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Abschied von Kirchberg
von Oskar Planck

LeerDer Schriftleiter bittet mich, noch etwas über Kirchberg zu schreiben, ehe ich von hier wegziehe, um mit 77 Jahren in den endgültigen Ruhestand zu treten. - Was soll ich schreiben, nachdem ich in dieser Zeitschrift schon wiederholt über unser Kloster berichtet habe (Jahrgang 1959/60, S. 34 ff.; Jahrgang 1960/61, S. 76 ff.)? Ich mache mir die Möglichkeiten klar an zwei Erinnerungsstücken unseres Klosters, dem Schwesternbuch und dem Reliquiar. Ich könnte persönliche Erlebnisse aus der Anfangszeit erzählen, die ein anschauliches Bild davon ergäben, wie schwer und beglückend diese Pionierarbeit war, als wir paar Menschen aus einer verwahrlosten Halbruine ein wohnliches Gästeheim zu machen hatten. Es würde eine Chronik werden, die unseren Nachfolgern Mut machen könnte, wenn auch sie einmal schwere Zeiten zu bestehen haben sollten, die Opfer fordern. Wenn ich aber die Wahl habe, persönliche Erlebnisse oder sachliche Erkenntnisse zu hinterlassen, so scheinen mir letztere wertvoller zu sein. Wir haben einen hohen Kaufpreis für sie bezahlt, deshalb sollten sie nicht wieder verloren gehen.

LeerDrei Erfahrungssätze lege ich als meine Hinterlassenschaft in den Reliquienschrein. Der erste lautet:

Gestaltetes gestaltet.

LeerSieben Jahre lang hat der Württembergische Konvent der Michaelsbrüder sich nach einem Hause umgeschaut, das an die Stelle von Urspring oder Assenheim treten könnte. Mancherlei war uns angeboten worden: unbebautes Siedlungsgelände im Schwarzwald, auf der Alb, am Stadtrand von Stuttgart, ein freiwerdendes Landhaus, ein Erholungsheim, ein unausgenütztes Schoß, das Nebengebäude eines Klosters, eine unausgebaute Kaserne, der Rohbau einer Fabrik. Bei allem kam man früher oder später auf den toten Punkt. Als aber die Brüder Baier und Bock gleichzeitig auf Kloster Kirchberg aufmerksam machten, griffen wir zu. Dieses verwunschene Kloster, das seit seiner Aufhebung durch Napoleon 150 Jahre lang leer stand und der anliegenden Domäne als Rumpelkammer und Getreidespeicher dienen mußte, hat spürbar danach verlangt, aus seinem Dornröschenschlaf erlöst zu werden, und es hat uns sichtbar dafür gedankt, daß wir den Mut zu diesem Abenteuer aufbrachten.

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LeerWas uns Kirchberg geschenkt hat, ist eine durch seine Geschichte beseelte Klosterwohnung, eine jahrhundertelang durchbetete Klosterkirche, ein stiller, lauschiger Klostergarten; und das alles in einer schönen, heilsamen Landschaft, nicht weit von einem Eisenbahnknotenpunkt, und doch weit ab vom Lärm des Verkehrs. Damit ist uns etwas in den Schoß gefallen, was es in der heutigen Welt kaum noch irgendwo gibt und wonach sich doch in unserer Zeit so viele sehnen, nämlich ein Ort der Stille und des Gebets. Mit der Wahl dieses Klosters war bereits entschieden, was wir aus ihm machen konnten und mußten: ein Einkehrhaus. Das lag ganz und gar in der Richtung unserer eigenen Geschichte, die uns die Abhaltung geistlicher Wochen als besondere Aufgabe zugewiesen hat. Das Kloster hat sein Gepräge von einem kontemplativen Orden empfangen und prägt damit unsere eigene Arbeit. Wer ein Organ dafür hat, der spürt, was dem Charakter dieses Hauses entspricht und was nicht. Ein Kloster ist etwas anderes als ein moderner Wohnbau, etwas anderes als ein Hotel. Der Stil ist so geprägt, daß alles, was aus der heutigen Unruhe entspringt oder was an vorübergehenden Zeitgeschmack und übersteigerte Lebensansprüche Zugeständnisse macht, als fremdartig empfunden wird.

LeerMit dem zweiten Bauabschnitt haben wir den in sich geschlossenen Bezirk des claustrums verlassen und ein Gebäude des Gutshofs in Gebrauch genommen: die Klosterschenke. Wir wollten nicht, daß sie in fremde Hände käme. Die Schenke stellte uns vor eine Aufgabe, an die wir ursprünglich nicht gedacht hatten und der wir uns gern entzogen hätten. Einstmals waren Wallfahrer und Gottesdienstbesucher hierher gekommen, heute ist die Schenke ein Ziel für Ausflügler, die das Kloster nur noch als ein schönes Baudenkmal in einer schönen Landschaft aufsuchen. Aber sollte es nicht möglich sein, auch bei ihnen durch Führungen und Gottesdienste Verständnis für unser Haus und seine Arbeit zu wecken, wie dies zum Beispiel in Taizé vorbildlich geschieht? Und repräsentiert die Schenke nicht irgendwie die Welt in ihrem Gegenüber zur Kirche - die Welt, die nicht draußen bleiben, sondern in ein Verhältnis zur Kirche gebracht werden sollte?

LeerDie dritte Bauperiode steht bevor. Sobald die Wasserfrage gelöst ist, soll die Domäne aus dem Klosterkomplex herausgenommen und in zwei Aussiedlerhöfe aufgeteilt werden. Dann werden uns voraussichtlich alle Gebäude des Gutshofes angeboten werden: das stattliche Herrenhaus, die geräumige Ackerbauschule mit ihren zwei Lehrsälen, aber auch viele Stallgebäude. Für das einstige Kloster waren Landwirtschaft und Gewerbe lebensnotwendig, für uns wären sie eine Belastung, vor der alle Sachverständigen warnen. Aber diese Gebäude werden uns, wenn auch unter kostspieligen Umbauten, erlauben, die Arbeit auszuweiten, die wir in Kirchberg begonnen haben. Die Gäste, die das Kloster als ein geistliches Sanatorium aufsuchen, die kirchlichen Gruppen, die gern hier tagen, die Arbeitstagungen und ökumenischen Zusammenkünfte, die die Evangelische Michaelsbruderschaft veranstaltet, erfordern ja immer mehr Tagungs- und Wohnraum. Was wir wünschen, ist ein organisches Wachstum, das dem ganzen Anwesen zu einer einheitlichen Gestalt verhilft.

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LeerDer zweite Erfahrungssatz, den ich niederlege, lautet:

Die Hausgemeinde hat die Ordnung unseres Hauses vorzuleben.

LeerWas wir in unseren Schriften fordern, soll in unserem Haus leibhafte Gestalt bekommen. Wir sind beweglich genug, um uns nach dieser oder jener Seite hin zu entfalten, aber wir müssen unser Profil behalten. Das Berneuchener Haus ist etwas anderes als ein pietistisches Erholungsheim, eine evangelische Akademie oder eine Anstalt der Inneren Mission. Gerade darin besteht seine Existenzberechtigung. Deshalb legen wir Wert auf unsere Initiative und Unabhängigkeit und können nur die Unterstützung von Menschen annehmen, die unser Anliegen bejahen. Bruderschaft und Berneuchener Dienst stellen die äußeren und inneren Bedingungen für das Leben im Berneuchener Haus her, die Hausgemeinde stellt es dar. Die Gäste kommen und gehen, die Hausgemeinde bleibt. Wie sollen sich die Gäste in die Ordnung unseres Hauses einleben, wenn nicht eine Hausgemeinde da ist, die sie vorlebt? Wenn wir von „Hausgemeinde” reden, so bringen wir damit zum Ausdruck, daß es bei uns kein „Personal” gibt, sondern nur Mitarbeiter, die sich, jeder mit seiner ganzen Kraft und Liebe, für das Gelingen unseres Werkes einsetzen und in ihrer Gesamtheit den Geist des Hauses repräsentieren.

LeerAls „Gemeinde” verrichten sie nicht nur einen diakonischen Dienst im Hause, sondern auch einen liturgischen Dienst in der Kirche. Sie haben sich am Altar auf die Regel des Berneuchener Dienstes, bzw. der Michaelsbruderschaft verpflichtet und suchen ihren Nachwuchs in diesen beiden Kreisen. Die Haustöchter, die ihnen helfen und hier den Haushalt erlernen oder ihr Praktikum ableisten, müssen mindestens den Charakter unseres Hauses bejahen. Wir sind mit allen, die hier waren, in gegenseitiger Dankbarkeit verbunden. Was wir aber lernen mußten, war, daß eine Gemeinschaft, wie sie unser Haus erfordert, nicht schon mit dem Eintritt gegeben, sondern vielmehr erst aufgegeben ist. Die Leitung bedarf einer klaren Zuständigkeit, das Zusammenleben erfordert ein hohes Maß von Kontaktfähigkeit und Takt. Ich-Bezogenheit und Labilität aber gefährden die Lebensgemeinschaft. Für diese Erkenntnis haben wir manches Lehrgeld bezahlen müssen.

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LeerDer dritte Erfahrungssatz, den ich niederlege, lautet:

Die Freunde unseres Hauses müssen seinen Geist schützen, die Besucher sollten ihn wenigstens schätzen.

LeerIch habe als stellvertretender Hausvater in einem altrenommierten Erholungsheim einen Eindruck davon bekommen, wie anspruchsvoll auch christlich eingestellte Gäste sein können. Um so wohltuender empfand ich den Unterschied in Kirchberg. Wir kennen hier diesen Typus des Nutznießers kaum, wohl aber dürfen wir viele unserer Gäste als Freunde des Hauses ansprechen. In der ersten Zeit blieb in unserem Hause sehr viel zu wünschen übrig. Unsere Gäste haben sich nie darüber beklagt, sondern sind uns mit ihrem persönlichen Arbeitseinsatz und mit Stiftungen so hilfreich beigestanden, daß man eine Liebesgeschichte von Kirchberg schreiben könnte. Sie haben uns auch die Treue gehalten, wenn Baulärm und Baustaub, Wassermangel und kalte Kirche mit in Kauf genommen werden mußten. Sie haben uns, gleichsam als Türhüter, die Gäste zugeführt, die zu uns passen, und unser Haus vor dem Eindringen fremder Elemente geschützt.

LeerEine Schwierigkeit, die auftritt, seit wir die Zahl unserer Gästezimmer verdoppelt haben und dadurch mehrere Gruppen nebeneinander aufnehmen können, ist die häufige Mehrgleisigkeit. Für die einen ist unser Haus Freizeitheim, für die anderen Einkehrhaus, für die dritten Erholungsstätte. Das führt zu einer Überschneidung der Interessen. Durch Verstärkung unseres persönlichen Einsatzes und Vermehrung der Tagungsräume hoffen wir aber, diesen Mißstand abstellen zu können. Schwieriger ist es, wenn fremde Besucher unser Haus nur als Tagungsstätte benutzen. Es war uns zunächst eine große Freude, als Kreise, die uns lange Zeit fern gestanden waren - Gruppen aus der Pfarrerschaft, der kirchlichen Jugendarbeit u. ä. - den Weg zu uns fanden. Aber diese sind oftmals nicht auf Zurückgezogenheit aus, sondern auf Begegnung, nicht auf Stille, sondern auf Diskussion, nicht auf Selbstbesinnung, sondern auf Geselligkeit. Das ist an sich durchaus berechtigt, aber unseren anderen Gästen gegenüber nicht zu verantworten. Die Akademie Bad Boll verlegt immer wieder Tagungen seelsorgerlichen Charakters, für die sie in ihrem eigenen Betrieb nicht die nötige Sammlung und Stille aufbringt, nach Kirchberg. Müßten wir nicht umgekehrt Gruppen, die die Stille und Ordnung unseres Hauses beeinträchtigen könnten, die Bedingung stellen, daß sie sich nach unserem Lebensstil richten? Wer nach Taizé oder Darmstadt geht oder bei den Benediktinern in Niederaltaich „Kloster auf Zeit” mitmacht, will das Leben, wie es dort gelebt wird, ohne Abstrich kennen lernen und selber führen. So sollten auch wir unsere bewährte Ordnung nicht aus einem unangebrachten, dem Stil des Hauses abträglichen Entgegenkommen zur Diskussion stellen. Es könnte sonst leicht seine Anziehungskraft verlieren.

LeerDoch möchte ich lieber von Prägekraft statt von Anziehungskraft reden. Anziehungskraft kann mit einer vorübergehenden Sensation oder Mode zusammenhängen. Prägekraft bedeutet Tiefenwirkung und Dauer. Der Berneuchener Dienst darf ohne Übertreibung sagen, daß viele seiner Mitglieder durch die geistlichen Wochen in Kirchberg geprägt worden sind. Wir hoffen, daß die Arbeit der Michaelsbruderschaft, die jetzt hier begonnen hat, die gleiche Wirkung haben wird. Aber darüber hinaus sind wir ja unterschiedslos für alle da, und wir dürfen mit Dank feststellen, daß Gäste der verschiedensten Herkunft uns immer wieder schreiben, daß sie im Berneuchener Haus eine überzeugende Gestalt des Christentums kennen gelernt und in Kirchberg ihre geistliche Heimat gefunden haben. Wo dies geschieht, hat unser Haus seine Aufgabe erfüllt.

Quatember 1964, S. 170-172

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-07
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