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Osterhase oder Osterlamm?
von Georges Pfalzgraf

LeerSeit Jahren ist mir immer wieder aufgefallen, daß auf das Osterfest hin, neben den Eiern, nur Hasen aus Schokolade zum Verkauf angeboten werden. Hie und da noch Hühner, was ja zu den Eiern paßt, oder noch seltener Fische. Auf meine Frage hin, ob es nicht auch Osterlämmlein gibt, erhielt ich ein verblüfftes „Nein!” mit der Begründung, daß es hierzu keine Nachfrage gibt. Warum sprechen wir alle vom Hasen gerade an Ostern? Ist das nicht sonderbar?

LeerOstern ist ein Fest, das aufs engste mit dem Osterlamm verbunden ist. Im Alten Bund gab Mose dem Volk eine Anordnung, die zur Auserlesung und Schlachtung eines Lammes führte. (Gen. 12) Im Neuen Bund zeigt uns der Evangelist Johannes Jesus als das Lamm, das am Vorabend des Festes am Kreuz geschlachtet wurde: Um dieselbe Zeit schlachtete man die Osterlämmer. Kein Knochen sollte ihnen zerbrochen werden (Joh. 19, 36; vgl. Gen. 12,46). Die alte Osterepistel 1. Kor. 5,7-8 enthält die Aussage, daß auch unser Osterlamm geschlachtet wurde, nämlich Christus. Diese Aussage hat ihren Niederschlag in manchem Osterlied gefunden, zum Beispiel in Martin Luthers schönem „Christ lag in Todesbanden”, das sich an das älteste uns bekannte deutsche geistliche Volkslied „Christ ist erstanden” anlehnt, aber auch an die in der Ostermette zuvor vom Chor gesungene lateinische Ostersequenz Victimae paschali laudes immolent Christiani: „Dem Passa-Opferlamm bringen Lobopfer dar die Christen.” Die fünfte Strophe des Luther-Liedes lautet:
Hie ist das recht Osterlamm,
Davon wir sollen leben.
Das ist an des Kreuzes Stamm
In heißer Lieb gegeben.
Des Blut zeichnet unser Tür.
Das hält der Glaub dem Tod für.
Der Würger kann uns nicht rühren. Halleluja.
LeerIn der ursprünglichen Fassung lauten, ganz bildhaft, die ersten vier Zeilen:
Hie ist das recht Osterlamm,
Davon Gott hat geboten,
Das ist an des Kreuzes Stamm
In heißer Lieb gebroten.
LeerDas wahrhaft Neue erscheint darin, daß unser Osterlamm der Sohn Gottes ist, der wahre Mensch, den Gott durch die Auferstehung zum bleibenden Erlöser und Heilbringer gemacht hat. Er ist es, von dem wir Heil erwarten dürfen. Er ist es, der der Jüngerschar durch sein Kommen in ihre Mitte zur vollen Freude verhelfen hat. (Joh. 20,20)

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LeerAber, so muß man fragen, wie kommt es, daß wir in unseren Osterbräuchen vom Osterhasen reden, während die Heilige Schrift diesen Ausdruck gar nicht kennt?

LeerMan hat den Versuch unternommen, den Ursprung desselben in der germanischen Mythologie zu finden. Der Hase wäre dort ein Fruchtbarkeitssymbol gewesen. Aber trotz aller Findigkeit bleibt dieser Versuch, den Osterhasen zu deuten, ganz unfruchtbar und führt zu keiner befriedigenden Lösung. Dennoch muß ursprünglich etwas recht Sinnvolles hinter dem weitverbreiteten Spiel vom Osterhasen und Osterhäuschen stecken, denn wer hätte schon den Gedanken aufbringen können, die Kinder zum Narren zu halten? Die wahre Lösung scheint viel einfacher zu sein: Der Osterhase ist allem Anschein nach nichts anderes als eine witzige Bezeichnung für das Osterlämmlein. In manchen Gegenden ist es heute noch üblich, daß man sich das Osterlamm mit dem Siegesfähnchen in Gebäckform schenkt (vgl. z. B. Joseph Lefftz: Elsässische Dorfbilder. Ed. Sutter, Woerth, 1958, S. 133). Es bleibt trotz aller überwuchernden Hasenmode weiter in so mancher Patisserie und Bäckerei erhältlich und ist ein sinnvolles Geschenk, das zeichenhaft auf die Osterbotschaft hinweist.

LeerDa ein solches Lämmlein ungefähr die Größe eines Hasen hat, kann man sich leicht vorstellen, daß die nicht immer gesunde Sprache es verstand, das Osterlämmlein in den Osterhasen umzuwandeln. Die Umformung wurde vielleicht durch die Sitte begünstigt, die Leute an Ostern zum Lachen zu bringen. Sie sollten nach der Karwoche zur hellen Freude aufgemuntert werden. Die Kunst, dies zu erreichen, blieb den Predigern in den Kirchen nicht vorbehalten. Auch im profanen Umgang verstand man es aufzuheitern. Und was hilft schon mehr zum Lächeln als ein witziges Wort? Der Witz stempelte das Lamm zum Hasen, und so entstand im Volksmund der Osterhase. Er behauptete sich durch das Mittelalter bis zum heutigen Tag, auch in Zeiten, die mit witzigem Gerede aufgeräumt hatten. Nun aber klingt im Ohr des Bibellesers das Wort „Osterhase” wie ein Spott, um so mehr, daß der Hase im Gegensatz zum Lamm ein sogenanntes unreines, nicht zum Opfer taugendes Tier war. Der Weg vom Witz zum Spott ist nicht weit.

LeerWenn nun mit dem Osterhasen nichts anderes gemeint ist als das Osterlämmlein, dann wird vieles verständlicher, und wir ziehen es vor, in der Fortsetzung ehrfürchtig vom Lamm zu sprechen. Unser Osterlamm ist Christus, der als der wahre Adam Zugang zum Paradies hat (Offb. 2,7). Als den wahren Gärtner, der ewig im Garten Gottes bleibt, hat ihn Maria Magdalena gleich erkannt (Joh. 20,15). Deshalb raten wir den Kindern, das Osterhäuschen wenn möglich im Garten zu bauen. Das Osterlamm wird dann kommen, obschon man es nicht sieht und seine Gaben bringen, Gaben, die viel größer sind als das, was sie scheinen. Sie sind verborgenes Leben, dargestellt durch die Ostereier. Diese deuten hin auf ein Leben, von dem man sagen kann, daß noch nicht offenbar ist, was es sein wird. Es gehört zur Besonderheit der Eier, daß sie etwas anderes und Höheres werden können als das, was man sieht. So ist es auch mit den Gaben, die Christus uns anbietet. Es ist verborgenes Leben. Auf dieses Leben wollen wir die Menschen aufmerksam machen und nicht zuletzt unsere Kinder. Durch Worte, aber auch durch das Spiel gilt es, sie hinzuführen zu Christus, unserem Osterlamm. Es gilt, sie einzuweihen in das österliche Geheimnis vom Kommen des Auferstandenen, der die Seinen besucht und ihnen die Beute seines Sieges austeilt. In der siebten Strophe seines Liedes „O Tod, wo ist dein Stachel nun?” sagt Georg Weissel:
Das ist die reiche Osterbeut,
der wir teilhaftig werden:
Fried, Freude, Heil, Gerechtigkeit
im Himmel und auf Erden.
LeerAuf das Osterfest hin spornen wir die Kinder an, ein Osterhäuschen zu bauen, damit ihnen die wunderbaren Gaben des Lammes zuteil werden. Wenn dann der Ostertag gekommen ist, schicken wir sie dorthin, wo sie es gebaut haben, oder noch besser, wir begleiten sie. Dadurch lehren wir sie spielend, die Bedeutung der Kirche als Haus recht zu schätzen und sich dorthin aufzumachen.

LeerIn Anlehnung an Psalm 118 - „Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des Herrn behält den Sieg!” - gibt es die Osterhütte als Abweichung vom Osterhäuschen. Als ich klein war, hatte man mich gelehrt, eine solche anzufertigen: Ich nahm Weiden, bog sie und steckte deren beide Enden in den Boden. Mit dünneren Weiden vollendete ich die Hütte zu einem kleinen geflochtenen Werk in der Form eines Halbkreises und bedeckte sie schließlich mit Moos. Das Osterlamm bekam ich zwar nie zu Gesicht, aber durch seine reichen Gaben lernte ich es schätzen und war recht froh. Die ganze Sache hat sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt. Sie schwebt auch dem Dichter Benjamin Schmolck in seinem Lied „Willkommen, Held im Streite” vor:
In der Gerechten Hütten
schallt schon das Siegeslied.
Du trittst selbst in die Mitten
und bringst den Osterfried.
Ach teile doch die Beute
bei deinen Gliedern aus;
wir alle kommen heute
deswegen in dein Haus.
LeerOstern wird es da, wo Menschen Anteil bekommen an dem geheimnisvollen Leben des Osterlammes Christus. Er muß es in uns legen durch die Verkündigung der Frohen Botschaft und durch die Gemeinschaft an seinem Tisch. Zu diesem Zweck haben wir unsere Kirchen gebaut.

LeerDas große Ostergeheimnis von Christus, dem Osterlamm, das uns in seinem Haus das noch nicht offenbar gewordene Leben schenkt, hat in einem sinnvollen Spiel seinen volkstümlichen Ausdruck gefunden. Das Spiel lohnt sich und ist ein schöner Brauch, den wir mit um so größerem Gewinn weiterpflegen, wenn wir wissen, was wir tun. Mögen viele Stimmen sich hören lassen, damit die Nachfrage nach dem Osterlämmlein sich durchsetze und daß unsere Bräuche und Geschenke wieder mehr der Verkündigung des Evangeliums dienen.

Quatember 1987, S. 18-21

Dazu Leserbriefe:
Jürgen Boeckh - Zum Osterhasen
Werner Reuss - Noch einmal: der Osterhase
Heinz-Georg Hartmann - Christus und der Osterhase

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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