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Zur Frage der gottesdienstlichen Neuordnung
von Hans Dombois

LeerDer Landeskirchentag der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland hat sich auf seiner Tagung in Leer eingehend mit der Frage des evangelischen Gottesdienstes beschäftigt. In einer vom Evangelischen Pressedienst auszugsweise verbreiteten Verlautbarung heißt es:

Leer„Es stehen sich zwei Auffassungen gegenüber, die sich beide auf die Heilige Schrift berufen. Auf der einen Seite versteht man den Gottesdienst als eine heilige Feier, die zum Mittelpunkt das Sakrament hat; auf der anderen Seite stützt man sich ganz auf die lebendige Predigt des Evangeliums. Der Landeskirchentag hat sich in eingehender und gründlicher Arbeit, die nach dem Muster der Evangelischen Kirchentage auf einzelne Arbeitsgruppen verteilt war, für die zweite Auffassung ausgesprochen. Dabei geht es nicht um die Bestrebung, die Liturgie auszuweiten. Es geht vielmehr weiterhin um die Gestalt des Predigtgottesdienstes, vor allem um die Reformation der Predigt selber.

LeerIn diesem Predigtgottesdienst muß die Gemeinde stärker als bisher tätig werden. Es müßte nach und nach in den reformierten Gemeinden wieder eine Selbstverständlichkeit werden, daß die Diakone im Gottesdienst das Armenopfer sammeln, daß die Ältesten bei der Austeilung des Abendmahls Handreichungen tun, daß sie die Lesung der zehn Gebote und die Schriftlesung ganz oder teilweise übernehmen usw. Heutzutage hat man noch oft den Eindruck, daß die reformierte Kirche in ihrem Gottesdienst eine Pastorenkirche ist. Der Gottesdienst soll aber Sache der ganzen Gemeinde sein. Das Laienamt muß wieder stärker in Erscheinung treten. Gerade die reformierte Kirche will nicht die Kleriker hier und das stumme Kirchenvolk dort. Man darf aber dankbar feststellen, daß dem gleichen Ziele heute ein gesamtevangelisches Bestreben gilt.”

LeerDiese Entschließung muß verwundern. Im ganzen Bereich der vielfachen Bemühungen um die Neuordnung des evangelischen Gottesdienstes ist uns keine Stellungnahme bekannt, welche diese Gegenüberstellung rechtfertigen könnte. Sie trifft weder auf die jahrzehntelangen Bemühungen der Evangelischen Michaelsbruderschaft, noch auf die Arbeiten der Vereinigten Evangelischen Lutherischen Kirche Deutschlands noch der Evangelischen Kirche der Union (Brunner-Beckmann) zu. Im Gegenteil ist es hier wie auch in allen gleichlaufenden ökumenischen Bestrebungen immer um die rechte Zuordnung von Predigt und Sakrament gegangen. Wir haben in der Schrift „Credo Ecclesiam” Äußerungen von Karl Barth zitiert, in denen er mit großer Dringlichkeit es als „eine Entscheidungsfrage des heutigen Protestantismus bezeichnet, daß die unsinnige Trennung von Predigt und Sakrament aufgehoben und die von Luther und Calvin intendierte Ganzheit des Gottesdienstes wiederhergestellt werden”. In seiner Schrift „Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre” 20 Vorlesungen über das schottische Bekenntnis von 1560, Zürich 1938, S. 198 ff.) sagt Karl Barth weiter:

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Leer„Das, was wir heute im katholischen und im protestantischen Bereich als kirchlichen Gottesdienst kennen, ist ein Torso. Die katholische Kirche hat einen Sakramentsgottesdienst ohne Predigt. . . Wir haben einen Predigtgottesdienst ohne Sakrament. Es ist beides gleich unmöglich. Wir sahen, daß die Taufe und das Abendmahl sozusagen den natürlichen Raum des kirchlichen Gottesdienstes bilden. Dieser Raum ist aber in unserem protestantischen Gottesdienst in der Regel unsichtbar geworden. Wir wissen nicht einmal mehr, daß ein Gottesdienst ohne Sakrament ein äußerlich unvollständiger Gottesdienst ist. Wir feiern mit der größten Selbstverständlichkeit in der Regel solche äußerlich unvollständigen Gottesdienste. Mit welchem Recht tun wir das eigentlich? Ist die Gefahr nicht dringend, daß wir ohne jenen natürlichen Anfangs- und Endpunkt auch innerlich, auch sachlich unvollständige Gottesdienste feiern? Würde die Predigt nicht ganz anders gehalten und gehört und würde nicht auch ganz anders gedankt werden in unseren Gottesdiensten, wenn das alles auch äußerlich sichtbar von der Taufe herkäme und dem Abendmahl entgegenginge? Sind die zahlreichen Bewegungen und Versuche zur liturgischen Erneuerung der protestantischen Kirche nicht darum allesamt so unfruchtbar, weil sie diesen Grundschaden, die Unvollständigkeit, d. h. die Sakramentslosigkeit unseres gewöhnlichen Gottesdienstes nicht ins Auge fassen? Und welche Kraft wird unsere Kritik an der entgegengesetzten Unvollständigkeit des römischen Gottesdienstes unter diesen Umständen etwa haben können?”

LeerWir stimmen mit dem von Karl Barth gesteckten Ziel durchaus überein. Er verkennt freilich die Lage der liturgischen Bewegung, wenn er meint, daß sie etwas anderes angestrebt habe und anstreben konnte, als eben die Einheit von Predigt und Sakrament. Jenes Bild konnte nur dadurch entstehen, daß naturgemäß die Bemühungen vorzugsweise um das gingen, was fehlte, und nicht das, was in höherem Grade erhalten war. Wir würden uns nie für berechtigt halten, Predigt und Sakrament in einen Gegensatz zu stellen, oder das eine durch das andere verdrängen zu lassen. Beide sind nach dem guten Worte eines unserer Freunde miteinander verheiratet.

LeerAls eine Gemeinschaft, welche neben lutherischen und unierten auch eine namhafte Zahl von reformierten Gliedern unter sich hat, sind wir naturgemäß interessiert an der Stellung der reformierten Kirche zu diesen Fragen. Wir bedauern es, daß, wenn schon das Anliegen der liturgischen Bewegung, so doch die gewichtige Stimme des bedeutendsten theologischen Lehrers der reformierten Kirche in der Gegenwart in dieser Kirche überhört worden ist. Wir müssen leider verzeichnen, daß aus schwer erkennbaren Gründen die Aufgeschlossenheit für diese Fragen in den außerdeutschen reformierten Kirchen deutlich sehr viel größer ist als im Bereiche des deutschen Calvinismus.

LeerGerade die rechte Neuordnung des Gottesdienstes würde auch ein rechtes Gegenüber und Miteinander von Amt und Gemeinde herbeiführen, um welche es in dem Beschlusse geht und welche ebensosehr durch das priesterliche Alleinhandeln im Sinne der römischen Kirche wie durch einen einseitigen Predigtgottesdienst in Frage gestellt ist.

[Dazu die Ergänzung des Autors]

Quatember 1957, S. 30-31

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
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