Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1960
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Michael Archistrategos
von Hans Carl von Haebler

LeerErzengel Michael PaviaDas nebenstehende Bild krönt das Westportal der Kirche S. Michele zu Pavia. Die alte Hauptstadt der Lombardei gehört, ebenso wie das Heiligtum Sankt Michaels auf dem Monte Gargano, zu jenem Gebiet Italiens, das byzantinisches Exarchat war und in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts von den Langobarden überflutet wurde. Joseph Bernhart hat in dieser Zeitschrift (18. Jahrgang, S. 195) darauf hingewiesen, daß die Langobarden in dem Erzengel ihren alten Wotan wiederfanden. Das schließt nicht aus, sondern findet erst seine Erklärung darin, daß Sankt Michael in Byzanz als archistrategos (Erzmarschall, Oberbefehlshaber der himmlischen Heerscharen) verehrt wurde. Als archistrategos trat Michael bei den Langobarden an die Stelle des Schlachtenlenkers Wotan, und als archistrategos führte ihn Karl der Große in seiner Fahne, nachdem er das Erbe der Langobarden angetreten und sich die Eiserne Krone aufs Haupt gesetzt hatte. Aber Karl hat damit -auch zum Ausdruck gebracht, daß er den byzantinischen Herrschern die kaiserliche Würde streitig machte: Wo der Erzengel war, da war auch der Kaiser als sein irdisches Abbild und als Schirmherr der Kirche. Das west-östliche Schisma wird dadurch eingeleitet, daß der Okzident den Schutzengel, der für das ganze Gottesvolk bestellt ist, für sich in Anspruch nimmt.

LeerUnser Bild stammt aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, als Byzanz schon auf seine Ansprüche in Italien verzichtet hatte. Aber es vermittelt noch ganz die byzantinische Vorstellung vom archistrategos: Der Erzengel führt weder Lanze noch Schwert, er wird nicht handgemein, sondern beherrscht die Situation durch seine Erscheinung. In strenger Vorderansicht steht er vor der Kirche und deckt sie mit seinen mächtigen Schwingen. Zepter und Reichsapfel in seinen Händen weisen ihn als den Bevollmächtigten Gottes aus, und die weit geöffneten, das Feindgelände überblickenden und den Betrachter durchbohrenden Augen zwingen den Widerspenstigen zur Unterwerfung. Man spürt jenes tremendum (Schreckliche), das von der Nähe Gottes aus geht und hier durch kein „Fürchte dich nicht!” gemildert wird. Denn am Westwerk der Kirche wendet der Engel sich ja nicht an die feiernde Gemeinde, sondern schreckt - medusenartig - den Feind ab, der die Feier und den Frieden des Gottesvolkes stören will. In seiner Erscheinung spricht er seinen Namen aus: Wer ist wie Gott?, und schon an dieser Frage, die er verkörpert, zerbricht jeder Widerstand. Zwar bringt der Drache, der sich unter seinen Füßen windet, Bewegung in das Bild und sucht seine Struktur aufzulockern. Er bringt und hält die Weltgeschichte in Fluß:


Der alte Drach', der feiert nicht,
all' Augenblick' tracht' er und dicht',
wie er uns mög' obsiegen.

LeerAber es kann kein Zweifel bestehen, wer als Sieger aus diesem Kampf hervorgeht. Christus hat schon gesiegt, seine Kirche in der Welt aufgerichtet und den Erzengel bestellt, daß er als archistrategos der betenden Gemeinde den Rücken deckt.

Quatember 1960, S. 145

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
Haftungsausschluss
TOP