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Berneuchener Buch heute
von Eberhard Dieterich

LeerDurch die vier Hefte des letzten Jahrgangs zieht sich ein Vergleich der Aufrufe zur Erneuerung der Kirche, wie sie im Berneuchener Buch (1926) und in der Studie des ökumenischen Rates „Die Kirche für andere” (1967) ergangen sind. Als entscheidenden Gegensatz zum Berneuchener Buch glaubt dabei Gisela Schmidt in der Haltung der ökumenischen Studie eine „Heiligsprechung der Welt” zu erkennen. Jürgen Boeckh wendet sich in seinem Aufsatz gegen die „Natürliche Theologie” der Studie (sie „braucht im Grunde keinen Gottesdienst”) und sieht ihre „Begründung gottesdienstlichen Handelns” rein zweckhaft in den „Herausforderungen unserer Zeit und Welt”; die „erstaunliche Nähe” der beiden Dokumente hinsichtlich vieler gottesdienstlicher Fragen erscheint ihm dadurch in ihrer Bedeutung doch wesentlich gemindert.

LeerWilhelm Stählin sagt in seiner Lebensbeschreibung vom Berneuchener Buch: „Es fiel in die Hand der Theologen, das heißt es wurde in der unbarmherzigen Mühle theologischer Diskussion unschädlich gemacht. Die Kritik ließ den weitaus größten Teil des Buches unbeachtet” (Via vitae, S. 320). Es ist bestürzend, daß die genannten Aufsätze hinsichtlich der ökumenischen Studie ähnlich verfahren, wobei diesmal das Berneuchener Buch als zermalmender Mühlstein benutzt wird. Der Vorwurf der „Heiligsprechung der Welt” wurde einst vom Berneuchener Buch gegen die an irdische Größen und Ideale gebundene Kirche seiner Zeit erhoben; zugleich aber wurde eine erneuerte Kirche in die Verantwortung gerufen, die Welt mit den Kräften des Evangeliums zu durchdringen. Jetzt wendet sich jener Vorwurf gegen das Bemühen der ökumenischen Studie, die Formen des kirchlichen Dienstes in missionarischer Verantwortung auf die heutige „Welt im Wandel” auszurichten. Es ist nicht zu ergründen, wie Gisela Schmidt aus der Studie herauslesen kann, die Kirche habe „sich endlich in den Dienst des in der Welt sich unaufhaltsam entwickelnden Fortschritts zu stellen und ihre kritische Distanz zur Weltentwicklung aufzugeben”.

LeerDie Studie stellt die Aufgabe, Gottes Handeln in der Geschichte der Menschen zu erkennen. Sie sucht die „Spuren Gottes”, aber sie weiß um die Vorläufigkeit und Zweideutigkeit aller irdischen Geschichte. Angesichts der „Schrecken und Tragödien” fordert sie die Kirche auf, nicht zu verstummen und sich „an jedem wahrhaft menschlichen Bemühen konstruktiv und kritisch zugleich zu beteiligen”. Warum eigentlich werden solche Äußerungen nicht beachtet und ernst genommen? Nun hat sich seit 1926 auch die Sprache der Theologie stark gewandelt, wovon übrigens der Leser des Berneuchener Buches einen unabweislichen Eindruck bekommt. So stellt denn auch Gisela Schmidt einen Augenblick die Frage, ob die beiden Dokumente sich nicht einfach in ihrer Terminologie unterscheiden. Aber sie entschließt sich zu der „tiefgreifenden Differenz” und weiß von da aus zu urteilen, was die Studie „eigentlich” sagen müßte. Sie erklärt, daß die Studie Gott aufgehen lasse in der Geschichte und ihn als „bloße Chiffre” gebrauche, um „dem Loblied auf die Welt im Wandel religiösen Glanz zu verleihen”; sie dekretiert, daß „die Verfasser . .. eigentlich nicht so sehr am Ziel der Geschichte - dem Gottesreich - als am Prozeß des Wandels selbst interessiert” sind; überhaupt muß ihnen „im Grunde ein Wandel zum Negativen unvorstellbar” erscheinen. Von solchen „Konsequenzen” her sieht sie dann die Studie von einer „Anpassungsideologie” beherrscht.

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LeerAuch Jürgen Boeckh wird der Studie leider nicht voll gerecht. Ich muß mir alles nähere Eingehen auf die vermeintlich zweckhafte Begründung des Gottesdienstes und des Herrenmahls versagen. Zu dem Vorwurf der radikalen Abwertung der Predigt und der praktischen Ausklammerung der „vertikalen Dimension” sei nur bemerkt, daß für die Studie die Erkenntnis durchaus wichtig ist, wie sehr der von ihr leidenschaftlich angestrebte Dialog und die gegenseitige Zurüstung angewiesen sind auf das persönliche, aus der „vertikalen Dimension” kommende Zeugnis. Unerläßlich ist die Feststellung, daß Jürgen Boeckh der provozierenden Rede vom „Gottesdienst im Namen der Welt” erlegen ist. Statt die zweimalige Erläuterung anzunehmen, daß die Kirche den Gottesdienst „stellvertretend für die Welt” feiert, bestreitet er mit Entrüstung der Welt eine Qualität, „auf Grund derer sie zum Auftraggeber für den Gottesdienst der christlichen Gemeinde werden könnte”. Ja er kommt zu der Aussage, die Studie vertrete einen „Pansakralismus mit säkularem Vorzeichen”.

LeerDas Berneuchener Buch war einst dem Vorwurf ausgesetzt, daß es in Natur und Geschichte eine selbständige Offenbarungsquelle erblicke.

LeerMit Heiligsprechung der Welt, Natürlicher Theologie und Pansakralismus wird nun genau dieser unglückselige Vorwurf an die Studie „Die Kirche für Andere” weitergereicht. Der besondere Beitrag des Berneuchener Buches hinsichtlich der christlichen Haltung zur Welt liegt in seinem Gleichnisbegriff. Dieser läßt das geschichtliche Geschehen theologische Bedeutung gewinnen, er macht die Geschichte zur Anrede, die auf Ursprung und Ziel alles zeitlichen Geschehens, auf Gott selbst, hinweist. Dieser Berneuchener Haltung ist das Denken der Studie in der Tat nahe verwandt. Statt von Gleichnis (und Symbol) spricht die Studie freilich von den „Spuren” und „Zeichen” Gottes und des Christusereignisses in Kirche und Welt. Sie wagt es, dafür auch ein unkonventionelles Beispiel zu nennen, wie die Emanzipation der farbigen Rassen, und neben die Vermenschlichung der industriellen Arbeitsverhältnisse stellt sie Beispiele wie die Arbeiterpriester, das Werk Riesi, die Aktion Sühnezeichen oder auch die Telefonseelsorge. Gisela Schmidt urteilt darüber: „Die verfügbare Tat ist heilsmächtig” - „Politisches Handeln wird eschatologisch qualifiziert.” Aber was soll sich denn die Kirche anderes erhoffen, als daß Gott irdisches, geschichtliches Handeln zum Zeichen seiner Gegenwart „qualifiziert”? Ob Gleichnis und Symbol, ob Spuren und Zeichen, hier ist eine gleichgeartete Denkrichtung gegeben. Wir Berneuchener sind doch wohl gehalten, die ökumenische Studie als legitimen Abkömmling anzuerkennen.

Leer„Die Kirche für andere” macht die Berneuchener Haltung fruchtbar für unsere gegenwärtige Welt. Statt vernichtender Kritik ziemt uns die Frage, was denn aus dem anspruchsvollen Wurf des Berneuchener Buches in unseren eigenen Reihen geworden ist. Dann werden wir dem neuen Dokument bescheiden gegenübertreten und in kritischer Offenheit fragen, was hier für unseren eigenen Weg zu lernen ist.

Quatember 1974, S. 57-59

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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