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Gott hört alle Gebete
von Jürgen Boeckh

LeerDie Straße vor dem Messegelände ist voll von Menschen. Alle wollen möglichst bald einen Platz in der Straßenbahn erwischen. Mein Blick fällt auf einen jungen Mann in der Menge mit einer Hahnenkammfrisur. Am rechter Ohr, nur an diesem, trägt er ein Kreuz als Anhänger. Ich betrachte ihn und überlege: Ob er weiß, was das Kreuz bedeutet? Er bemerkt, daß ich ihn ansehe - und steckt mir die Zunge heraus. - Mein Blick fällt auf eine junge Frau. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, nicht mit Hosen, sondern mit einem Maxi-Rock. Doch das ist es nicht. Ihr Gesicht beeindruckt mich. Ich spüre einen „schönen Glanz von innen”. Jetzt sorgt eine Stimme aus dem Lautsprecher dafür, daß die Straßenbahnschienen frei gemacht werden. Im Nu ist die Bahn gefüllt. Ich habe einen Stehplatz. Mein Ziel ist eine „Gebetsstunde aller Religionen für den Frieden”. Sie soll im „Bürgerhaus Südbahnhof” um 18 Uhr beginnen.

LeerSeitdem der Papst im vorigen Jahr Vertreter aller Religionen zu einem Gebel für den Frieden in Assisi zusammengerufen hat, beschäftigt mich die Frage: Können wir, dürfen wir als Christen mit Menschen anderer Religion zusammen beten? Johannes Paul II. hatte übrigens gesagt: „Wir sind nicht gekommen, um zusammen zu beten, sondern wir sind zusammengekommen, um zu beten.” Aus evangelischen Kreisen, besonders solchen, die gerade diesen Papst als moralische Autorität achten, ist Protest gegen das Friedensgebet in Assisi laut geworden. Für mich wurde dies ein Anlaß, mir noch einmal das Dokument vom II. Vatikanischen Konzil über die Stellung der Kirche zu den anderen Religionen vorzunehmen. Da findet man, zum Beispiel, sehr positive Worte für die Muslime, die wie wir den einen Gott anrufen, Jesus als einen Propheten ansehen und oft auch seine jungfräuliche Mutter Maria verehren.

LeerDie Straßenbahn ist immer leerer geworden. Außer mir sitzen nur noch etwa zehn Personen in diesem Wagen; unter ihnen jene junge Frau, die mir im Gedränge „in die Augen gefallen” war. Sie steigt an der gleichen Haltestelle aus wie ich - und hat das gleiche Ziel. Das geht mir manchmal so: Ich erkenne Menschen, die mit mir auf dem Wege sind.

LeerDie Gebetsstunde findet in einem nüchternen Versammlungssaal statt, nicht in einem kultischen Raum. Aber die gekommen sind, sind vermutlich alle gekommen, um zu beten. Ein evangelischer Pfarrer begrüßt die Versammlung. Er spricht von einer „ruhigen Stunde im Wirrwarr des Kirchentages”. Im Vergleich zu den Veranstaltungen auf dem Messegelände und .auch zu den Gottesdiensten in den Kirchen der Stadt sind nur wenig Menschen da, etwa hundert. Das Eröffnungsgebet lautet:
Schöpfer der Welt,
Gott voller Barmherzigkeit und Liebe,
du Quelle des Lebens,
du Urgrund alles Seienden;
Wir rufen dich an mit deinen vielen Namen:
Gott unser Vater, unsere Mutter,
Allah, Parmeshwar, Satchdandand,
Ahura Mazda, Adonai Elohenu.
Du bist gütig. Du schenkst uns immer wieder neu
die Kraft und den Mut zum Leben.
Vor dir halten wir inne in unserer Geschäftigkeit
und bitten: Schenke uns deinen Frieden.
Om Shanti. Shanti, Shanti.
Schalom, Salam, Friede.
LeerIch weiß, was gegen ein solches Gebet gesagt wird: Wer Allah anruft, der betet nicht zu Gott, unserem Vater, wie Jesus, Gottes Sohn, ihn uns verkündet hat. Und erst recht: Wer das gute Wesen in der Sprache des Zoroaster Ahura Mazda nennt, der betet nicht zu unserem Gott. Aber ich höre das gelegentlich auch im Blick auf die Juden, die keine Christen sind, ja sogar von Christen meiner Konfession gegenüber Katholiken oder Orthodoxen: Sie haben einen anderen Gott, sie rufen einen fremden Gott an. Da frage ich mich allerdings: Können Menschen überhaupt einen anderen als den einen Gott anrufen, der Himmel und Erde geschaffen hat, den Jesus uns als den Vater verkündet hat, er, der für uns das Bild des unsichtbaren Gottes (Kolosser 3,15) ist?

LeerEs gibt viele, verschiedene Vorstellungen und Bilder von Gott: Solche, die einander entsprechen und ergänzen, so daß in den vielen Namen und Bildern etwas deutlich wird von der „Fülle Gottes”, die nach dem Glauben der Christen in Jesus verborgen und offenbar ist - und solche, die einander widersprechen; das aber auch innerhalb des Christentums. Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus ist nicht „der Gott, der Eisen wachsen ließ”. Ich glaube, daß der eine Gott die Gebete aller Menschen hört, auch wenn unsere Bilder von ihm unvollkommen und oft verzerrt sind. Und ich frage mich ernsthaft: Wer steht mir näher, ein Christ, der nicht betet - oder ein Nicht-Christ, der betet?

Quatember 1987, S. 132-133

Leserbriefe:
Hans Baritsch
Rudolf Ehrat
Heinz Grosch
Hans-Joachim Thilo

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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