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zur Kirchenstruktur und zur sozialen Verantwortung der Kirche von Bernhard Thomas |
1. Am Anfang der Geschichte des Abendmahls ist keine Einheitlichkeit auszumachen, sondern eine unklare Zusammengehörigkeit von vier Komplexen:
2. Diesem Gefälle entspricht eine weitere Entwicklung des christlichen Gottesdienstes: das agapeische Element schwindet und verschwindet, das sakramentale aber setzt sich durch und beginnt zusammen mit dem sich ausbildenden Priesterbegriff und Priesterstand die Gestalt der Kirche zu bestimmen. Es entwickelt sich eine sakral-hierarchische Kirchenstruktur. Das wirkt so, als wenn das Sakramentale für die Kirche das Wesentliche sei, und mit ihm die hierarchische Struktur (das „Amt”), das Agapeische aber verzichtbar. 3. Die theologische Festschreibung und Bewältigung dieses Zustandes erfolgte, indem man fragte: „Welche Elemente unserer derzeitigen Kirchlichkeit in Frömmigkeit, Lehre, Praxis und Struktur sind in den maßgeblichen Quellen wiedererkennbar und somit legitimiert - sei es durch Schrift und Tradition im Zusammenhang mit dem Lehramt, sei es durch die Schrift allein?” Indem man die Elemente der Sakramentslehre in den Quellen wiederfand, sah man sich selbst als legitimiert an. Ob in der eigenen Auffassung etwas fehlte, konnte bei dieser Methode nicht auffallen. Man fragte ja nicht nach der Begründung des Fehlens von Elementen der Feier, deren Fehlen einem gar nicht aufgefallen war, sondern nach dem Nachweis des Bestehenden in den normativen Quellen. Deshalb mußte man sich nicht in Frage stellen lassen durch die Annahme und Kenntnis, es könne auch eine agapeische Sozialstruktur der Kirche analog dem Agapeischen im ursprünglichen christlichen Mahl geben, denn das war inzwischen durch die Entwicklung und den Stand des Kanons nicht mehr eindeutig als wesentlich für das Sakramentsverständnis auszumachen. Man wußte zwar von der Existenz einer agapeischen Praxis, hielt sie aber nicht für maßgebend für den Sakramentsbegriff und die Kirchengestalt. Daraus bildeten sich mehrere Typen eines Sakramentsbegriffes, von denen die folgenden vorherrschend wurden:
4. Das urchristliche Mahl war weder reine Empfangshandlung noch priesterlich bedingtes Opferhandeln, sondern eine geistlich-soziale Lebensform der messianischen Heilsgemeinde, die sich im Mahl der Gegenwart Christi gewiß war und gleichzeitig Brüderlichkeit verwirklichte, und umgekehrt: im Mahl der Brüderlichkeit gleichzeitig der Gegenwart Christi gewiß war. Mit den kirchengeschichtlich erst später geprägten Formulierungen könnte man sagen: die sakramentale Form des Mahles war gleichzeitig das Modell sozialen Handelns - oder - die soziale Form des Mahles war gleichzeitig das Modell der sakramentalen Gewißheit der Gegenwart Christi. Das sakramentale Leben war gleichzeitig ein soziales und damit politisches, und das soziale und politische Leben war gleichzeitig sakramental und geistlich. Und das war nicht an Hierarchiebildungen gebunden. Dieser Anfang des christlichen Mahles ist zwar nirgends eindeutig und ausführlich belegt - genau so wenig ist aber die Grundlage für den sakramentalen Deutungsversuch der reinen Empfangshandlung eindeutig und klar belegt! Für einen Anfang in der Art einer Agape-Eucharistie (oder wie man es nennen mag) sprechen viele Ergebnisse der Arbeit am Neuen Testament im Bereich der christlichen Frühgeschichte und die Tatsache, daß anders die spätere Gottesdienstgeschichte der Kirche nicht zu verstehen ist. 5. Die Angaben des Neuen Testamentes und die forschungsgeschichtlichen Zusammenhänge dazu lassen sich hier nicht ausführlich darstellen. Aber auf folgendes sei hingewiesen:
Johannes 13 scheint eine Interpretation des Abendmahls anzubieten, bei der soziale Haltung und (sakramentale) Anteilhabe an Christus zusammengehören: die Fußwaschung. Sollte das eine „nichtsakramentale” Antwort der johanneischen Theologie auf die sakramentale des Paulus sein? Ein persönlicher Eindruck: Die Christenheit hat aus den Abendmahlsworten die Anschauung von einer sakramentalen Realpräsenz in den Elementen des Mahles abgeleitet, nicht aber aus der Aussage von Matthäus 25 eine Realpräsenz Christi in den geringsten Brüdern. Das Sakramentale scheint beliebter (und vielleicht auch weniger anstrengend?) als das Soziale zu sein (auch wenn es geistig schwerer zu bewältigen ist). 7. Die spätere Geschichte des Gottesdienstes macht deutlich, daß erst durch den Verlust die Minderung des Wertes des sozialen Aspekts der spätere priesterlich-sakramentale Aspekt vorherrschend werden konnte und daß dabei das Opfer von einem Bestandteil des sozialen Aspekts zu einem Bestandteil des priesterlich-sakramentalen Aspekts wurde. Das sehe ich angedeutet in der Darstellung Gerhard Uhlhorns von der christlichen Liebestätigkeit, die, weil sie offenbar wenig bekannt ist, hier in einer reduzierten Zitatfolge wiedergegeben werden soll: „Zu den Mahlzeiten hatte jedes Gemeindeglied nach Vermögen beigesteuert, und die Sitte blieb auch, als die Abendmahlsfeier mancher Mißstände wegen von der Agape getrennt wurde. Beim Beginn derselben brachten die Gemeindeglieder Naturalgaben dar, die von den Diakonen eingesammelt wurden. Von diesen wurde das für die Abendmahlsfeier Erforderliche auf den Altar gelegt, während das übrige teils zur Unterhaltung der Kirchendiener, teils für die Armenpflege verwendet wurde. Über den Gaben wurde dann ein Dankgebet gesprochen, welches zugleich dem Dank für die Gaben der ersten wie der zweiten Schöpfung Ausdruck gab . . . Zugleich wurde derer, welche Oblationen dargebracht hatten, im Gebet gedacht .... Dann folgten die Konsekrationsgebete und die Austeilung des gesegneten Brotes und Weines. Die dargebrachten Gaben bestanden anfangs gewiß nicht bloß aus dem zum Abendmahl nötigen Brot und Wein, sondern waren Naturalgaben allerlei Art. Man kann dieses daraus schließen, daß zu Anfang des vierten Jahrhunderts eine Reihe von Konzilbeschlüssen die Oblationen auf Brot und Wein zu beschränken bemüht ist. Nur Milch, Honig und Öl, deren man auch beim Kultus bedurfte, waren außerdem an bestimmten Tagen zulässig. Deshalb hörten doch Naturalgaben anderer Art nicht auf, sie wurden nur nicht mehr als eigentliche Oblationen behandelt, nicht mehr auf den Altar gelegt und benediziert, sondern ohne Benediktion in das Haus des Bischofs oder, wo schon Kirchengebäude vorhanden waren, in den dafür bestimmten Raum gebracht. Ein sehr schöner Zug ist dabei, daß auch derer gedacht wird, die gern geben möchten, aber nicht können . . . Wie jeder ungezwungen am Herrenmahl teilnimmt, so bringt er auch ungezwungen seine Gaben dar . . . Vor allem ist aber bedeutsam, daß die Almosen als Opfer aufgefaßt werden und als Opfer gegeben werden .... Nach Irenäus. . . hat Gott . . . uns Christen die Oblationen geboten, nicht weil er deren bedürfte, sondern damit wir nicht unfruchtbar und undankbar seien; und immer tritt bei Irenäus der Gedanke in der Vordergrund, daß diese Opfer Dankopfer sind. . . Das christliche Opfer war als Herbeibringen von Gaben für die früheste Tischgemeinschaft wie für die späteren Agapen unerläßlich gewesen. Aber als die agapeischen Bestandteile aus dem Mahlgottesdienst „auswanderten”, blieb zunächst das Herbeibringen von Gaben mit liturgischer, diakonischer und kybernetischer Zielsetzung, wurden von ihnen doch die Amtsträger besoldet. Das Herbeibringen blieb, als wäre es als solches wesentlicher Bestandteil eines zwar nicht mehr agapeischen, aber die Diakonie noch immer umfassenden Gottesdienstes. Aber aus dem Herbeibringen als Gestalt brüderlicher und liturgischer (Lei-tourgia = Gottesdienst) Aktivität wurde ein Darbringen des Opferpriesters im nicht mehr gleichwertig auf die Brüderlichkeit, sondern auf die sakramentale Komponente ausgerichteten Gottesdienst. Das kann nicht dadurch erklärt werden, daß es vorher ein ungeklärtes Nebeneinander von in sich geschlossenen und agapeischen Bestandteilen gegeben habe, die dann mehr oder weniger schadlos voneinander getrennt werden konnten, sondern das macht den Schluß notwendig, daß „sakramental” und „sozial” zusammengedacht und zusammenpraktiziert waren im übergreifenden Begriff des gemeinschaftlichen Dienstes. 8. Der in der lutherischen Kirche geltende, durch die Bekenntnisschriften und darauf bezogene Kirchenverfassungen und Gesetze (z. B. Ordinationsvorschriften) vorausgesetzte Sakramentsbegriff besteht darin, daß von diesem „zwischenzeitlichen” priesterlichen Sakramentsbegriff das „Darbringen” weggenommen ist, die aktive soziale Komponente aber nicht wiedergewonnen wurde. Es entstand der Sakramentsbegriff der reinen Empfangshandlung. Der in der lutherischen Kirche gültige Sakramentsbegriff ist demnach nicht nur in nachkanonischer Zeit entstanden, sondern in Abwehr einer noch viel später entstandenen Wandlung des urchristlichen Gottesdienstverständnisses, als ein Element der Tradition und nicht des sola scriptura. Das wird bei Luther deutlich darin, daß er eine Abendmahls- und Kirchenauffassung ablehnen kann, die eine agape-ähnliche gottesdienstliche Aktion zum Inhalt haben können. So (später unwidersprochen!) im Sermon vom Sakrament und den Brüderschaften von 1519 (WA 2, 739 oder Cl I, 196, dabei besonders WA 2, 754 oder Cl I, 207, 6 ff.). Da drückt Luther zunächst mit lebhaften Worten aus, daß die Abendmahlsgemeinde „Gemeinschaft” sei, die sich der gegenseitigen Hilfe versichere und somit gegenseitige Liebe ausdrücke. Später aber modifiziert Luther diese Aussage von der Gestaltung der Gegenseitigkeit dadurch, daß er behauptet (a. a. O.!), aus eschatologisch-mystisch-platonischen Gründen dürfe diese Gemeinschaftlichkeit nur ein sichtbares Zeichen haben, nämlich die Anteilnahme an dem sakramentalen Brot und Wein. Hilfe mit sichtbaren Gütern, so meint er, würde uns davon abbringen, die unsichtbaren Heilsgüter und die ewige Seligkeit zu suchen. Die Gemeinschaft der Liebe, die sich auch nach seinen Worten im Abendmahl darstellt, ist somit keine soziale, diakonisch: reale, sondern eine geistlich sakramentliche, wobei der Sakramentsbegriff in ein dualistisches Welt- und Wertbild eingefügt worden ist. Das ist der Sakramentsbegriff, der sich weit nachkanonisch entwickelt hat, nicht auf das ursprüngliche Abendmahl anzuwenden ist, aber in den lutherischen Kirchen die Erkenntnis von agapeischen Zusammenhängen des frühen christlichen Mahles ausgefiltert hat, damit aber die Begründung für ein nach wie vor hierarchisch strukturiertes Kirchentum abgibt, dieses rechtlich absichert und noch dazu geistlich begründet. Kurz gesagt: Das Abendmahl bei uns heute und die mit ihm verbundene Kirchlichkeit bindet sich an eine Spätform der Abendmahlsentwicklung, in der das Abendmahl dem Stiftungsursprung wesentlich entfremdet ist. Diese Veränderungen können durch folgende Andeutungen beschrieben werden:
Die wegen der Normativität des durch Christus Eingesetzten erfolgte Vermeidung einer kirchlichen Lehrinstanz muß aufgegeben werden, um Rechtfolgen des bisherigen Konfessionsstatus überwinden zu können, indem eine Art Lehrinstanz gefunden wird. - Und: Um der Forderung des bisherigen Konfessionsstatus nach Übereinstimmung des gefeierten Abendmahls mit der Einsetzung durch Jesus Christus nachzukommen, muß die Definition des Abendmahls nach eben diesem Konfessionsstatus verändert werden. 10. Die Folge eines solchen Vorgehens müßte sein, ein Abendmahl zu finden, das mehr als das bisherige der Einsetzung Christi entspricht. Und da das von Christus eingesetzte Abendmahl eine geistlich-soziale Lebensform der Gemeinde war, müßte von da aus das kirchliche Leben als eine Lebensform gestaltet werden, zu der neben kerygmatischen, seelsorglichen und liturgischen Aufgaben neue Aufgaben hinzukommen als für die Kirche wesentlich, die heute im sozialen und politischen Engagement der Einzelperson angesiedelt sind oder sein sollten. Das schließt unmittelbare politische Relevanz der geistlichen Lebensformen der Kirche ebenso ein wie die Aufgabe bestimmter hierarchischer Strukturen in der Kirche. Eine weitere Folge dieses Vorgehens könnte sein, den Punkt auszumachen, von dem her der typisch protestantische Affekt gegen katholische Opfervorstellungen überwunden werden kann und die katholische Opfervorstellung losgelöst werden kann von der Bindung an ein Priestertum - beides mit dem Ziel, ökumenischer zu werden. Quatember 1985, S. 27-33 [Leserbriefe sind in Heft 2 und Heft 4 veröffentlicht.] |
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