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Ohne Marienlieder . . .
von Albert Brandenburg

LeerPfingsten 1973 wurde von der Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut das Bändchen „Gemeinsame Kirchenlieder” herausgegeben (Verlag Merseburger GmbH Berlin, Verlag Friedrich Pustet Regensburg u. a.). Empfohlen haben diese Sammlung die Bischöfe und Kirchenleiter einer Anzahl von Kirchen und Kirchengemeinschaften aus dem deutschsprachigen Teil Europas. Für die Deutsche Bischofskonferenz zeichnete Julius Kardinal Döpfner, für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland Landesbischof Dietzfelbinger. Insgesamt trägt das Werk 14 kirchliche Unterschriften.

LeerDie Sammlung ist zunächst für ökumenische Gottesdienste und Veranstaltungen bestimmt. Darüber hinaus sollen aber die Lieder noch in die kirchlichen Gesang-und Liederbücher als gemeinsames christliches Liedgut aufgenommen werden. Man sagt mit Recht, die Reformation hat sich in die Herzen der Menschen eingesungen, nun soll auch das gemeinsame Singen die neue Gemeinschaft im Glauben vertiefen.

LeerJeder, der um die Mühe ökumenischer Arbeit weiß, wird mit großem Respekt vor diesem ökumenischen Erstlingswerk gemeinsamer Kirchenlieder stehen und allen Beteiligten herzlich Dank wissen, vor allem natürlich den beiden am meisten Engagierten, Professor Dr. Christhard Mahrenholz und Weihbischof Dr. Paul Nordhues.

LeerDas Werk ist zunächst nach dem Ablauf des Kirchenjahres gestaltet; zu den Hauptzeiten und Festen sind schönste gemeinsame Lieder zusammengestellt. Es folgen Psalmlieder aus den bekanntesten Psalmen, die Gottes Lob und Anbetung besingen. Es schließen sich an: Lieder der Anbetung, Danksagung und des Bekenntnisses; weiterhin Bitte, Buße, Vertrauens-Lieder, zur Sendung des Christen und zu seiner Vollendung. Den Schluß bilden Morgen- und Abendlieder. Das Urteil über Melodien- und Textgestaltung muß ich absolut den Experten überlassen - soweit man aber mit weniger geübtem Blick sehen kann, ist hier beste Arbeit geleistet worden. Ich glaube nicht, daß man mit Grund viel Kritik üben kann an der textlichen und melodiösen Gestaltung.

LeerGleichwohl haben wir Bedenken, die auf einem anderen Gebiet liegen; sie müssen deutlich ausgesprochen werden. Es geht um die begriffliche Vorstellung, was eigentlich ökumenisch heißt und was das ökumenische sein will. Das ökumenische kann sich nicht damit begnügen, das tatsächlich vorhandene Gemeinsame festzustellen und zur Einheitsstiftung zu realisieren. Es geht nicht darum, möglichst viel Land und Einheitsfläche dem weiten Meer christlicher Wirklichkeiten abzugewinnen. Das ökumenische ist etwas anderes. Ökumene ist symphonisch, sie hat mit dem Einklang und Zusammenklang verschiedenster Instrumente und Töne zu tun. Uns steht immer noch so etwas wie das Modell von Einheit als Uniformität vor Augen. Einheit - Koinonia bindet spannungsvolle Mannigfaltigkeiten.

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LeerDas Ziel ist klar im Auge zu behalten. Das ökumenische tendiert hin auf eine neue Einheit der Christen, keineswegs auf die Restaurierung etwa einer im 16. Jahrhundert vorreformatorisch gewesenen, oft fragwürdigen Einheit. Die neue Einheit ist die gebundene Fülle vieler und tiefgründiger Möglichkeiten. Was in der Reformation etwa gedacht, erlebt und erlitten wurde, kann nicht verloren gehen. Es darf auch nicht vereinseitigt werden, sondern es muß mit dem Gesetz der Komplementarität gearbeitet werden, daß Einseitigkeiten als akzentuierende Betonungen möglich sind, in gegensätzlichen Spannungen zueinander stehen und sich die Erkenntnis Möhlers bestätige: Je mehr Gegensätze in der Kirche bewältigt werden, um so höher und intensiver ist die Einheit. Darum sollte der ökumenisch engagierte Theologe keine Angst haben vor gewagten Kombinationen. Das ökumenische Leben ist eben Wagnis der Bewältigung von Gegensätzen. Ohne dieses würde es dürftig, spärlich und klein erscheinen.

LeerDas ist das Ziel. Der Weg zum Ziel aber, also die Entwicklung auf eine Ökumene der Fülle ist vielfältig. Wer wollte alles Leben sofort in abgeschlossener ausgereifter Fülle haben? Ökumene ist im Werden. Und dieses sind die Stufen: Konfrontation - man bietet sich die Stirn; Konvergenz - man neigt, weil man Verwandtes entdeckt, zueinander hin; Konsens - man findet sich in der einen gemeinsamen Sache zusammen, ohne daß immer Wortübereinstimmungen wären; Communio - das ist die letzte wirkliche Einigung.

LeerDies klingt alles theoretisch, erweist sich aber als notwendig, wenn man ein aufbauendes Wort zur Gestaltung eines gemeinsamen christlichen Liederbuches sagen will. Das vorliegende Bändchen, mit wirklicher Hingabe erarbeitet, ist ein erster wertvoller Schritt. Es erfüllt aber noch nicht unsere heutigen legitimen Ansprüche des ökumenischen. Es fehlt darin das Proprium des Katholischen, das Proprium vielleicht auch der Orthodoxie und viele andere mögliche Verwirklichungen. Auch das muß noch vertieft werden:

LeerWürde man, wie es erwünscht ist, katholisches Liedgut in ganz ausgeprägter Weise unvorbereitet in ein Liederbuch hineinbringen, würde sich gewiß krasser Widerspruch und Ablehnung melden. Was zu geschehen hat, ist die Sorge für die Rezeption. Diese braucht Zeit, vor allem den günstigen Kairos. Rezeption heißt, daß etwas ins Erdreich der Kirche hineindringt, dort Wurzeln schlägt und neue lebensvolle Gestaltung annimmt. Ein Beispiel: In diesem vorhandenen Büchlein „Gemeinsame Kirchenlieder” sind eine Anzahl von Liedern aus dem sogenannten „Kirchenlied” aufgenommen. Das war eine Liedersammlung katholischer Jugend vor mehr als vierzig Jahren, die beherzt hineingriff in die Fülle und Schönheit des deutschen evangelischen Kirchenliedes. Es war damals eine Sternstunde ökumenischer Tat, als wir in unserer Jugend mit der Jugend damals evangelische Kirchenlieder sangen. Diese sind „rezipiert”, also aufgenommen von der Gemeinde. Sie stellen eine Bereicherung dar.

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LeerSo müßte in einem ähnlichen Vorgang versucht werden, alte Werte neu aus dem Katholischen in das Erdreich des ökumenischen zu verpflanzen. Es gehört dazu einiger Mut. Ohne Mut aber keine Ökumene. Warum, das fragt selbst der aufgeschlossene Lutheraner, fehlen hier Marienlieder? Soll man nicht beherzt Marias Osterfreude singen dürfen oder andere Marienlieder anbieten, daß die Mitchristen sie erproben? Sollte nicht das Stabat mater, Christi Mutter stand mit Schmerzen - in einer evangelischen Kirche gesungen werden?

LeerJeder kann sich - es geht nicht um dieses Beispiel allein - die Hemmungen vorstellen, die in einer Gemeinde sind, Hemmungen, die bis an die Unmöglichkeit reichen, nun solche Lieder zu singen, zu denen man verkündigungsmäßig kein Verständnis hat.

LeerDie Rezeption muß ganz sorgfältig und mit starker Beharrlichkeit vorbereitet werden. Wer singt, bekennt. Und Glaubensleben muß Bekenntnis sein. Man klammere sich bei unseren Äußerungen nicht an die einzelnen Beispiele, um sie zu bejahen oder sie zu widerlegen. Es geht lediglich darum, daß das ökumenische, die Menschen verwandelnd, geheimnisvoll wächst. Was Guardini mit seinem immer wieder zitierten Wort vom Erwachen der Kirche in den Seelen sagte, muß heute wirksame Wirklichkeit werden. Das ökumenische muß in den Seelen erwachen. Warum ist nicht eine gregorianische Choralmesse da? Warum nicht gesungene Präfationen? Wenn man die Rezeption gut vorbereitet, wird man echte Wunder ökumenischer conversio erleben.

LeerEs sollte ein Kreis katholischer und evangelischer, orthodoxer und anglikanischer Christen sich unter neuer Orientierung zusammenfinden und ungehemmt und mutig vom besten eines jeden in eine Sammlung hineinbringen. Ich selbst erlebte einmal, daß eine Mädchengruppe evangelisch-lutherischer Konfession in einem ökumenischen Zentrum begeistert ein Lied zu Maria Immaculata sang. Sie sangen italienisch, wußten aber, was sie sangen. Und schon erblühte in dem Singen eine neue christliche und ökumenische und auch lutherische Eigentlichkeit, also Rückkehr zu den wirklichen Ursprüngen. Was gewagt werden soll, kann man auf wenigen Seiten nicht so schnell sagen. Fest steht, daß alles ökumenische unter dem Gesetz des Gebens und des Nehmens steht. Wird dieses Gesetz nicht beachtet, verkümmert Ökumene in die Unscheinbarkeit eines sogenannten gemeinsamen, aber höchst minimalen Besitztums.

LeerDer Anfang ist gemacht. Das Hauptwerk wird aber noch kommen müssen. Freilich erst dann, wenn wir uns klargemacht haben, daß Ökumene im Grunde Bereicherung zu einer ungeahnten Fülle ist.

LeerUm beispielhaft zu werden, soll noch von drei Themen die Rede sein, die aus katholischer Grundhaltung heraus für das Liedgut besprochen werden sollen. Vom Marienlied war schon kurz die Rede. Es wäre dringend zu wünschen, daß in einer Neuauflage textlich gute und melodisch anziehende Marienlieder eingefügt werden. Die Marienverehrung, so wie sie vom Konzil inauguriert ist, kann nicht mehr ein ernstzunehmendes Streitobjekt sein. Im Gegenteil, das Konzil hat Maria so in ein Ordnungsgefüge gesetzt, in den Strukturaufbau der Kirche, daß evangelische Christen es mit Kardinal Bea als Vorsehung Gottes empfinden, daß nun endlich von Maria im Raum und Rahmen der Kirche die Rede ist. Es kann aber auch von der Jungfrauengeburt die Rede sein, wie die alten Bekenntnisse dieses aussagen.

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LeerIn einer Zeit, wo lebhafter Streit geführt wird über die Heilsvermittlung von Christus durch die Kirche an die Gläubigen, wo also vom Amt die Rede ist, kann in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden, daß Maria nicht eigentlich Amtsträgerin ist; sie ist weder Priesterin, noch hat sie eine andere unmittelbar apostolische Sendung. Ihr Beanspruchtsein von Gott ist ganz eigener und unableitbarer Art. Sie ist das Bild des erlösten Christen und zugleich auch als Mutter Jesu die Mutter der Erlösten und die Mutter der Kirche. Bischof Stählin beklagt, daß der Begriff und die Sache des Mysteriums in der evangelischen Kirche so verlorengegangen ist. Wir müssen auch manche Mysterien aus dem Leben Jesu und Maria neu zu erwerben versuchen. Auch die Jungfrauengeburt sollte also gemäß altem Bekenntnis im Lied bekannt werden. Im neuen Entwurf zum katholischen Einheitsgesangbuch sind eine Reihe guter Marienlieder aufgenommen.

LeerEin zweites Thema ist die heilige Eucharistie. Hätte nicht eine eigene Meßfeier in die Sammlung gemeinsamer Kirchenlieder aufgenommen werden sollen? Das um so mehr als vielerorts in evangelischen Kirchen und Gemeinschaften Meßfeiern abgehalten werden. Die Unterscheidungslehren betreffen ja nicht die Gestaltung der Messe, sondern nur das amtliche Tun des Priesters.

LeerEin drittes Thema endlich wäre gewesen, das Liedgut aus der Eschatologie, also aus der Lehre von den Letzten Dingen einzufügen. Wir haben doch eben die Messe pro defunctis und auch das Gedenken an die Verstorbenen. Gewiß ist in der Beziehung manche Unklarheit innerhalb des evangelischen Raumes da. Sollte nicht etwas Neues im christlichen Verstehen von Nichtkatholiken geweckt werden? Auch hier muß festgestellt werden, daß zumal im lutherischen Raum viele einzelne Theologen die katholische Urtradition bewahrt und in ihrer Weise gepflegt haben. Das nur als Beispiel. Unsere Anmerkungen sollten nur auf ein Neuverständnis von ökumenischer Realisierung zielen. Ökumene ist ganz neu zu entdecken - nicht als Minimum von Gemeinsamkeiten, auch nicht als Nicht-System von Synkretismus, sondern letztlich von katholischer organischer Verstehensweise, die bemüht ist, Kirche ohne spaltende Konfession zu bilden, wobei freilich sofort zu sagen ist, daß die Konfessionen als organisch gewachsene Gruppierungen Lebensträger des Christlich-Kirchlichen bleiben sollten. Vor allem aber gilt es, sich damit vertraut zu machen, daß Unterschiede und Gegensätze nicht alle überwunden werden müssen, sondern daß sie eingefügt werden in ein lebendiges Ordnungssystem, wo Gegensätze, die trennend sein könnten, als solche bewältigt werden und gerade in dieser Einheit eine ungeahnte Dynamik der Verkündigung entfalten.

Quatember 1974, S. 142-146

Siehe auch die Leserbriefe von
Sigisbert Kraft
Reinhard Mumm
Gertrud Senkel und
Wilhelm Thomas

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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