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Kreuz und Dornenkrone im Osterlicht
von Jürgen Boeckh

LeerIn der „vorläufigen Liederliste” für das in Vorbereitung befindliche neue evangelische Gesangbuch sind neben neunzehn Passionsliedern, die im Evangelischen Kirchengesangbuch (EKG) stehen, sieben weitere Lieder für die Passionszeit vorgeschlagen. Eins von diesen sieben, „Eines wünsch ich mir vor allem . . .”, steht bereits in mehreren Anhängen des jetzigen Gesangbuchs. „Holz auf Jesu Schulter” geht auf eine niederländisch-belgische Vorlage zurück. Melodie und Text, die dem Lied „Du schöner Lebensbaum” zugrunde liegen, stammen aus Ungarn, aus dem 17. Jahrhundert. Für „Sehet hin, er ist allein im Garten ...” von Friedrich Walz ist eine alte Melodie (EKG 219) vorgesehen, ebenso für den Text von Friedrich von Bodelschwingh (1938). Nur zwei der vorgeschlagenen Lieder sind neu nach Text und nach Melodie: „Jesus, deine Augen ...” (Worte: Walter Gronandt, Weise: Johannes Petzold) und das hier abgedruckte Lied von Kurt Ihlenfeld: „Das Kreuz ist aufgerichtet . . .” (1967). Dieses ist das einzige der sieben, das bisher als „ö-Lied” anerkannt worden ist. In den „Gemeinsamen Kirchenliedern” (GKL) ist es mit der Weise von Helmut Barbe (ebenfalls 1967) zu finden, während in der „vorläufigen Liederliste” die Melodie von Manfred Schlenker empfohlen wird.

LeerKurt Ihlenfeld, geboren 1901 in Colmar, gestorben 1972 in Berlin, von 1933 bis 1943 Schriftleiter des „Eckart”, war längere Zeit Mittelpunkt des nach dieser Zeitschrift genannten Dichterkreises, der nicht trotz, sondern eher wegen seines bewußt evangelischen Ausgangspunktes immer auch den Kontakt mit katholischen Autoren gepflegt und sie in seiner Zeitschrift hat zu Worte kommen lassen. Ina Seidel, Jochen Klepper und Rudolf Alexander Schröder waren hier (neben anderen) mit Josef Wittig, Reinhold Schneider und Werner Bergengruen „in einem Boot” - eine Schicksalsgemeinschaft, die im Widerspruch gegen das „Dritte Reich” zusammengeschweißt wurde. Im EKG sind nur Schröder und Klepper vertreten, und darum ist es begrüßenswert, daß auch Ihlenfeld nun dazu kommen soll, ein Mann, der noch nicht zur Generation der neuen geistlichen Liedermacher gehörte. Sein Lied ist, obwohl wir es in mehreren Gesangbuch-Anhängen bereits seit Jahren finden, bisher nicht Allgemeingut geworden. Das liegt sicher nicht nur an den Melodien, die alle drei (außer der von Barbe und Schlenker gibt es noch eine von Traugott Timme) für eine Gemeinde nicht leicht zu singen sind; der Text entspricht nicht dem seit etwa zwanzig Jahren in den Vordergrund gerückten Jesus-Bild und einer gängigen Wertung des Kreuzes:

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LeerDer Mensch Jesus, der diese Welt verändern will und am Kreuz scheitert. Ihlenfeld geht davon aus, daß Gott durch Jesus handelt, daß sein Leiden im Heilsplan des Ewigen begründet ist, daß Jesus selbst sich zum Opfer gibt. Das alt christliche Dogma und die reformatorische Theologie, wie sie in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, stehen hinter den Worten Ihlenfelds - und damit doch wohl auch die Theologie des ganzen Neuen Testamentes. Dabei steht im Vordergrund der johanneische Christus. Aber weder der Name Jesus noch der Titel Christus taucht auf. In der letzten Strophe wird er klar und einfach „der Sohn” genannt. Hier finden wir einen Anklang an die Worte Jesu nach Johannes (8, 36): „Wenn euch nun der Sohn freimacht, so seid ihr recht frei.” Gemeint ist die end-gültige Freiheit, von der auch Paulus spricht (Rom 8, 21), die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes”.

LeerDer einzige Passus in diesem Lied, der mir theologisch anfechtbar erscheint, findet sich am Schluß der ersten Strophe: „ . . . gibt sich für ihre Sünde der Schöpfer selber zum Entgelt.” In dem Hymnus von Thomas Müntzer „Gott, heiliger Schöpfer aller Stern . . .” (GKL 3) finden wir etwas ähnliches: Zu Gott, dem Schöpfer, wird dort gesagt „drum nahmst du auf dich Schuld und Pein.”

LeerDie Arbeitsgemeinschaft für Ökumenisches Liedgut (AOL) hat auf Grund einer Eingabe diesen Text geändert. Es heißt jetzt: „Drum nahm er auf sich Schuld und Pein”. Die seit dem 2. Jahrhundert auftauchende Aussage, daß der Schöpfer und Vater am Kreuz leidet und stirbt, ist in der Kirche als „Patripassianismus” abgelehnt worden. Patripassianismus kann leicht zu einer „Gott-ist-tot-Theologie” führen, bei der der Vater im Sohn aufgeht - und nur der Mensch Jesus übrigbleibt. Dieser Passus ließe sich unschwer ändern!

LeerIn der dritten und vierten Strophe erweist der Dichter sich in aller Klarheit als evangelischer Christ der lutherischen Reformation. Damit soll nicht gesagt sein, daß solche Aussagen lutherischen Christen vorbehalten sind! - Der gemarterte Jesus mit der Dornenkrone auf dem Haupt steht vor uns: „Ecce homo - Sehet, welch ein Mensch!” Und es wird deutlich, daß dies alles „für uns” geschehen ist; daß Jesu Leiden im Willen Gottes begründet ist. In dem Gekreuzigten erscheint der Deus absconditus, von dem Luther gesprochen hat: „Die Liebe will verborgen sein.”

LeerDornenkroneDeutlich wird aber auch der allumfassende Heilswille Gottes, besonders in der zweiten Strophe: Die Erde - der Stern des Kreuzes! Damit rückt unsere Erde, die wir vordergründig nur als einen Himmelskörper unter unzählig vielen anderen betrachten, geistlich wieder in den Mittelpunkt des göttlichen Handelns, und der Tod des Sohnes wird zum Unterpfand der Hoffnung auf die „Wiederbringung” aller Menschen und darüber hinaus alles Geschaffenen. Der Hymnus von Kurt Ihlenfeld ist nicht nur ein Passionslied (im engeren Sinne), das Kreuz ist bereits mit den Augen dessen gesehen, der glaubt, daß der Gekreuzigte auferstanden ist von den Toten, wie auch „Die Dornenkrone” von Alfred Manessier bereits vom Osterlicht erhellt wird.

Quatember 1986, S. 2-4

Leserbriefe:
Peter Gerloff
Paula Rothert OSB

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-08
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