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von Günter Howe |
Eine Frage an die Wissenschaften, an die Theologie und an den Leser Hans Carl von Haebler Karl Knoch Bei einem Gespräch über die Verantwortung der Wissenschaft sagte kürzlich ein bekannter Physiker, daß es nicht geraten sein könne, in einem brennenden Hause zunächst eine Feuerlöschordnung zu entwerfen oder gar Patentschriften für künftige Feuerlöschgeräte auszuarbeiten, anstatt sogleich Hand anzulegen. Dieser Temperamentsausbruch eines hervorragenden Gelehrten enthält freilich nur die halbe Wahrheit, da bei der Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft sofortiger praktischer Einsatz und langfristige theoretische Besinnung eng miteinander zusammenhängen. Karl Knoch hat uns die vielfachen Gefahren eindringlich geschildert, die gegenwärtig etwa durch Physik, Biologie und Technik heraufgeführt worden sind und die uns dazu aufrufen, unverzüglich an der Brandstelle den Kampf mit dem Feuer aufzunehmen. Nicht minder wichtig ist es aber, aus den drängenden Gegenwartsaufgaben immer wieder zurückzutreten in die grundsätzliche Frage nach der Grenze des menschlichen Handelns überhaupt, auf die der Aufsatz von Karl Knoch zielt. Hinter dieser Frage verbirgt sich die grundlegende Entscheidung über den weiteren Weg des abendländischen Menschen, die uns und den kommenden Generationen aufgegeben ist. Gewiß ist es menschlich sehr eindrucksvoll und ein weithin sichtbarer Aufruf zur Besinnung, wenn der italienische Arzt Dr. Petrucci, wie es uns Karl Knoch geschildert hat, bei seinen Versuchen mit befruchteten menschlichen Eiern die Weisung seiner Kirche einholt und sich dem Urteil des Osservatore Romano fügt. Dennoch ist es deutlich genug, daß die Frage nach der Grenze von Wissenschaft und Technik auf diesem Wege nicht gelöst werden kann, auch wenn Wissenschaftler und Techniker in sehr viel stärkerem Maße konfessionell gebunden wären. Konnte der junge Physiker Houtermans 1927 bei seinen Überlegungen über den Energiehaushalt der Sonne und der übrigen Fixsterne voraussehen, daß seine astrophysikalischen Untersuchungen einmal die entscheidende Voraussetzung für den Bau der Wasserstoffbombe darstellen würden? Kann man Planck und Einstein einen Vorwurf daraus machen, daß sie mit ihren bahnbrechenden Entdeckungen der Jahre 1900 und 1905 zugleich der Atombombe den Weg bereitet haben? Wäre es möglich, die Menschheit auf dem Standpunkt der klassischen Physik etwa der Jahrhundertwende zurückzuhalten und auf die entscheidende Wandlung des Verhältnisses des Menschen zur Natur zu verzichten, die sich in der Quantentheorie anzubahnen beginnt, auch wenn wir dann den Gefahren der Atombombe nicht ausgesetzt wären? Konnte Galilei ahnen, daß der von ihm so glänzend begonnene Weg der neuzeitlichen Naturwissenschaft im ABC der heutigen Kriegführung enden würde? So muß der Physiker und der Techniker damit rechnen, daß seine Entscheidungen in besonderem Maße der Beschränktheit des menschlichen Horizonts unterworfen sind und daß er die Folgen seines Handelns noch sehr viel weniger zu übersehen vermag als ein Wirtschaftler oder ein Staatsmann. Notwendig ist vielmehr eine Besinnung über die Voraussetzungen, die der neuzeitlichen Physik und Technik zugrunde liegen und über das Verhältnis des Menschen zur Welt, aus dem die heutige naturwissenschaftlich-technische Weltbemächtigung erwachsen konnte f Wir können nicht erwarten, daß die subjektive, noch so redliche und vielleicht aus echter christlicher Verantwortung erwachsene Entscheidung eines einzelnen Menschen in die Tiefen reicht, in denen die Ursprünge des neuzeitlichen Geistes verborgen liegen, und eben hier beginnt uns die neueste Wendung der Physik, der Philosophie und zum Teil auch der Theologie die Augen zu öffnen. Was soll aber der einzelne Mensch tun, der nun einfach in der notwendigen Begrenztheit seines Horizonts, in der Belastung durch die bereits gefallenen Vorentscheidungen zum Handeln berufen ist? Es ist verständlich, daß sich die Physiker. durch die erschreckenden Aspekte der atomaren Kriegsmittel früher als die Gelehrten anderer Fachgebiete vor Entscheidungen dieser Art gestellt sahen. So haben Physiker von Weltruf wie Niels Bohr oder James Franck die amerikanischen Regierungsstellen schon 1944 und 1945 darauf aufmerksam gemacht, daß sich das Geheimnis der Atombombe nur wenige Jahre werde hüten lassen und daß die Größe dieser Waffe eine grundlegende Wandlung aller politischen Verhältnisse unseres Planeten erzwingen werde. So haben sie der amerikanischen Regierung vorgeschlagen, den damals erreichten Vorsprung zu einem Vorstoß in dieser Richtung auszunutzen und die später auf Japan abgeworfenen Bomben allenfalls demonstrativ zu verwenden. Es ist nicht abzusehen, wieviel leichter der Weg der amerikanischen Politik seit 1945 gewesen wäre, wenn die durch die unerhörte Spannung des nahenden Kriegsendes belasteten Politiker und Militärs sich die Muße genommen hätten, diese freilich völlig ungewohnten Gedanken der Physiker nachzuvollziehen. Nach 1945 haben sich in Amerika und in England, 1959 auch in der Bundesrepublik Wissenschaftler, insbesondere Physiker zusammengeschlossen, um die neu sichtbar gewordene Verantwortung der Wissenschaft gemeinsam sowohl im praktischen Einsatz wie in theoretischer Besinnung zu bewähren, aber es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der hier beginnende Weg sehr lang und mühselig sein wird. Sehr notwendig wäre ein ähnliches Vorgehen auch auf dem Felde der Biologie, weil die dort heraufziehenden Gefahren für das Menschsein des Menschen möglicherweise noch sehr viel einschneidender sein werden als die äußerlich so augenfälligen Gefahren der Atomphysik. Wir können hier nur auf das schon vor dreißig Jahren veröffentlichte Büchlein von Aldous Huxley Schöne neue Welt und auf seine kürzlich erschienene Rückschau Wiedersehen mit der braven neuen Welt verweisen. Es ist selbstverständlich, daß die weltweite Christenheit in diesen Fragen zu einer besonderen Mitarbeit gerufen ist. So hat die Studienabteilung des Ökumenischen Rats der Kirchen 1958 ein bemerkenswertes Studiendokument Christen und die Verhütung des Krieges im Atomzeitalter zur Diskussion gestellt. Auch die von Karl Knoch besonders genannte Evangelische Studiengemeinschaft in Heidelberg hat 1959 einen Sammelband Atomzeitalter, Krieg und Frieden (Eckart-Verlag, Witten, 3. Aufl. 1962) vorgelegt, der eine zum Teil sehr leidenschaftliche Diskussion entfesselt hat, aber niemand kann darüber im unklaren sein, was Christen auf diesem Felde tun sollten und wie wenig sie zu tun vermögen. Bei all diesen Versuchen hat sich gezeigt, daß theoretische Erwägungen nur gedeihen können, wenn sie aus dem Feuer des unmittelbaren Einsatzes erwachsen sind, aber umgekehrt können wir nur dann hoffen, innerhalb der uns heute gesetzten Grenzen zweckmäßige praktische Entscheidungen zu finden, wenn wir sie von vornherein in den Horizont einer umfassenden geschichtlichen und philosophischen Schau ,stellen, und darum seien im letzten Teil unserer kurzen Bemerkungen in lockerer Form noch einige mehr theoretische Erwägungen zusammengestellt. Die vorhin genannten Thesen von der Wertfreiheit der Wissenschaft und dem instrumentalen Charakter der Technik setzen gerade die absolute Scheidung von Physik und Ethik als unbezweifelbare Selbstverständlichkeit voraus, die es heute zu überwinden gilt. Wir können hier nur ohne jeden Versuch eines Beweises die Behauptung aufstellen, daß die Überwindung dieser Scheidung zu den wichtigsten uns für die Zukunft gegebenen Aufgaben gehört, die untrennbar mit der schon erwähnten grundlegenden Entscheidung über den weiteren Weg des abendländischen Menschen zusammenhängt. Wir sind weit davon entfernt, diese wahrhaft weltgeschichtliche Tatsache rein negativ beurteilen zu wollen. Der Mensch ist das Wesen, das unendlich über sich hinausgehen muß, und Teilhard de Chardin hat etwa im Blick auf die Weltraumfahrt geäußert, daß der Mensch vielleicht in dieser Weise über sich hinausgehen müsse, bevor er in sein Inneres zurückfinde. Erst wenn wir uns der schicksalhaften Größe und Unentrinnbarkeit der modernen Wissenschaft und Technik wirklich stellen, gewinnen wir einen Blick auch für die Größe der drohenden Gefahr und für die heraufkommende Wesensverkehrung des Menschen. Noch ist es nicht entschieden, ob die Menschheit das mit der Atomphysik begonnene Experiment lebend überstehen wird. Ganz unzulänglich ist es aber, die Weltraumfahrt etwa als Drückebergerei zu bezeichnen, mit der sich der Mensch den von ihm auf der Erde gestellten Aufgaben zu entziehen suche, denn Äußerungen dieser Art verstellen uns den Blick auf die unheimliche Doppelgesichtigkeit dieses Vorganges, die sein eigentliches Kennzeichen und zugleich seine größte Gefahr ist. Einsicht und Vollmacht zu diesem prophetischen Amt kann der Christenheit aber nur zuwachsen auf dem Berge einer neuen Gottesbegegnung. Nur wenn die Christenheit neu die Majestät des lebendigen Gottes erfährt und damit zugleich der letzten, den Menschen gesetzten Grenze ansichtig wird, kann sie auch zur Aufhellung der uns heute so unlösbar erscheinenden Frage nach der Grenze von Wissenschaft und Technik beitragen. „Wir werden die Atomfrage nur lösen, wenn wir der Gottesfrage in einer neuen Tiefe begegnen” sagte vor annähernd drei Jahren der bedeutende Jurist Ulrich Scheuner bei einer Sitzung der Atomkommission der Evangelischen Studiengemeinschaft. Damit ist zugleich deutlich, daß wir heute in Theorie und Praxis wohl einiges zur Vorbereitung der neuen Wege tun können, daß aber das Eigentliche, das zu geschehen hätte, nicht im Bereich unseres eigenen Wollens und Laufens liegt. Gerade hier wäre aber der Ort. wo die von Karl Knoch angeregte Zusammenarbeit der Theologie mit den verschiedenen Fachgebieten fruchtbar werden müßte. Wir schließen unsere Überlegungen mit einer mehr praktischen Bemerkung: Wir können das Schicksal der abendländischen Wissenschaft und Technik nicht dadurch verwandeln oder ihm auch nur dadurch entgehen wollen, daß wir den Weg von Wissenschaft und Technik gleichsam auf der halben Strecke abzubrechen versuchen. So wird die Christenheit sogar gut daran tun, in vielen Fällen die Kräfte zur Förderung von Wissenschaft und Technik zu stärken. Zugleich aber gilt es, ein Residuum letzten Widerstandes und innerster Besinnung aufzubauen, von dem einmal die Impulse zu einer Wendung ausstrahlen können. Anmerkung: Stellungnahmen der Leser sind im folgenden Jahrgang abgedruckt: Ulrich von Dassel - Gefahren für das Mensch-Sein des Menschen? und Hans Carl von Haebler - Die Grenze (Leserbriefe). Quatember 1962, S. 64-70 |
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