wird in einem Worte durch Heiligung ausgedrückt. Indem das kirchliche Leben nach dem Zeitraum des Jahres gemessen wird, entstehen heilige Zeiten. Wie der Raum im den heiligen Orten, so wird die Zeit in den heiligen Zeiten dem Heiligen dienstbar. Das Kirchenjahr ist das Ganze, der Kreis heiliger Zeiten.

Das heidnische Jahr

LeerDas Kirchenjahr hat eine Geschichte. Es ist nach und nach entstanden, und seine gegenwärtige Gestalt ist so wenig eine fertige und vollendete, daß man fernerer Ausbildung entgegensehen muß. Das christliche Kirchenjahr beruht auf den heiligen Jahren der früheren Zeitalter. Unter denselben finden wir den ersten historisch nachzuweisenden Anfang in dem heiligen Jahre der Heiden.

LeerDer Kreislauf des Jahres, in seiner symbolischen Bedeutung aufgefaßt, beginnt mit der Zeit, in der die Naturkraft als Licht aus ihrer Verborgenheit hervortritt, wie von der Mitte des Winters an geschieht. Im Frühling erschließt sie als Luft die Tiefe. Im Sommer siegt sie, indem sie alles Organische, selbst das Wasser, belebt, begeistert und beherrscht. Wenn der Herbst erscheint und sie das festeste Element, die Erde selbst durchdringt, ist sie die vollendende Kraft.

LeerEs sind die vier Jahreszeiten, die nach römischer Rechnung acht Jahrespunkte bilden, mit dem 11. November, 7. Februar, 9. Mai und 11. August beginnen und in den Sonnenwenden und Aequinoctien jedes Mal ihren Mittelpunkt haben. Vier große, jährlich nur einmal erscheinende Festzeiten, in deren jeder die Monate nur die einzelnen Phasen desselben allgemeinen Natursymbols bilden.

LeerAls eine besondere Eigentümlichkeit dieser heidnischen Naturjahre haben wir noch anzuführen, daß die ältesten unter ihnen ihren Anfang im Herbste nahmen. So beginnt das antiochenische Jahr am 1. September, das ägyptische am 29. August, das seleukidische am 1. Oktober. Das ursprüngliche Naturjahr war ein Aequinoctialjahr, das im Herbste anfing, sowie gleichfalls das historische Jahr als solches, das aber im Frühlinge begann, das spätere römische dagegen ein Solstitialjahr.

Das heilige Jahr der Juden

LeerDie zweite Vorstufe für das Kirchenjahr ist das heilige Jahr Israels, das historische. Jahr. In den drei hohen Jahresfesten tritt unverkennbar eine Beziehung auf die Jahreszeiten hervor. Das Osterfest war das Fest des Frühlings, das Pfingstfest war ein Sommerfest und das Laubhüttenfest ein Herbstfest. Die eigentliche und hervortretende Bedeutung der hohen Feste und des ganzen israelitischen Jahres ist aber eine geschichtliche.

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LeerDas Osterfest war ein Fest der wunderbaren Errettung Israels, durch die es „heutigen Tages ein Volk des Herrn geworden”. In ähnlicher Weise war das Pfingstfest als das Fest der Wochen dem Gesetz gewidmet. Dieses heilige Jahr der Juden war ein wesentlich neues, ein historisches Jahr. Demgemäß nahm es seinen Anfang im Frühling, mit dem Neumond vor der ersten Tag-und Nachtgleiche. Das heilige Jahr der Juden ist also wie das der Heiden ein Aequinoctialjahr, aber auf dieser gemeinsamen Basis diesem so entgegengesetzt wie Frühling und Herbst, wie Geschichte und Natur.

Das heilige Jahr der Christen

LeerVollendung ist der Charakter des Christentums im Vergleich mit dem Heidentum und dem Judentum, und diese Vollendung erstreckt sich bis auf das Tiefste und Entfernteste, bis auf die Heiligung der Zeit.

LeerDie christliche Vollendung zeigt sich darin, daß das heilige Jahr nicht bloß das Leben in einer Familie oder in einem Volke umfaßte, sondern das der ganzen Menschheit. Die Kirche ist die Menschheit, sofern sie geheiligt ist. Das heilige Jahr der Christen wurde das Kirchenjahr. Wie das heilige Jahr der Heiden wesentlich nur ein häusliches war, gebunden an eine Familie, und wie das heilige Jahr der Juden wesentlich nur ein nationales war, gebunden an ein Volk, so mußte das heilige Jahr der Christen ein allgemeines, alle Familien und Nationen umfassendes, ein kirchliches Jahr werden.

LeerDie jährlichen heiligen Tage wunden Festtage. Die Beziehung auf die Jahreszeiten kann nicht verkannt werden. Doch trat die Herbstzeit zurück, vielleicht weil das Ende der Geschichte noch nicht eingetreten ist. Aber der Anlauf zu einem vierten hohen Feste ist überall zu gewahren. Ostern und Pfingsten sind christianisierte, wiedergeborene Feste des Judentums. Dagegen ist es beim ersten Blick in die Entstehung des Weihnachts- und des damit zusammenhängenden Epiphanienfestes unzweifelhaft, daß es ein christianisiertes heidnisches Fest ist.

LeerAußerdem ist es auch zuletzt noch zu einem Anfang des Kirchenjahrs gekommen, der nicht weniger auf die Vollendung des heiligen Jahres hinweist. Das heilige Jahr der Heiden und Juden waren Aequinoctialjahre. Anfänglich oscillierte das Kirchenjahr zwischen beiden, wie denn das griechische noch jetzt im September das Neujahr hat und das lateinische Mittelalter hier und da es mit Ostern anfing. Indes wurde nach und nach, zum Teil durch die Feier des Weihnachtsfestes als des Neujahrs das Kirchenjahr mit dem Advent begonnen. Dadurch wurde es zugleich mit dem bürgerlichen Jahr ein Solstitialjahr.

Das orientalische Kirchenjahr

Leerist im Unterschied von dem occidentalischen dasselbe in verschiedenen Kirchen des Morgenlandes. Das Eigentümliche des morgenländischen Kirchenjahres besteht darin, daß es sich näher an das heilige Jahr der Juden anschloß. So waren Mittwoch und Freitag die dies stationies, wie in Israel der zweite und vierte Wochentag.

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LeerNoch wichtiger ist die ganze Konstruktion des Jahres. Es wird nämlich das ganze Kirchenjahr in vier Teile geteilt. Unmittelbar nach Pfingsten beginnen die Sonntage des heiligen Matthäus, nach dem Fest der Kreuzerhöhung am 15. September die des heiligen Lukas, mit den großen Fasten vor Ostern die des heiligen Marcus, und mit dem ersten Sonntag nach Ostern die des heiligen Johannes. Es zeigt sich eine Tetrachotomie, in welcher die vier Evangelien an die Stelle der vier Jahreszeiten treten, so daß in einem Jahr viermal dasselbe Ganze seinen geschichtlichen Lauf vollendet.

Das occidentalische Kirchenjahr

LeerIm Abendland trat die Entwicklung des Kirchenjahres in ein folgendes Stadium. Es schloß sich näher dem heiligen Jahre der Heiden an und kehrte damit zu der Basis des Naturelements zurück.

LeerDer welthistorische Charakter des römischen Heidentums besteht in seinem complexiven Charakter, vermöge dessen es alle Heiligtümer des damaligen orbis terrarum in sich vereinigte. Dadurch ist es das Gesamtheidentum, und Rom hat in der alten Zeit eine solche universale Bedeutung, wie außer ihm, nur freilich in anderer Weise, nur Israel. Indem dieses, der einen Wahrheit treu, sein Gesetz in alle Völker der Welt trug, vereinigte Rom in seinem Naturjahr alle verschiedenen Naturjahre der Welt.

LeerDie acht Jahrespunkte der herrschenden julianischen Ära bildeten die Hauptfeste. Am 25. Dezember wurde Weihnacht, am 2. Februar Purificatio, am 25. März der Terminus immobilis der Ostern, die Radix temporis, am 11., 12. und 13. Mai der Sommeranfang in den drei gestrengen Herrn, am 24. Juni Johannes Baptista, am 10. August der Hauptmartyr Laurentius, am 29. September der Erzengel Michael und am 11. November der Hauptconfessor Martinus gefeiert. Alle acht Hauptfeste des occidentalischen Kirchenjahres entsprechen den acht Jahrespunkten und können nur aus ihnen erklärt werden.

So zahlreich und bemerkenswert diese Hinweise auf die quatuor tempora im Jahr der Kirche sind, so wird über die Quatembertage selber nur verhältnismäßig weniges gesagt, das im Kapitel über den Bußtag steht:

LeerVon ordentlichen und außerordentlichen Buß- und Bettagen ist in allen Zeiten der Kirche die Rede. Neben außerordentlichen Bußtagen kamen in Analogie der jüdischen Neumondsfeste monatliche auf, so wie man in derselben Analogie wöchentlich zwei Fasttage hatte, Mittwoch und Freitag, die dies stationis. Unter Gelasius wurden diese monatlichen Bußtage in vierteljährliche verwandelt, so daß jedes Mal drei aufeinander folgten. Das sind die quatuor tempora, die am Mittwoch nach Kreuzerhöhung (14. September), nach Lucia (13. Dezember), nach Aschermittwoch und nach Pfingsten einfallen, wie die alten Verse sagen: Post crux, post cineres, post Spiritus atque Luciae sit tibi in angaria quarta sequens feria.

Quatember 1953, S. 188-190

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-05
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