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Petrus und die Petriner
von Wilhelm Stählin

LeerEs ist seit langem üblich geworden, ein petrinisches, ein paulinisches und ein johanneisches Christentum zu unterscheiden, wobei entweder die Kirche Roms als petrinisch, die Kirche der Reformation als paulinisch, die Kirche des Ostens als johanneisch angesehen, oder aber die drei Typen in dem Sinn auf drei Zeitalter der Kirchengeschichte verteilt werden, daß wir, nachdem der paulinische Protest gegen die petrinische Gestalt des Christentums in sein Endstadium getreten sei, nun auf ein johanneisches Zeitalter als die letzte und vollkommenste Ausprägung des christlichen Glaubens und Lebens hoffen dürften. Doch krankt diese Dreigliederung, wie fast alle solche bestechenden Schemata, an einem erheblichen Schönheitsfehler, indem nämlich diese drei Typen oder Zeitalter in einem durchaus verschiedenen Verhältnis zu dem Apostel stehen, dessen Typus sie angeblich vertreten. Während das „paulinische” Christentum der reformatorischen Kirche davon seinen Namen trägt, daß darin bestimmte zentrale Gedanken der paulinischen Verkündigung und Theologie eine alles beherrschende Rolle spielen, und während in ähnlicher Weise das „johanneische” Christentum durch die besondere Erkenntnis und Frömmigkeit der johanneischen Schriften geprägt sein soll (oder geprägt sein wird), kann der Name eines „petrinischen” Christentums nicht in gleicher Weise eine Verbindung mit dem besonderen Lehr- und Frömmigkeitstypus des Apostels Petrus bedeuten, weil weder die spärlichen Andeutungen des Evangeliums noch der unter dem Namen des Petrus gehende Brief einen solchen eigentümlichen gedanklichen Stil erkennen lassen. Vielmehr unterscheidet sich ein „petrinischer” Typus der christlichen Kirche (wenn es einen solchen gibt) dadurch von einem paulinischen und einem johanneischen Typus, daß er sich in einer besonderen Weise durch die besondere Rolle bestimmt weiß und darauf beruft, die nach dem Bericht des Evangeliums der Apostel Petrus unter den anderen Jüngern gespielt hat. Jede Erörterung über eine Gestalt des Christentums, welche in diesem Sinn als petrinisch angesprochen werden könnte, muß also von der Frage ausgehen, in welchem Sinn Petrus eine besondere Stellung unter den Aposteln gehabt hat und welches die kirchengeschichtlichen Konsequenzen einer solchen Sonderstellung sind; mit anderen Worten: von der Frage nach dem rechten Verständnis der entscheidenden Stelle Matth. 16, 15-20.

Leer(Der „Fall Baumann”, über den wir im 1. Heft dieses Jahrgangs berichteten, zeigt, welche Erregungen und Konflikte aus dieser Frage sich ergeben können. Die ausführlichste exegetische Untersuchung dieser Verse aus der jüngsten Zeit findet sich in der Monographie von Oscar Cullmann, Petrus, Jünger, Apostel und Märtyrer, Zürich 1952.)

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LeerDie früher verbreitete Neigung, zu sagen, dieses Wort an Petrus und über Petrus könne Jesus selbst nicht gesprochen haben, und es sei darum als eine spätere (wenngleich ziemlich alte) Schöpfung der Gemeinde-Theologie anzusehen, wird heute kaum mehr ernsthaft vertreten; sie kann schließlich keinen anderen Grund für diese Bestreitung der Echtheit anführen, als die nicht aus dem Text, sondern aus dogmatischen Voraussetzungen abgeleitete Meinung, Jesus könne nicht in einer solchen Weise von einer ekklesia, von seiner ekklesia, geredet haben. Die von Cullmann vorgetragene und eingehend begründete Vermutung, daß das Petrusgespräch aus Matth. 16 ursprünglich in den Zusammenhang der Leidensgeschichte, nämlich als Parallele mit Luk. 22, 31 ff., gehöre, kann hier außer Betracht bleiben, weil sich auch bei dieser Annahme im Entscheidenden nichts ändert. Um so wichtiger ist es, das Gespräch selbst genau ins Auge zu fassen. Die verschiedenen in dem öffentlichen Gerede vertretenen Meinungen über Jesus haben das gemein, daß das Neue hier eingeordnet wird in bekannte Kategorien (worin man gewiß nicht einen Beleg dafür finden kann, daß hier die Lehre von der Wiederverkörperung übernommen und vertreten werde), während Petrus nach seiner eigenen Meinung oder vielmehr nach der Meinung der Jünger überhaupt gefragt, Jesus die Würdenamen einer einmaligen und unvergleichbaren Erscheinung gibt; Namen, von denen man keinen einzigen in den Plural setzen kann. Aber der entscheidende Unterschied ist hier der formale: An Stelle irgendwelcher Aussagen über die Person Jesu tritt hier die persönliche Anrede an ihn und das persönliche Bekenntnis zu ihm, an die Stelle der 3. die 2. Person; dieses „Du bist...” aber ist in einer spezifischen Weise verbindlich, es begründet ein verpflichtendes Treueverhältnis. Das „Bekenntnis” des Petrus ist in diesem Sinn der Prototyp aller christlichen Bekenntnisse mit ihren inhaltlich entfalteten Sätzen, und man kann jedes solche Bekenntnis nicht gründlicher mißverstehen, als wenn man es als eine Summe oder ein System gegenständlicher Aussagen, statt als eine persönliche Anrede, als Gebet und Huldigung also, versteht.

LeerJesu Antwort ist in gleicher Weise eine persönliche Anrede. Sie preist Petrus um dieses Wortes willen „selig”. Dabei darf man sich nicht durch das Wort „selig” verführen lassen, die Seligpreisung im Sinn einer Seligsprechung (eines Urteils über ein jenseitiges Schicksal oder eine metaphysische Ehre also) zu deuten; vielmehr besagt diese Redeweise, daß der so Angeredete zu denen gehört, auf denen Gottes Wohlgefallen ruht. Und zwar wird Petrus darum „selig gepriesen”, weil ihm eine Erkenntnis zuteil geworden ist, die nicht aus seinem natürlichen Beobachtungs- und Denkvermögen (aus Blut und Geist), sondern aus einer göttlichen Inspiration und Offenbarung stammt (vergl. 1. Kor.12, 3).

LeerDer Anrede „Du bist Christus” (Du bist der Messias) entspricht die ebenso direkte und persönliche Anrede „Du bist Petrus”. Es wird nicht gesagt, daß der Herr dem Simon Jona's Sohn erst in diesem Augenblick den Namen Petrus verliehen habe; Markus (3, 16) und Johannes (1, 42) verlegen diese Namengebung schon an den Anfang des Jüngerverhältnisses, und auch Matthäus bezeichnet den Jünger schon vorher (10, 2; 16, 16) unbefangen mit dem Doppelnamen Simon Petrus. Aber in diesem Augenblick wird Petrus auf diesen seinen Namen besonders angesprochen und ihm eine über diesen Augenblick weit hinausgehende Bedeutung und Tragweite beigemessen: „Auf diesen Felsen will ich meine ekklesia bauen”. (Es ist ein wichtiges Argument für die Ursprünglichkeit dieses Herrenwortes, daß nicht im Griechischen, wohl aber im Aramäischen der Name und die Vokabel für „Fels” die gleiche Wortgestalt kepha haben; vergl. Cullmann a. a. O. S. 207.)

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LeerWas heißt dieses Wort Jesu: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen”? (Angesichts der Entwicklung der Wortbedeutung, auf Grund deren wir mit dem Wort „Kirche” die Gesamtheit der Jüngergemeinde Jesu, mit dem Wort „Gemeinde” aber deren konkrete örtliche und personale Gestalt zu bezeichnen pflegen, ist es richtiger, das Wort ekklesiaan dieser Stelle mit Kirche zu bezeichnen, weil es sich eben um diesen ganzen und ungeteilten Bau handelt.)

LeerDas Verständnis dieses einen Wortes ist entscheidend für das konfessionelle Gespräch, dessen Gegensätze immer wieder an dieser einen Stelle aufbrechen. Luther war geneigt zu sagen, daß nicht die Person des Petrus, sondern sein Glaube, sein Bekenntnis, um dessen willen der Herr ihn soeben selig gepriesen hatte, der Felsengrund der Kirche sei, und diese Unterscheidung gilt weithin als die entscheidende „protestantische” Front gegen die römische Deutung und Verwendung jenes Satzes. Indes ist diese Unterscheidung (nicht die Person, sondern ihr Glaube) an der Bibel gemessen keinesfalls zu halten. Denn das kerygma (die Botschaft) des Neuen Testaments kann von seinen Aposteln und Zeugen, das „Bekenntnis” von seinen persönlichen Trägern nicht losgelöst werden; gerade diese Abstraktion ist der Heiligen Schrift fremd, und sie liegt schon einen Schritt weit auf dem Wege zu einer spiritualistischen Verwandlung des lebendigen Christus, der die Wahrheit selber ist, in eine Christusidee und des lebendigen Zeugnisses in eine sachliche Aussage, die man auch ohne die seinsmäßige Hingabe des Zeugen tradieren kann. Jesus Christus selbst und seine Apostel sind Fundament, Grundstein, Eckstein der Heiligen Kirche, deren Bau nicht aus (noch so frommen und wahren) Gedanken, sondern aus lebendigen Menschen gefügt wird. (Die verhängnisvolle Neigung, personale Vertretung und Weitergabe in eine Summe oder ein System von Gedanken, eine Lehre, ein Bekenntnis zu verwandeln, hat sich nach den verschiedensten Seiten ausgewirkt; wäre es möglich gewesen, daß so viele Christen den „Ideen” des Nationalsozialismus - oder irgend eines anderen Ismus - gläubig anheim fielen, statt zu prüfen, ob die Menschen, die solche Ideen propagandistisch benützen, einer Gefolgschaft würdig waren, wäre dies möglich gewesen, wenn diese Christen sich nicht schon vorher im eigensten Bereich ihres Glaubens an solche Abstrakta wie Lehre, Bekenntnis, christliche Weltanschauung oder dergleichen verloren hätten?)

LeerDieser auf das Felsenfundament gegründeten Kirche wird verheißen, daß die Pforten der Unterwelt sich nicht als stärker erweisen werden. Darunter ist entweder in bildhafter Redeweise die Macht des (im Hades verkörperten) Widersachers zu verstehen, der den so festgegründeten Bau nicht überwältigen wird, oder umgekehrt: Die streng verschlossenen Tore des Todes halten der ekklesia nicht stand, für die es eine tote Vergangenheit nicht gibt (so Cullmann S. 227), was dann diesen Satz in die Nähe von Röm. 14, 7-9 und 1. Petr. 3, 19 rücken würde.

LeerAn diese der ekklesia (und nur indirekt dem „Felsen”, auf den sie gebaut ist) gegebene Verheißung fügt sich bei Matthäus eine dem Petrus persönlich gegebene Vollmacht (Vs. 19). Sie bezieht sich in deutlichem Gegensatz zu den der Kirche entgegengesetzten „Pforten der Unterwelt” auf die Tür zu dem kommenden Reich der Himmel, das mit Christus angebrochen ist. Die „Schlüssel” dieses Reiches werden dem Petrus anvertraut. Die Frage, ob „binden und lösen” nach rabbinischem Sprachgebrauch auf „verbieten und erlauben” (also gewissermaßen auf ein ethisches Lehramt) oder auf „bannen und freisprechen” (also auf die Funktion seelsorgerlicher Zuchtübung) bezogen werden soll, kann hier durchaus offenbleiben, da „Lehr-und Disziplinargewalt nicht streng getrennt werden können” (Cullmann S. 230). Die viel wichtigere, ja wahrhaft bedrängende Frage ist, wie sich dieses dem Petrus persönlich übertragene „Schlüsselamt” zu der Vollmacht verhalte, die nach Matth. 18, 18; Job. 20, 13 allen Jüngern oder vielmehr dem Jüngerkreis als Ganzem gegeben ist. Das scheinbare Entweder - Oder eines sich ausschließenden Gegensatzes löst sich freilich auf, sobald man das Gesetz der Repräsentation ernster ins Auge faßt, das aus dem ganzen biblischen Denken nicht hinweggedacht werden kann. Leben, Funktion und Vollmacht eines Ganzen werden von einem Einzelnen stellvertretend (das Wort repräsentativ drückt die „inklusive” Stellvertretung deutlicher aus und erlaubt nicht, den Einzelnen der Gesamtheit gegenüberzustellen) ausgeübt. Freilich darf nicht übersehen werden, daß dem Petrus hier ein Vorrang vor den anderen Aposteln zugeschrieben ist, insofern als eben er und kein anderer zuerst - stellvertretend für alle - dieses Schlüsselamt empfangen hat, das heißt Amt und Vollmacht, daß das menschliche Wort der Bindung oder Lösung in der himmlischen Welt, vor dem Thron Gottes, das hier und jetzt gesprochene Wort auch in der kommenden Welt gelten soll.

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LeerSo weit, das heißt hinsichtlich der eigentlich exegetischen Interpretation dieses Wortes, wird ein ernsthafter Dissensus kaum möglich sein. Dagegen gehen die Meinungen folgenschwer auseinander, sobald die Frage gestellt wird, welche kirchengeschichtlichen und kirchengestaltenden Konsequenzen aus diesem Herrenwort an Petrus folgen. Zwar daß die Kirche Jesu Christi auf den Grund der Apostel gebaut ist und aus „lebendigen Steinen” weitergebaut wird, und daß immer wieder die der Schar gegebene Vollmacht in einzelnen repräsentativen Trägern konzentriert und verkörpert ist, dieses alles gehört zu dem Gesetz, nach dem dieses ganze Ereignis „Kirche” angetreten ist, und das in keinem Augenblick ihrer Geschichte verleugnet oder mißbraucht werden darf; und es ist keineswegs überflüssig oder unwichtig, sich auf dieses hier sichtbar werdende Strukturgesetz der christlichen Kirche zu besinnen. Aber nun ist es die römische These, daß diese dem Petrus persönlich gegebene Vollmacht für die ganze Dauer der Kirche von dem Bischof der Gemeinde in Rom als der cathedra Petri legitim ausgeübt werde. Cullmann hat in seiner mehrfach erwähnten Monographie über Petrus diese Frage nach beiden Seiten sehr eingehend untersucht, sowohl die Frage, ob mit Matth. 16, 18 f. überhaupt der Gedanke an eine solche institutionelle Nachfolge in Verbindung gebracht werden könne, wie die andere Frage, wie weit der spätere Aufenthalt des Apostels Petrus in Rom, sein dortiges Bischofsamt und sein Martyrium in Rom über die Aussagen der Überlieferung hinaus rein historisch wahrscheinlich gemacht werden können. Gegen ihn vertritt Otto Karrer (1) die These, daß der Herr, im Blick auf eine zeitlich nicht zu begrenzende Zukunft der Kirche, mit dem Auftrag an Petrus (wozu dann Joh. 21 hinzugenommen werden müßte) ein dauerndes Amt der verantwortlichen Leitung für seine Kirche vorgesehen habe, und daß, unbeschadet der Einmaligkeit des apostolischen Amtes selbst, die Apostel durch die Handauflegung ihren Auftrag an die Bischöfe weitergegeben haben, welche das Amt der Apostel in den nachfolgenden Generationen wahrzunehmen hatten und haben. Es entspricht dem Gesamtverhältnis zwischen Schrift und Tradition in der römischen Kirche, wenn auch für Karrer die geschichtliche Überlieferung, die bald nach dem Tod der Apostel Rom zum Zentrum der christlichen Kirche gemacht hat, eine größere Rolle spielt als die Frage, ob sich dieser Autoritätsanspruch Roms auf das Wort des Herrn an Petrus berufen könnte; daß der Primat des Römischen Bischofs erst im 3. Jahrhundert mit der Stelle aus Matth. 16 begründet worden ist, wird auch von Karrer nicht bestritten; aber er meint, man dürfe nicht „eine biblische Theologie erwarten, bevor es einen biblischen Canon gab” (S. 205).

LeerAn diesem Punkte scheiden sich die Wege, und wir sehen keine Brücke zwischen den Auffassungen, die sich hier hart gegenüberstehen. Das petrinische Christentum der Römischen Kirche ist vor allem anderen dadurch gekennzeichnet, daß in ihm die Rechtsordnung, die hierarchische Stufenordnung des Amtes, das Lehramt und die Jurisdiktionsgewalt des Römischen Bischofs eine Rolle spielen wie in keinem anderen Zweig der Christenheit, und daß diese rechtliche Verfassung der Kirche begründet wird mit der Vorrangstellung, die der Herr dem Petrus unter den anderen Aposteln als dem hervorgehobenen Repräsentanten ihres apostolischen Amtes verliehen habe; die hierarchische Ordnung und der Primat des Papstes wird über den Rang einer geschichtlich gewordenen Institution hinausgehoben, auf eine Stiftung durch den Herrn selbst (in Gestalt des Wortes an Petrus) zurückgeführt und gilt also, in der Sprache der Reformation ausgedrückt, jure divino, kraft göttlichen Rechts. Dieses ist für die Glieder der Römischen Kirche ein Glaubenssatz, heilsnotwendig wie alle von der Kirche festgelegten Dogmen, und eben dieses, genau gesagt: diese Begründung, halten wir für eine unerlaubte Interpretation eines biblischen Textes zur Rechtfertigung einer aus anderen Wurzeln gespeisten geschichtlichen Entwicklung, und meinen zu sehen, daß in diesem Irrtum fast alles, was uns von der Römischen Kirche trennt, seine Wurzel hat.

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LeerDamit ist aber zugleich deutlich, warum wir die Dreigliederung der Christenheit in einen petrinischen, einen paulinischen und einen johanneischen Typus für irreführend halten. Denn während Paulus und Johannes in ihrer spannungsreichen Einheit dem neutestamentlichen Kanon seine Weite und Fülle geben, würde zwar Petrus mit allem, was von ihm überliefert ist, einschließlich der besonderen Stellung, die er mindestens eine Zeitlang in der Jerusalemer Gemeinde innehatte, sich durchaus der Dreiheit oder Vielgestalt des apostolischen Zeugnisses einfügen; aber die Theorie, wonach diese Sonderstellung einen dauernden Primat seiner angeblichen Nachfolger im römischen Bischofsamt begründe, liegt offenbar auf einer anderen Ebene als die paulinische und die johanneische Ausprägung des Urchristentums. Könnte jene Verschiedenheit angesichts der unmißverständlichen Warnung des Apostels eine Spaltung der Christenheit rechtfertigen, so daß die eine Kirche nur aus der paulinischen Lehre, die andere nur aus der johanneischen Liebe heraus leben wollte? Aber der petrinische Anspruch als solcher spaltet und zerreißt die Christenheit. Denn das, was das Evangelium selbst von Petrus besagt, gehört ebenso der ganzen Christenheit zu, wie das Christuszeugnis des Apostels Paulus und des Evangelisten und Apostels Johannes. Wir haben keinen Anlaß, dem Wort des Herrn an Petrus verlegen aus dem Weg zu gehen oder es umzudeuten, und wir können R. Baumann (vergleiche den kurzen Bericht in Heft 1 dieses Jahrgangs) nicht recht geben, wenn er sagt, daß eben nur in der Kuppel von St. Peter in Rom mit Recht die Worte stehen „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen”. Die Einsetzung in das Amt des Apostels und der Auftrag, die Herde Christi zu weiden, geht weiter durch die Kirche, und mit dem gleichen Nachdruck, mit dem wir uns zu der ecclesia catholica et apostolica bekennen und uns als ihre Glieder wissen, wagen wir zu sagen, daß das Wort von dem apostolischen Felsengrund der Kirche Rom nicht in einem höheren Grad und mit einem größeren Recht gehört, als es Wittenberg und Genf, Uppsala und Canterbury gehört. Mit anderen Worten: Es gibt vielleicht ein „paulinisches” Christentum, das sich zu unrecht auf Paulus, ein „johanneisches”, das sich zu unrecht auf Johannes beruft; aber sehr wahrscheinlich - jedenfalls nach unserer Überzeugung - gibt es ein „petrinisches” Christentum, das sich nicht auf Petrus berufen kann.

Anmerkung:

1: Um die Einheit der Christen. Die Petrusfrage; ein Gespräch mit Emil Brunner, Oscar Cullmann, Hans von Campenhausen. Verlag Josef Knecht, Frankfurt/M. (1953). Wir nehmen hier auf das Buch nur insoweit Bezug, als es sich mit den Thesen von Cullmann beschäftigt.

Quatember 1954, S. 129-134

Siehe auch
Hans Grünewald - Grenzen des Paulinismus
Wolfgang Kretschmer - Das johanneische Christentum
Erich Müller-Gangloff - Drei Kirchen und Vier Zeiten

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-02
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