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zur Berneuchener Familie von Johann-Friedrich Moes |
BERNEUCHENER KONFERENZ GESTALTWERDUNG GEWANDELTE SITUATION ALTE WURZEL - NEUE TRIEBE BERNEUCHENER KONFERENZ Die »Jugendbewegung«, um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert als Protestbewegung gegen die bürgerliche Zivilisation der wilhelminischen Ära entstanden, war durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges zutiefst erschüttert worden. Die Liebe zur einst erwanderten Heimat war zum Nationalismus geworden und hatte im Haß der Völker gegeneinander die schrecklichsten Folgen gehabt. Im Grauen der Materialschlachten hatte sich die oft romantisierende Freude an der Natur als unzulängliche Widerstandskraft erwiesen. Zudem kamen, die sich hier versammelten, sämtlich aus Großstädten: Karl-Bernhard Ritter und Heinz-Dietrich Wendland aus Berlin, Wilhelm Stählin aus Nürnberg, Ludwig Heitmann aus Hamburg...; ihnen brannten die Probleme der Massengesellschaft, die Nöte des Proletariats auf der Seele, die mit einer Flucht »aus grauer Städte Mauern« nicht zu lösen waren. Den evangelischen Verantwortlichen hatte Karl Barth die Sinne geöffnet für das »lebendige Wort« (wie oft kommt diese Wendung im Berneuchener Buch vor! ), Karl Holl für die Grundanliegen der Reformation; so suchten sie die Antwort auf die drängenden Fragen in einem neuen Verständnis des Evangeliums, das sie in den verfaßten Kirchen nicht fanden. Für ihr gemeinsames Fragen suchten sie den Ort für eine »Freizeit«, eine mehrtägige Zusammenkunft fern vom Alltag in anregender Umgebung, und fanden ihn im Gutshaus von Berneuchen in der Neumark, einer der ältesten Regionen der Mark Brandenburg jenseits der Oder im heutigen Polen. Sie fanden mehr als ein gastfreundliches Gutshaus in einem schönen Park; sie begegneten dem »erweckten pommerschen Adel«. Es genügt also nicht, sich die Lebenswelt von »Pönichen« zwischen »Jauche und Levkojen« vorzustellen; man muß sich vor Augen halten, daß die Erweckungsbewegung, die im zweiten Drittel des vorigen Jahrhunderts viele Gegenden in Deutschland geistlich befruchtete, in den verschiedenen Regionen durch die Angehörigen verschiedener Berufsstände vermittelt wurde, so in Pommern (und der südlich angrenzenden Neumark) durch die Adligen, die den Geist der Erweckung nicht nur unter ihren »Leuten«, sondern auch unter den benachbarten Adligen verbreiteten. Zu den ersten »erweckten« Familien gehörten z.B. die Thaddens auf Trieglaff (mancher erinnert sich an den Gründer der Ev. Kirchentage, Reinhold v. Th.), und der - 1923 schon hochbetagte - General von Viebahn, der die Erbin Berneuchens geehelicht hatte, war der Bruder des Soldaten-Evangelisten Georg v.V. Diese Umgebung wirkte sozusagen als Katalysator. Die Konferenzteilnehmer fanden sich auch innerlich zusammen; für ihr gemeinsames Fragen und Suchen fanden sie nicht nur eine Richtung, sondern auch Antwort. Sie formulierten sie im Berneuchener Buch (1926), dem ersten Dokument der Berneuchener Bewegung, die sich bis in die Gegenwart hinein wirksam erweist. GESTALTWERDUNG Bei einer Freizeit auf der Westerburg zu Ostern 1931, bei der Carl Happich die Versammelten erstmals in die Meditation einführte, reifte der Entschluß, einen erneuten Versuch zu unternehmen. Die gegen die Auflösung der »Berneuchener Bruderschaft« protestiert hatten, wurden zu Michaelis nach Marburg eingeladen. Die Wahl des Datums und des Namens »Michaelsbruderschaft« war nicht zufällig; vielmehr - so berichtet Stählin - »waren wir von Anfang an erfüllt von der Ahnung (es war mehr eine Ahnung als eine klare Erkenntnis) von dem dämonischen Charakter der Not um uns und in uns selbst«. Am 1. Oktober schlossen sich 22 Männer vor dem Altar der Kreuzkapelle der Marburger Universitätskirche zur Evangelischen Michaelsbruderschaft zusammen; »dedemenoi esmen«, »Wir sind gebunden«- so sagte einer der Stifter nach der Feier. Was in der Kirche Christi »eigentlich« jeder und jedem gilt, hat hier leibhafte Gestalt gefunden. Diese Schar, in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens auf ein Vielfaches angewachsen, hat die Gestalt der evangelischen Christenheit im deutschen Sprachraum in mancher Hinsicht geprägt: Die großen Agendenwerke der Nachkriegszeit tragen ebenso die Spuren ihrer liturgischen Arbeit wie der Entwurf zur Erneuerten Agende; die Wochensprüche sind Allgemeingut und die Predigttexte, aus der Lesung für das Jahr der Kirche erwachsen, weit verbreitet. Abendmahlsfeiern »im Anschluß an den Gottesdienst« sind fast verschwunden, und viele Feiern zeigen eine mehr oder weniger enge Verwandtschaft zur Evangelischen Messe; sinnvolle leibhafte Gestaltung des Gottesdienstes (bis hin zum weißen Gewand des Liturgen) ist längst kein Tabu mehr. [Vgl. hierzu Riehm, Der Beitrag der Evangelischen Michaelsbruderschaft zur Gottesdienstreform des 20. Jahrhunderts] Immer wieder wurde die Mahnung laut, die Michaelsbrüder sollten über ihrem liturgischen Bemühen die Nähe zu den Menschen der Gegenwart und ihren Nöten nicht aus den Augen verlieren; sie kam von außen und von innen - mit gutem Grund. 1945 trat Ludwig Heitmann, einer der führenden Köpfe schon der Berneuchener Konferenzen, aus Protest gegen liturgische Überhöhung und hierarchische Tendenzen aus der Bruderschaft aus, die er auf dem »Weg nach Rom« sah; dieser Schnitt führte zu einer tiefen Erschütterung. Aber stets haben sich eine ganze Anzahl von Brüdern in der Diakonie engagiert, damit deutlich bleibt, daß Liturgie und Diakonie zwei Seiten derselben »Sache« sind; Hans Dombois trug in der Frühzeit der Kirchentage Verantwortung in der Arbeitsgruppe Politik, und Heinz-Dietrich Wendland wurde zum grundlegenden Gestalter evangelischer Sozialethik. - Leibhafte Gestaltung hat stets ihre Grenzen, und die Fülle der Gedanken des Berneuchener Buches zu verwirklichen, dazu reichten die Kräfte auch einer großen Bruderschaft nicht. GEWANDELTE SITUATI0N Es zeigt sich: Die Aufgabe, die einst die Großstadtpfarrer in der entlegenen Neumark zusammenführte, ist keineswegs erledigt, nämlich das »lebendige Wort Gottes« so auszurichten, daß es die Menschen der jeweiligen - also unserer Zeit trifft. Wir dürfen dabei getrost zuerst an den Gottesdienst denken, auf dessen Gestaltung wir seit jeher besondere Sorgfalt verwendet haben. Er will so vollzogen werden, daß er als Fest der Begegnung (Buchtitel von Georges Kempf) erfahrbar wird - der Begegnung Gottes mit seiner Gemeinde: Hier redet Gott sein Volk an - hier breiten in Gebet und Fürbitte die Menschen ihre Nöte (wirklich: i h r e Nöte!) vor Gott aus, und im Lobgesang werden die großen Taten Gottes lebendig. - Beim Tagzeitengebet haben wir das Beten der Psalmen entdeckt, jener uralten Gebete, in denen auch wir heutigen Menschen uns wiederfinden, die uns aber auch zeigen, daß wir nicht die ersten sind, die vor Gott klagen und bitten, danken und loben. Im eben erschienenen neubearbeiteten Tagzeitenbuch (es enthält auch Hilfen zu lebendiger Fürbitte!) sind die Psalmen zum Singen eingerichtet, damit sie im Chorgebet »laut werden« können. Das ist ein Angebot an die Menschen unserer Zeit, die Gregorianik gern hören, wenn auch als eine Art »ästhetisches Naschwerk« - Psalmodie aber ist eine geistliche Übung. Die eigene langjährige Erfahrung mit der Meditation ermutigt uns, diese Erfahrungen weiterzugeben; das heißt auch: Menschen sorgfältig darauf vorzubereiten, daß sie andere bei Meditationen verantwortlich anleiten. Meditative Vertiefung tut den Menschen unserer Zeit not, als Gegengewicht gegen intellektuelle Höchstleistungen wie gegen die ständige, immer schärfere Überflutung mit Reizen. Die Leitung eines Gottesdienstes setzt meditative Vertiefung voraus. - Und bei Meditationstagen und -kursen wird der Gottesdienst in ganz schlichter Form vollzogen, so daß seine Urgestalt deutlich hervortritt. Da öffnet er sich auch organisch für spontane Mitgestaltung. Das hat nicht nur seine Bedeutung für andere »kleine« Gottesdienste; darin wird vielmehr ein anderes Element sichtbar, für dessen Einübung eine Bruderschaft gute Voraussetzungen bietet: der geschwisterliche Umgang miteinander. Das Bibelgespräch, das geistliche Gespräch - gerade unter Angehörigen verschiedener Berufe und verschiedener Generationen - bieten kostbare Erfahrungen. Und die soziale Frage? Hier zeigt das Geschick des Wortes der Kirchen Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, wie ohnmächtig selbst ein so gründlich erarbeitetes »Wort« ist. (Hats doch schon mal gegeben...) Auch hier geht es um das Sein. Leichter als große Institutionen (wie eine Landeskirche) können überschaubare Gemeinschaften solidarisch leben. Dürfen wir die Tatsache, daß ein Haus wie Kloster Kirchberg weitgehend von freien Gruppierungen getragen wird, als ein »Zeichen« werten? ALTE WURZEL - NEUE TRIEBE © Johann-Friedrich Moes Quatember 1998, S. 77-82 |
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