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von Jürgen Boeckh |
In den gliedkirchlichen Synoden der Evangelischen Kirche in Deutschland und in anderen Gremien ist in den letzten beiden Jahrzehnten häufig über die Taufe diskutiert worden. Meist ging es dabei um die eine Frage: Kann in einer lutherischen, reformierten oder unierten „Landeskirche” der „Taufaufschub” toleriert werden? Die Fronten sind seit langem verhärtet. Während die einen die Kleinkindertaufe (manche sagen: „Säuglingsbesprengung”) ablehnen und gelegentlich sogar Pastoren ihre eigenen Kinder nicht taufen, berufen sich die anderen auf die Bekenntnisse der reformatorischen Väter. Beide Parteien behaupten in der Regel, die von ihnen für richtig gehaltene Praxis mit Hilfe des Neuen Testamentes „beweisen” zu können. Die Taufverweigerer in den „Landeskirchen” werden für gewöhnlich als Baptisten angesehen. Manchmal gibt man ihnen den Rat, doch zu einer freikirchlichen Gemeinde überzutreten. In den Synoden kommt es meist zu Kompromißlösungen, die mit dem Pluralismus in Theologie und Kirche gerechtfertigt werden. Um wenigstens in einem begrenzten Kreis einmal aus dieser Sackgasse herauszuführen, lud das Berneuchener Haus Kloster Kirchberg vom 22. bis 24. Juni zu einem theologisch-ökumenischen Gespräch über „Neue Aspekte in der Tauffrage” ein. Durch einen Beitrag aus der Tiefenpsychologie und durch Beteiligung von Vertretern anderer christlicher Kirchen und Gemeinschaften sollte versucht werden, über konfessionelle und zeitgebundene Argumentationen hinauszukommen. Der erste volle Tag diente dazu, den Tagungsteilnehmern Einblick in Taufpraxis und -problematik verschiedener kirchlicher Gemeinschaften zu geben. Es sprachen Professor Dr. Alois Stenzel SJ, Frankfurt a. M., für die römisch-katholische Kirche, Dr. Erwin Schühle, Stuttgart, für die Christengemeinschaft, Pastor Ferdinand Schalk, Köln, für die evangelisch-freikirchlichen Gemeinden und Pastor Paul Mustroph, Hamm i. W., für die evangelischen „Landeskirchen”. Bei der Vorbereitung der Tagung war es mir besonders wichtig, daß neben den Vertretern der Großkirchen auch ein Baptisten-Prediger und ein Priester der Christengemeinschaft unter uns waren. Die Baptisten gelten, wie Pastor Schalk sagte, als „schwarzes Schaf” in der Ökumene, und die Christengemeinschaft sieht man offiziell als Sekte an. Ihre Taufe wird im Bereich der EKD nicht anerkannt, obwohl Protestanten und Katholiken, die sich der Christengemeinschaft anschließen, dort nicht wiedergetauft werden. Für viele ist die Entscheidung für oder gegen die Kindertaufe gleichbedeutend mit einer Entscheidung für oder gegen die Volkskirche. Daß diese Gleichung nicht aufgeht, wird unter anderem dadurch deutlich, daß die evangelisch-freikirchlichen Gemeinden für die Gläubigentaufe, die Christengemeinschaft dagegen für die Kindertaufe eintritt. Mit Professor Stenzel SJ hatten wir einen profunden Kenner der Tauf-Geschichte und -Dogmatik unter uns. Zur Begründung der Kleinkindertaufe konnte er sich auf den evang. Dogmatiker Schlink berufen: „Der Glaube kommt immer hinterher.” Gegenüber der Kirche lutherischer Tradition, in der die Taufe „kopflastig” sei, könne man in der römisch-katholischen Kirche von einer „entlasteten Situation” sprechen, da dort das geistliche Leben in sieben Sakramenten zur Entfaltung kommt. Dafür leide die katholische Kirche im „theologischen Kopf” (nämlich der Taufe) an „Blutarmut”. Stenzel warnte davor, in der Ablehnung der Kindertaufe einem Trend nachzulaufen, ohne geistlich und theologisch zu argumentieren. Hinter der Abwertung der Volkskirche und damit der Kindertaufe stecke oft eine grundsätzliche, nicht theologisch begründete Institutionsfeindlichkeit. Pfarrer Mustroph gab eine Darstellung der Taufe zur Zeit des Neuen Testamentes, in der alten Kirche, nach Luther und den Bekenntnisschriften sowie in unserer Zeit. Die differenzierte Taufpraxis der alten Kirche sah Mustroph als einen Abfall von der neutestamentlichen Zeit an, für die er die Kindertaufe als Regel voraussetzte. Er betonte, daß Luther und Calvin, indem sie die Kindertaufe als Normalfall bejahten, an die altkirchliche Fehlentwicklung nicht angeknüpft hätten. Mustroph wies hin auf die Wandlungen Karl Barths, der von einem kausativen Verständnis der Taufe (1940) über das kognitive (1943) schließlich im Gefolge seines Sohnes Markus (1954) zu einem ethischen Verständnis der Taufe und zur Scheidung von Wasser- und Geisttaufe gekommen sei. Der Referent lehnte jede Kindersegnung als Tauf-Ersatz (Lebensweihe) ab und vertrat die Ansicht, daß auch volkskirchliche Unordnung kein Grund sei, die Ordnung der Kindertaufe aufzugeben. Am Samstag vormittag sprach Dr. med. Helmut Barz vom C. G.-Jung-Institut Zürich über die „Tiefenpsychologische Deutung der Taufe und ihre möglichen Konsequenzen”. Unseren ständigen Lesern ist Dr. Barz schon durch seinen Beitrag im Michaelis-Heft 1971 bekannt geworden. Für mich war dieser Aufsatz ein Anlaß, auf neue Aspekte in der Tauffrage zu hoffen. Wir wurden in Kirchberg nicht enttäuscht. „In dieser Welt muß man mit Wasser taufen”, sagte Dr. Barz zu Beginn seines Vortrags. Damit wies er die Meinung Martin Luthers zurück, man könnte auch mit Stroh taufen, wenn Christus es befohlen hätte. Barz traf damit den schwachen Punkt in Luthers Betrachtung der Sakramente (die schon in mittelalterlichen Theologen-Schulen vorhandene „nominalistische” Begründung der heiligen Handlungen), der im Protestantismus zu einer allgemeinen Konstitutionsschwäche geführt hat. Es war bemerkenswert, daß in unserem Gespräch dagegen öfter der Vertreter der Christengemeinschaft den „realistischen” Luther als Zeugen anrief, der intuitiv das Sakrament hoch- und festgehalten hat! Dr. Barz gliederte seinen Vortrag in einen religionsgeschichtlichen (Taufe in Mythos und Kultus), einen psychologischen (Wasser als Symbol für das kollektive Unbewußte) und einen dritten Teil, in dem die Taufe, wie sie im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern (auch „Ketzern”) bezeugt wird, auf ihre Bedeutsamkeit für uns hin untersucht wurde. Eine ausführliche Wiedergabe des Vortrages können wir uns hier sparen, da die Ausführungen des Referenten voraussichtlich im Sommer 1973 im Druck erscheinen werden. Die Veröffentlichung übernimmt die Wilhelm-Bitter-Stiftung, die Dr. Barz für seine Arbeit „Tiefenpsychologie und christlicher Glaube” einen Preis zuerkannt hat. Der Verlag steht noch nicht fest. Unsere Leser werden durch eine Buchbesprechung so bald wie möglich darauf hingewiesen. Die wichtigsten Gedanken des Referates waren wohl diese: Während in der alten Christenheit die Taufe eine Absage an die Macht des Unbewußten darstellte, gilt es heute, das Unbewußte zu interpretieren. Wir können nicht mehr alles Unbewußte, besonders nicht die Sexualität, als zum Satan gehörig verdammen; wir müssen das Pantheon der „Götter” durchschreiten, die uferlosen Projektionen der Heiden im Drei-Einigen wie in einem focus sammeln, gute und böse Geister als Kräfte unserer Seele annehmen. In einem abschließenden Gespräch wurden die einzelnen Teilnehmer gebeten zu sagen, was ihnen auf dieser Tagung besonders wichtig und geistlich bedeutsam erschienen sei, und wo sie Aufgaben und Impulse für ihr Leben und den Dienst in Kirche und Gemeinde sähen. Ich möchte das hier für mich persönlich beantworten. Wichtig erschien mir der Hinweis, daß auch das Pneuma als Korrelat zum Wasser einer tiefenpsychologischen Betrachtung gewürdigt werden muß. Als Pastor fühle ich mich in der Praxis der Kindertaufe (wieder) mehr ermuntert als gehemmt, einerseits durch den von der Christengemeinschaft ausgesprochenen Hinweis auf den „fremden Glauben”, andererseits - sicher ungewollt - durch die Informationen aus den evangelisch-freikirchlichen Gemeinden (der baptistische Einwand gegen die Säuglingstaufen ist für mich übrigens der einzige, der ernst zu nehmen ist). Der Vortrag von Dr. Barz hat mir gezeigt, wie notwendig es ist, in der Taufpraxis der Kirche, das heißt in dem vorbereitenden Gespräch und in der Predigt, zum Verstehen des Wasser-Symbols anzuleiten. Wahrscheinlich müßte dies auch in Meditationen geschehen. Im Blick auf die allgemeine Taufdiskussion ergab sich als Frucht dieser Tagung: Erstens: Inner-evangelische Auseinandersetzungen über die Taufe, wie sie sich in Synoden und Ausschüssen abspielen, bedürfen dringend der Anwesenheit von Christen aus anderen Kirchen. Zweitens: Die Nicht-Anerkennung der Taufe der Christengemeinschaft im Bereich der EKD ist revisionsbedürftig. Die Michaelsbruderschaft hat sich in ihrer vierzigjährigen Geschichte mehr mit der Eucharistie als mit der Taufe beschäftigt. Hier liegt also auch für uns ein Nachholbedarf vor, zumal wir im Rat der Bruderschaft einen Baptisten haben! Zu den Teilnehmern unserer Tagung konnten wir übrigens Pastor Wilhelm Thomas, einen der Stifter der Bruderschaft, zählen. Er ist einer der wenigen, die sich in der Bruderschaft von Anfang an mit Taufpraxis und Tauftheologie befaßt haben. Unser theologisch-ökumenisches Gespräch war eingebettet in das gottesdienstliche Leben von Kloster Kirchberg. Obwohl bei der Terminfestlegung dieser Gedanke keine Rolle gespielt hatte, ergab es sich, daß unsere Tagung in die Woche fiel, deren letzter Tag der Geburtstag Johannes des Täufers war. So hörten wir in Stundengebeten, bei denen die Tagungsteilnehmer mit der Hausgemeinde vereint waren, Lesungen aus der Heiligen Schrift, die zu unserem Thema in Beziehung standen. Am Johannistag und am darauffolgenden Sonntag wurde die Evangelische Messe gefeiert, zu der alle Anwesenden eingeladen waren. Von den Teilnehmern wurde der Wunsch geäußert, die Fragen nach der Integration des Bösen, die diesmal nur angeschnitten werden konnten, auf einer ähnlichen Zusammenkunft im nächsten Jahr eingehend zu behandeln. Als Termin für dieses Gespräch ist inzwischen das Wochenende 24. bis 27. Mai 1973 vorgesehen. [Siehe Quatember 1973, S. 237] Quatember 1972, S. 227-231 |
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